III, Einakter 9, (Lebendige Stunden. Vier Einakter), Literatur, Seite 25

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Zeitung
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Malich
Theater und Vergnügungsschau.
Ein Schnitzler=Abend im Neuen Volkstheater.
Den fünfzigsten Geburtstag des Wiener Dichters hat die
Neue Freie Volksbühne in ihrem Theater in der Köpenicker¬
straßchdurch die Aufführung des Einakters „Literatur" und
des Dreiakters „Liebelei“ begangen. Die beiden Stücke
sind recht kennzeichnend für Schnitzlers Poesie, für die Auswahl
der Stoffe und die Art der Behandlung. Den Leichtsinn der
Jugend, der Lebensgenuß sucht, sich oberflächliche Freuden schafft,
aber auch Schmerzen und Nöte im Gefolge hat, behandelt der
Dichter der Wiener Décadence in einer anziehenden Mischung
von französischer Eleganz und Frivolität und deutscher Jnnig¬
keit. In dem einaktigen Lustspiel sind die Beziehungen einer
junggeschiedenen Frau Margarethe zu ihrem früheren Geliebten,
einem Literaturlöwen aus jenen Münchener Künstlerkreisen,
die das Größte in Selbstverherrlichung leisten, und ihrem zu¬
künftigen Gatten, einem aristokratischen „Rassemenschen“ aus
Wien, mit kräftigem Humor und wirksamer Ironie geschildert.
Die junge Frau ist trotz ihrer Schwäche, sich für genial und
eine geborene Dichterin zu halten, klug und die Starke unter
den Personen des Stückes. Im Grunde hat sie mit ihrem
früheren Liebhaber nur gespielt und in ihrem jetzigen Verlobten
hat sie sich die Gewähr eines behaglichen Lebensglückes er¬
rungen. Doch kurz vor der Heirat droht Margarethens Rech¬
nung zu schanden zu werden. Ihr früherer Geliebter hat, wie
sie selbst, einen Lebensroman geschrieben, und gleich ihr ihren
Sein
Liebesbriefwechsel — wörtlich — hinein verwoben.
Roman ist bereits erschienen, der ihrige soll in den nächsten
Tagen an die Oeffentlichkeit gelangen. Ein Skandal ist un¬
vermeidlich, wenn die intimen Beziehungen der beiden Autoren
vor aller Welt blosgelegt werden. Aber Margarethe wehrt
klug alle Gefahr ab und sichert sich ihre Zukunft. Die Dar¬
stellung, wenn sie auch von so trefflichen Schauspielern, wie
Aurel Nowotny, Robert Müller und Yella Wagner
getragen wurde, ließ die leichte Eleganz vermissen, von der eine
größere Wirkung eines solchen Stückes abhängig ist. Die beiden
Herren waren nicht flott und sicher genug, ihre Mitspielerin
sehr, fast zu sehr temperamentvoll, aber ohne den Reiz be¬
strickender Grazie. Dagegen wurde dem Schauspiel „Liebelei“
eine ausgezeichnete Aufführung zuteil. Das Stück ist fast über
alle deutschen Bühnen gegangen. So erübrigt sich ein Ein¬
gehen auf seinen Inhalt. In der Rolle der Hauptheldin, der
Christine, erwies Frl. Martha Angerstein die Stärke ihres
Talents. Sie fand für die Süßigkeit, die Schmerzen und die
Verzweiflung der Liebe ihrer Heldin Ausdrücke tiefer Inner¬
lichkeit und packender Lebensechtheit. Von den anderen Dar¬
stellern verstanden es besonders die Herren Johannes Rie¬
mann als Fritz Lobheimer, Aurel Nowotny als Theodor
Kaiser, Robert Müller als Violinspieler Weiring und Frl.
Else Bäck als Modistin Mizi die Vorzüge des Stückes ins
H. Th.,
helle Licht zu stellen.
u, Mailand, ##.
## Francisco, Stockholm, St. Pett.
burg, Toronto.
(Qaellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Rand #heren, Lene
vom:
NNNNNNNNNNNNNNNNNNnn
Berliner Theaterbrief.
