box 34/8
9. Literatur
Wommt al
54
Brünner Anzeiger, Brünn
vom:
Brünner Stadttheater.
cn. Arihur SchuinleneieMit drei eigen¬
Artigen Kostproben von Arthur Schnitzlers Geist wurde
Dem Publikum des hiesigen Stadttheaters der 50. Geburts¬
itag des Dichters in Erinnerung gebracht. Als erstes der
drollige Scherz aus den „Lebendigen Stunden": „Lite¬
ratur". Hier waltet echte Schnitzlerische Fröhlichkeit und
ausgelassenes Erzählen dessen, was den Literaten Ge¬
schäftsgeheimnis ist und dem Publikum verheimlicht blei¬
ben sollte. Die unendliche Borniertheit des Literaturmen¬
schen, der jede Gefühlsregung, jeden armseligen Gedanken
zur Unsterblichkeit zulegt, wie in eine Sparbüchse wirft,
indem er sich ihn „aufschreibt". Nichts ist ihm heilig, alles
nur Mittel zum Zweck: Ich=Mensch zu sein, als ob es nicht
alle Menschen wären. Dieser Wiener Sportgraf hat genau
so literarische Existenzberechtigung wie der phrasenselige
Gilbert. Zum Schlusse färbt auch er bedenklich ab oder
an, wie man es nimmt. Und diese heiße Liebe der zwei
Literaten=endet wirklich in einem köstlichen Spaß: sie beide
haben=hre Liebesbriefe drucken lassen. Nur daß zum
Schluß das Weib dennoch impulsiver ist und sein Werk
seigenhändig verbrennt. Daß ihm dieser Schluß entgangen
ist — das kann Gilbert wirklich leid tun. Er ist die einzige
Wahrheit, die bei jeder Frau möglich ist. — Der „Puv¬
penspieler" (aus den „Marionetten") ist eines jener
tiefen Gespräche, für die eine Bühne wie die unsrige schon
zu groß ist: es gehört in einen intimeren Raum. Die dra¬
matische Entwicklung fehlt gänzlich: Georg Merklin glaubt
mit den Menschen zu spielen. Aber sie spielen mit ihm, sie
haben mitgespielt wie Kinder. Er ist ein zerbrochenes
Spielzeug, ohne daß er es ahnt. Seine Philosophie ist ihm
geblieben. Er ist der Beweis für den Satz, daß die ver¬
pfuschtesten Existenzen die abgründigsten Philosophen sind.
Und er führt auch wirklich Gedanken im Munde. „Alt
sind die, die morgen sterben“, das ist seine Weisheit. Er,
den die schüchterne Anna liebte. Eigentlich nicht liebte.
Es war „die Sehnsucht, ihn auf den rechten Weg zu brin¬
gen". Der steht nun da, dürftig und abgenutzt vom Leben.
Ein Achselzucken schließt den Akt. Wie man über das
Selbstverständliche hinweggeht. — Und zum Schlusse
[„Der grüne Kakadu“ (aus dem gleichnamigen Zyk¬
lus). Hier ist raffinierteste Technik mit kühnstem Durch¬
einander gekoppelt. Ein düsteres Kellerkokal, in das von kadu“ sind noch einige Charaktertypen hervorzuheben. Der¬
fern nur der Lärm des heulenden Paris hereindringt. Herzog (Herr Neufeld), der Dichter (Herr Recke), der
Revolution! Die französische ist für dieses Spektakelstück derbe Wirt (Herr Teller); von seiner Truppe Frl.:
des Welttheaters vorbildlich geworden: jede Revolution ist Sticker, Frl. Bukovics und Herr Kaitan, der
eine französische, wenn sie vielleicht nicht immer franzö¬
dem Abgeschmackten noch von seiner Abgeschmacktheit da¬
sisch ist. Schnitzler zerlegt die Ereignisse in ihre wider¬
zugab; der Philosoph (Herr Moser) und dann Herr
streitenden Motive und es wird eine Groteske daraus. Das
Bland und Frau Wiesner. Das Publikum applau¬
Volk, das sich in echte Blutgier hinaufschauspielert, indem
dierte den Leistungen unseres Ensembles gern und viel
selbst seine Philosophen auf den Tischen stehen und
und erlebte einen interessanten Abend, für den der Direk¬
schreien. Und der Adel, der weiß, daß es nur Schauspieler tion viel Dank zu sagen ist.
