box 34/8
Literstur
aaschnitt aus:
Der Humorist, Wien
ZO MALT9IE
Breirer Theaterbrief.
Brünn, am 17. Mai 1912.
Sehr geehrter Herr Redakteur!
Auch wir haben den fünfzigsten Geburtstag=et#
jefeiert. Man gab das Luftspiel „Literatur“, die Studie „Der Puppen¬
spieler“ und die Groteske „Der grüne Kakadu“ vor ausverkauftem Hause
(als Abonnementsvorstellung). Herr Direktor Herzka hat das Geschick,
solche Feiern ohne erhebliche Kosten zu veranstalten. Der Puppen¬
spieler“ war neu, die beiden anderen Einakrer von früheren Aufführungen
her bekannt.
Von der Schnitzler=Feier ist im großen und ganzen nur Gutes zu
sagen. Eine gerundete, fein abgetönte Wiedergabe war der Groteske
„Der grüne Kakadu“ beschieden. Sie ist brillant gearbeitet und ein
Kunstweri für sich; welch reiches, buntbewegtes Leben ist hier in einem
Akte zusammengedrängt, welche Fülle von Charakteren und Typen zieht
vor den Zuschauern vorüber, ein jeder mit wenigen Strichen gezeichnet,
so sicher und restlos, daß wir ihn rasch und richtig erfassen können; wie
seltsam verknüpft sind die Fäden der schraffgespannten Handlung. Eine
stimmungsvolle Inszenierung vereinte sich mit den tüchtigen Leistungen der
Darsteller zu einem stilvollen Ganzen. Herr Mamelok, als Henri,
stand im Vordergrunde des Interesses. Neben diesem führten die
Damen Paula Dürr (Séverine), Helene Ries (Léocadie) und die
Herren Teller (Prospère), Strauß (Scävola), Moser (Grasset),
Lenhart (Grain), Neufeld (Herzog), Nehberger (Vicomte) und
Eisner (Guillame) ihre Partien korrekt und einwandfrei durch. Die
kleineren Rollen lagen bei den Damen Sticker (Michette), Bukowics
(Fligotte), Wiesner (Georgette) und den Herren Pachmann (Cheva¬
lier), Recke (Rollin), Maluschinsky (Kommissär) und Bland
(Balthasar) in verläßlichen Händen. Ein Unding, eine eklige Karikatur,
über die nicht einmal die Galerien lachen wollten, bot Heir Kaitan
dals Jules; hat der Regisseur bei den Proben nicht die Unmöglichkeit
einemolchen Schauspielerei eingesehen?
Die Studie „Der Puppenspieler“ aus dem Zyklus „Marionetten“
L nicht eines der stärksten Werke Schnitzlers; eine ganz einfache Ge¬
schichte und doch so seltsam und fesselnd. Man rät im Verlaufe der
Handlung auf diesen oder jenen Schluß und doch überrascht uns der
Autor mit einer schlichten und dabei bedeutsamen Wendung. Die Rolle
es Georg Merklin wurde von Herrn Lenhart wirkungsvoll und in
guter Charakterisierung wiedergegeben; das rätselhafte, eigenartige Wesen
des originellen Menschen kam voll zur Geltung. In den kleineren Rolien
standen Herr Recke (Jagisch) und Frl. Nies (Anna) auf der Szene.
Die Wiedergabe des Lustspiels „Literatur“ war am wenigsten geglückt.
Wir haben vor Jahren weitaus bessere Leistungen gesehen. Weder Fräu¬
lein Dürr Margarete), noch die Herren Strauß (Gilbert) und Reh¬
berger (Klemens schufen Gestalten im Geiste Schnitzlers; die feine
Ironie ging gänzlich verloren. Herrn Nehbergers wiener Dialekt war
verfehlt, Frl. Dürr fehlte das bohemienhafte Zeug und Herr Strauß
war viel zu solid. Dieser Gilbert ist ein Literatur=Schmock, eine typische
Figur, halb komisch, halb eingebildet, Klemens ein einfältiger, guter,
etwas beschränkter Patron, der weitab von aller Literatur steht. Dieso—
markanten Merkmale beider Figuren gingen vollends verloren.