Der Winter unseres theatralischen Mißvergnügens hat nun auch auf
der Bühne dem sorglosen Frühlingskinde Platz gemacht und hat sich ohne
Sensation, wie er gekommen, zu seinen verabschiedeten Dorgängern ver¬
sammelt. Binardi aus Wien und andere altbekannte Bäste hausen jetzt
im Lessingtheater, am Iollendorfplatz und wo sonst noch, und draußen in
Potsdam, Bernau und Dichelsberge locken Heimatsspiele das natur¬
liebende Publikum an. In die Tage des Abschiednehmens fiel als ein
letztes literarisches „Ereignis“ #athur Schnitzlers fünfzigster Be¬
burtstag hinein, von dem zwei Berliner Bühnen fererneottz nahmen.
Bewiß, Schnitzlers literarische Persönlichkeit ist für uns heute, soweit das
möglich ist, einigermaßen umgrenzt und unsere kritische Stellungnahme
kann sich nicht entsprechend dem Dezimalsystem der Geburts- und Bedenk¬
tage ändern, und doch sollte man es als eine Pflicht der Pietät gegen
Dichter betrachten, auch wenn sie nicht hundert fahre tot oder franzosen¬“
sind, an ihren festtagen Aufführungen ihrer Stücke zu veranstalten, schon¬“
um dem Dublikum Belegenheit zu geben, sein Urteil an der erneuten,
durch den besonderen Tag eindringlich gewordenen Bühneninterpretation
zu prüfen oder zu korrigieren.
Im „Neuen Dolkstheater“ gab man zu Ehren des Wiener Dichters
zum ierstenmal den Einakter „Literatur“ aus dem Zyklus „Lebendige
Stunden“ in dem er das Kaffeehausliteratentum in seiner menschlichen
und künstlerischen Verlogenheit geißelt und eine Art witziger Paraphrase
zu Ibsen-Strindbergs schonungslosem Kampf gegen die Gesellschaft liefert.
Uella Wagner (Margarete) spielte temperamentvoll, doch konnte ihre
Sinnlichkeit noch etwas triebhafter („weibchenhaft", sogt Bilbert) sein.
Robert Müller war als Münchener Literat zu kernig-gesund. Dieser
Szene schloß sich mit altem Erfolge die „schmerzlich=süße" „Liebelei“ an,
an der sich Schnitzlers dichterische Eigenart so schön ermessen und erläutern
läßt. Dramatiker ist er nie gewesen, das beweist feder fkt dieses Stückes,
aber er weiß seine novellistischen Stoffe in ein solches Uleer von Warm¬
herzigkeit und Schwermut, von Dolkstümlichkeit und französischer Koket¬
terie, von naiver Sentimentalität und geschickter Berechnung zu tauchen,
daß niemand sich dem prickelnden Reiz seiner bald dämmernden, bald
zerfließenden Dialogkunst entziehen kann. Und gerade weil er sonst so
leicht, so ganz untheoretisch ist, erscheint der dritte fkt der „Liebelei“ als
ein Riß in dem Bilde sanften Dahinslutens, wo die schmerzlichen Tränen
eines verlassenen Mlädchens bewußten Problemen weichen sollen, wo an
Stelle der Elegie die Tragik tritt. Unter diesem Konflikt litt auch Marto
Augersteins sonst recht vortreffliche Darstellung der Christine. In der
Kolle des sentimentalen, lieben, zärtlichen Mädchens erwies sie sich als
366 entschieden befähigte Künstlerin, und verstand es, hinzureißen, Im dritten
Akt wor ihr Akzent etwas zu gewaltsam troßisch, zumal sie otnedies in
der Leidenschaft leicht zur Schärfe neigt.#
Die drei anderen sungen Leute waren ebenfalls echt. Else Bäck als
iizzi und Aurel Nowotny als Theodor waren ein paar fesche Wiener
Kinder, während fohannes Riemann den fritz glücklich mit verhalte¬
ner Schwermut gab. Robert Müller, der alte Wetring, ist in Rollen,
die seiner Natur entsprechen, immer am Platze. Die sorgsame Regie konnte
bei etwas mehr Ruhe der Bewegungen, namentlich im ersten Stück, doch
noch ein schnelleres Dahinfließen der Szenenbilder erreichen.

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