sind, die Wirklichkeit als Schauspiel beklatscht und an ihr
B. M. — „Das Rheingold.“ Das Vorspiel zu der
zugrunde gehen muß. Der Wirt hat da seine Truppe, die großen Trilogie „Der Ring der Nibelungen“ wies, wie
Verbrecher spielt. Der Adel kommt sich amüsieren. Die
auch schon die früheren Wagneraufführungen deutlich zeig¬
Atmosphäre wird immer schwüler, immer gespannter; und
ten, einen erfreulichen Zug von Neubelebung, günstiger
plötzlich entlädt sie sich. Henri, der geniale Mime, macht
Umgestaltung und reger Schaffensfreudigkeit auf. Leider
Ernst und ermordet den Herzog von Cadignan, der ihn mit
hat auch Direktor Herzkas Regiekunst noch viel mit ver¬
seiner Frau betrogen. Jetzt ist der Bann gebrochen. Die
alteten Requisiten und Unzulänglichkeiten unserer Bühne
Massen heulen wild das Lied der Freiheit. Wer weiß, ob
zu kämpfen, welche jedoch nach Möglichkeit mit seltener
das Häuflein Aristokraten lebend aus dem „grünen Ka¬
Umsicht uns jene Mängel vergessen ließen, welche erst eine
kadu“ entkommen wird. — — Die Aufführung war sehr völlige Neuinszenierung beseitigen kann. Ebenso zeigten
sorgfältig und künstlerisch. Herrn Teller ist als Regis= auch die gesanglichen Leistungen schöne Ansätze, guten
seur besonders für die szenische Ausstattung des „Grünen Willen, wenn auch das Terzett der Rheintöchter keine
Kakadu“ zu danken. Da blieb wirklich nichts mehr zu tragkräftigen Stimmen aufwies. Herr Schmid=Bloß
wünschen übrig. Die kleine Kellerluke, durch die man das bot einen innerlich gefestigten, reifen Wotan Herr 1—
9. Literatur
Wommt al
54
Brünner Anzeiger, Brünn
vom:
Brünner Stadttheater.
cn. Arihur SchuinleneieMit drei eigen¬
Artigen Kostproben von Arthur Schnitzlers Geist wurde
Dem Publikum des hiesigen Stadttheaters der 50. Geburts¬
itag des Dichters in Erinnerung gebracht. Als erstes der
drollige Scherz aus den „Lebendigen Stunden": „Lite¬
ratur". Hier waltet echte Schnitzlerische Fröhlichkeit und
ausgelassenes Erzählen dessen, was den Literaten Ge¬
schäftsgeheimnis ist und dem Publikum verheimlicht blei¬
ben sollte. Die unendliche Borniertheit des Literaturmen¬
schen, der jede Gefühlsregung, jeden armseligen Gedanken
zur Unsterblichkeit zulegt, wie in eine Sparbüchse wirft,
indem er sich ihn „aufschreibt". Nichts ist ihm heilig, alles
nur Mittel zum Zweck: Ich=Mensch zu sein, als ob es nicht
alle Menschen wären. Dieser Wiener Sportgraf hat genau
so literarische Existenzberechtigung wie der phrasenselige
Gilbert. Zum Schlusse färbt auch er bedenklich ab oder
an, wie man es nimmt. Und diese heiße Liebe der zwei
Literaten=endet wirklich in einem köstlichen Spaß: sie beide
haben=hre Liebesbriefe drucken lassen. Nur daß zum
Schluß das Weib dennoch impulsiver ist und sein Werk
seigenhändig verbrennt. Daß ihm dieser Schluß entgangen
ist — das kann Gilbert wirklich leid tun. Er ist die einzige
Wahrheit, die bei jeder Frau möglich ist. — Der „Puv¬
penspieler" (aus den „Marionetten") ist eines jener
tiefen Gespräche, für die eine Bühne wie die unsrige schon
zu groß ist: es gehört in einen intimeren Raum. Die dra¬
matische Entwicklung fehlt gänzlich: Georg Merklin glaubt
mit den Menschen zu spielen. Aber sie spielen mit ihm, sie
haben mitgespielt wie Kinder. Er ist ein zerbrochenes
Spielzeug, ohne daß er es ahnt. Seine Philosophie ist ihm
geblieben. Er ist der Beweis für den Satz, daß die ver¬
pfuschtesten Existenzen die abgründigsten Philosophen sind.