. o. WE).
Ausschnitt aus: HOLIFNIA BDA(A
24507
vom:
Theater und Musik.
Schnitzler=Zyklus: „Der grüne Kakadu“.
helisches Theater.)
Der „Grüne Kakadu“ der dem Einakterabendsp
in
den Namen gibt, ist noch heute, was er vor drei¬
zehn Jahren war, ein Meisterwerk. Er hat Jarbe, Or
Bewegung, souveränen Geift, souveräne Phantasie. von
Alle Wirkungen des Theaters sind in diesem Mi= fasse
niaturdrama gesammelt, das damals von seinem wer¬
Schöpser als dramatische Groteske bezeichnet wor¬ aus¬
den ist, weil seine blendende Illusionstechnik noch sich
ungewohnt und allzu kühn war. Nicht die geschicht= eine
liche Attrappe ist der höchste Reiz des Stückes, anze
nicht der bewunderswert präzise Rahmen, der im gler
kleinsten Ausmaß das Bild des Revolutionstaumels tag
gibt, des Bastillensturms, der jakobinischen Orgie,
nicht die blutige Tragik des Vorgangs selbst, son= sech
dern die seine Klugheit, der das alles nur Mittel (S#
ist. Alle spielen sie, der gemeine Mörder, der in gele¬
der Verbrecherkneipe des Theaterdirektors Prosper! Sti
auf Engagement gastiert, um mit der Erzählung seiner „L#
wirklichen Greuektat die aristokratischen Hörer zusde¬
kitzeln, der Komödiant als Taschendieb, der auf „Li
die Straße geht und bei einem ernsthaften Dieb¬ Sa
stahl sich abfassen läßt, die Marquise, die sich als) „D
pel, Heuri, der Künstler, der Mörder aus Eifer¬
wei
sucht, von dem der Chorns glaubt, er markiere,
auf
bis er plötzlich den echten Dolch in die Brust des
tür
Herzogs von Cadignan bohrt. Grauen geht von
Be
diesem über die Zeit triumphierenden Drama aus und
ästhetisches Entzücken. Das Publikum, das es nach
30
Jahren wiedersah, ging auch gestern mit allen
Phasen der wilden Handlung mit. Eine Darstel¬
te,
lung von gutem Tempo und guter Abtönung brachte
die großen Momente heraus. Voran stehen Herr
Rittig, der den Henri, die Kainzrolle, mit der ###
Kraft seines Karl Moor erfüllt; Herr Huttig
als Cadignan, der glänzendste der Kavaliere,
Fräulein Medelsky als Léocadie, Fräulein
Steinheil als Marquise, Herr Fischer als
Spelunkenwirt und Herr Romanowsky, ein
Schubiak von unheimlichster, bizarrster Silhonette.
De Abend beginnt mit dem „Paracelsus“
dem Versschauspiel in den Trachten der Basler
Renaissance, das des Zyklus tiefes Motto enthält
und einmal faszinierte, durch Kainzens glänzende
Versucheraugen. Den Mystiker und Wundermann
gibt Herr Rittig mit leuchtender Beredsamkeit
und mit der eindrucksvollen Maske des schwarzen:
Hexenmeisters, Justina, die hypnotisierte Ehe¬
brecherin im Gedanken, Fräulein von Helling
mit Wärme und Klarheit, Herr Reinhardt
biderb den Cyprian, Herr Hölzlin den blonden
Anselm mit noch starrer Jugendlichkeit, die erst
frei werden muß.
Die zweite Stelle hat die „Gefährtin“
das in einen Akt zusammengedrängte Schauspiel
einer auf Lüge und Schuld aufgebauten Ehe, deren
Wahrheit der vernichtende und sühnende Tod zum
Bewußtsein des überlebenden Gatten bringt.
Es
ist die Atmosphäre von Schnitzers Novellen, ein
Abend nahe bei Wien, über der verlöschten Land¬
schaft gedämpfte Trauer. Die Partie des Gatten
führt Herr Dr. Manning durch, der bühnen¬
sicher wie stets ist, die der verstehenden Freundin#
mit diskretem Geschmack Fräulein Johi, die des
kalten Egoisten Herr Faber.