Und er führt auch wirklich Gedanken im Munde. „Alt
sind die, die morgen sterben“, das ist seine Weisheit. Er,
den die schüchterne Anna liebte. Eigentlich nicht liebte.
Es war „die Sehnsucht, ihn auf den rechten Weg zu brin¬
gen". Der steht nun da, dürftig und abgenutzt vom Leben.
Ein Achselzucken schließt den Akt. Wie man über das
Selbstverständliche hinweggeht. — Und zum Schlusse
[„Der grüne Kakadu“ (aus dem gleichnamigen Zyk¬
lus). Hier ist raffinierteste Technik mit kühnstem Durch¬
einander gekoppelt. Ein düsteres Kellerkokal, in das von kadu“ sind noch einige Charaktertypen hervorzuheben. Der¬
fern nur der Lärm des heulenden Paris hereindringt. Herzog (Herr Neufeld), der Dichter (Herr Recke), der
Revolution! Die französische ist für dieses Spektakelstück derbe Wirt (Herr Teller); von seiner Truppe Frl.:
des Welttheaters vorbildlich geworden: jede Revolution ist Sticker, Frl. Bukovics und Herr Kaitan, der
eine französische, wenn sie vielleicht nicht immer franzö¬
dem Abgeschmackten noch von seiner Abgeschmacktheit da¬
sisch ist. Schnitzler zerlegt die Ereignisse in ihre wider¬
zugab; der Philosoph (Herr Moser) und dann Herr
streitenden Motive und es wird eine Groteske daraus. Das
Bland und Frau Wiesner. Das Publikum applau¬
Volk, das sich in echte Blutgier hinaufschauspielert, indem
dierte den Leistungen unseres Ensembles gern und viel
selbst seine Philosophen auf den Tischen stehen und
und erlebte einen interessanten Abend, für den der Direk¬
schreien. Und der Adel, der weiß, daß es nur Schauspieler tion viel Dank zu sagen ist.
sind, die Wirklichkeit als Schauspiel beklatscht und an ihr
B. M. — „Das Rheingold.“ Das Vorspiel zu der
zugrunde gehen muß. Der Wirt hat da seine Truppe, die großen Trilogie „Der Ring der Nibelungen“ wies, wie
Verbrecher spielt. Der Adel kommt sich amüsieren. Die
auch schon die früheren Wagneraufführungen deutlich zeig¬
Atmosphäre wird immer schwüler, immer gespannter; und
ten, einen erfreulichen Zug von Neubelebung, günstiger
plötzlich entlädt sie sich. Henri, der geniale Mime, macht
Umgestaltung und reger Schaffensfreudigkeit auf. Leider
Ernst und ermordet den Herzog von Cadignan, der ihn mit
hat auch Direktor Herzkas Regiekunst noch viel mit ver¬
seiner Frau betrogen. Jetzt ist der Bann gebrochen. Die
alteten Requisiten und Unzulänglichkeiten unserer Bühne
Massen heulen wild das Lied der Freiheit. Wer weiß, ob
zu kämpfen, welche jedoch nach Möglichkeit mit seltener
das Häuflein Aristokraten lebend aus dem „grünen Ka¬
Umsicht uns jene Mängel vergessen ließen, welche erst eine
kadu“ entkommen wird. — — Die Aufführung war sehr völlige Neuinszenierung beseitigen kann. Ebenso zeigten
sorgfältig und künstlerisch. Herrn Teller ist als Regis= auch die gesanglichen Leistungen schöne Ansätze, guten
seur besonders für die szenische Ausstattung des „Grünen Willen, wenn auch das Terzett der Rheintöchter keine
Kakadu“ zu danken. Da blieb wirklich nichts mehr zu tragkräftigen Stimmen aufwies. Herr Schmid=Bloß
wünschen übrig. Die kleine Kellerluke, durch die man das bot einen innerlich gefestigten, reifen Wotan Herr 1—