Literstur
aaschnitt aus:
Der Humorist, Wien
ZO MALT9IE
Breirer Theaterbrief.
Brünn, am 17. Mai 1912.
Sehr geehrter Herr Redakteur!
Auch wir haben den fünfzigsten Geburtstag=et#
jefeiert. Man gab das Luftspiel „Literatur“, die Studie „Der Puppen¬
spieler“ und die Groteske „Der grüne Kakadu“ vor ausverkauftem Hause
(als Abonnementsvorstellung). Herr Direktor Herzka hat das Geschick,
solche Feiern ohne erhebliche Kosten zu veranstalten. Der Puppen¬
spieler“ war neu, die beiden anderen Einakrer von früheren Aufführungen
her bekannt.
Von der Schnitzler=Feier ist im großen und ganzen nur Gutes zu
sagen. Eine gerundete, fein abgetönte Wiedergabe war der Groteske
„Der grüne Kakadu“ beschieden. Sie ist brillant gearbeitet und ein
Kunstweri für sich; welch reiches, buntbewegtes Leben ist hier in einem
Akte zusammengedrängt, welche Fülle von Charakteren und Typen zieht
vor den Zuschauern vorüber, ein jeder mit wenigen Strichen gezeichnet,
so sicher und restlos, daß wir ihn rasch und richtig erfassen können; wie
seltsam verknüpft sind die Fäden der schraffgespannten Handlung. Eine
stimmungsvolle Inszenierung vereinte sich mit den tüchtigen Leistungen der
Darsteller zu einem stilvollen Ganzen. Herr Mamelok, als Henri,
stand im Vordergrunde des Interesses. Neben diesem führten die
Damen Paula Dürr (Séverine), Helene Ries (Léocadie) und die
Herren Teller (Prospère), Strauß (Scävola), Moser (Grasset),
Lenhart (Grain), Neufeld (Herzog), Nehberger (Vicomte) und
Eisner (Guillame) ihre Partien korrekt und einwandfrei durch. Die
kleineren Rollen lagen bei den Damen Sticker (Michette), Bukowics
(Fligotte), Wiesner (Georgette) und den Herren Pachmann (Cheva¬
lier), Recke (Rollin), Maluschinsky (Kommissär) und Bland
(Balthasar) in verläßlichen Händen. Ein Unding, eine eklige Karikatur,
über die nicht einmal die Galerien lachen wollten, bot Heir Kaitan
dals Jules; hat der Regisseur bei den Proben nicht die Unmöglichkeit
einemolchen Schauspielerei eingesehen?
Die Studie „Der Puppenspieler“ aus dem Zyklus „Marionetten“
L nicht eines der stärksten Werke Schnitzlers; eine ganz einfache Ge¬
schichte und doch so seltsam und fesselnd. Man rät im Verlaufe der
Handlung auf diesen oder jenen Schluß und doch überrascht uns der
Autor mit einer schlichten und dabei bedeutsamen Wendung. Die Rolle
es Georg Merklin wurde von Herrn Lenhart wirkungsvoll und in
guter Charakterisierung wiedergegeben; das rätselhafte, eigenartige Wesen
des originellen Menschen kam voll zur Geltung. In den kleineren Rolien
standen Herr Recke (Jagisch) und Frl. Nies (Anna) auf der Szene.
Die Wiedergabe des Lustspiels „Literatur“ war am wenigsten geglückt.
Wir haben vor Jahren weitaus bessere Leistungen gesehen. Weder Fräu¬
lein Dürr Margarete), noch die Herren Strauß (Gilbert) und Reh¬
berger (Klemens schufen Gestalten im Geiste Schnitzlers; die feine
Ironie ging gänzlich verloren. Herrn Nehbergers wiener Dialekt war
verfehlt, Frl. Dürr fehlte das bohemienhafte Zeug und Herr Strauß
war viel zu solid. Dieser Gilbert ist ein Literatur=Schmock, eine typische
Figur, halb komisch, halb eingebildet, Klemens ein einfältiger, guter,
etwas beschränkter Patron, der weitab von aller Literatur steht. Dieso—
markanten Merkmale beider Figuren gingen vollends verloren.
. o. WE).
Ausschnitt aus: HOLIFNIA BDA(A
24507
vom:
Theater und Musik.
Schnitzler=Zyklus: „Der grüne Kakadu“.
helisches Theater.)
Der „Grüne Kakadu“ der dem Einakterabendsp
in
den Namen gibt, ist noch heute, was er vor drei¬
zehn Jahren war, ein Meisterwerk. Er hat Jarbe, Or
Bewegung, souveränen Geift, souveräne Phantasie. von
Alle Wirkungen des Theaters sind in diesem Mi= fasse
niaturdrama gesammelt, das damals von seinem wer¬
Schöpser als dramatische Groteske bezeichnet wor¬ aus¬
den ist, weil seine blendende Illusionstechnik noch sich
ungewohnt und allzu kühn war. Nicht die geschicht= eine
liche Attrappe ist der höchste Reiz des Stückes, anze
nicht der bewunderswert präzise Rahmen, der im gler
kleinsten Ausmaß das Bild des Revolutionstaumels tag
gibt, des Bastillensturms, der jakobinischen Orgie,
nicht die blutige Tragik des Vorgangs selbst, son= sech
dern die seine Klugheit, der das alles nur Mittel (S#
ist. Alle spielen sie, der gemeine Mörder, der in gele¬
der Verbrecherkneipe des Theaterdirektors Prosper! Sti
auf Engagement gastiert, um mit der Erzählung seiner „L#
wirklichen Greuektat die aristokratischen Hörer zusde¬
kitzeln, der Komödiant als Taschendieb, der auf „Li
die Straße geht und bei einem ernsthaften Dieb¬ Sa
stahl sich abfassen läßt, die Marquise, die sich als) „D
pel, Heuri, der Künstler, der Mörder aus Eifer¬
wei
sucht, von dem der Chorns glaubt, er markiere,
auf
bis er plötzlich den echten Dolch in die Brust des
tür
Herzogs von Cadignan bohrt. Grauen geht von
Be
diesem über die Zeit triumphierenden Drama aus und
ästhetisches Entzücken. Das Publikum, das es nach
30
Jahren wiedersah, ging auch gestern mit allen
Phasen der wilden Handlung mit. Eine Darstel¬
te,
lung von gutem Tempo und guter Abtönung brachte
die großen Momente heraus. Voran stehen Herr
Rittig, der den Henri, die Kainzrolle, mit der ###
Kraft seines Karl Moor erfüllt; Herr Huttig
als Cadignan, der glänzendste der Kavaliere,
Fräulein Medelsky als Léocadie, Fräulein
Steinheil als Marquise, Herr Fischer als
Spelunkenwirt und Herr Romanowsky, ein
Schubiak von unheimlichster, bizarrster Silhonette.
De Abend beginnt mit dem „Paracelsus“
dem Versschauspiel in den Trachten der Basler
Renaissance, das des Zyklus tiefes Motto enthält
und einmal faszinierte, durch Kainzens glänzende
Versucheraugen. Den Mystiker und Wundermann
gibt Herr Rittig mit leuchtender Beredsamkeit
und mit der eindrucksvollen Maske des schwarzen:
Hexenmeisters, Justina, die hypnotisierte Ehe¬
brecherin im Gedanken, Fräulein von Helling
mit Wärme und Klarheit, Herr Reinhardt
biderb den Cyprian, Herr Hölzlin den blonden
Anselm mit noch starrer Jugendlichkeit, die erst
frei werden muß.
Die zweite Stelle hat die „Gefährtin“
das in einen Akt zusammengedrängte Schauspiel
einer auf Lüge und Schuld aufgebauten Ehe, deren
Wahrheit der vernichtende und sühnende Tod zum
Bewußtsein des überlebenden Gatten bringt.
Es
ist die Atmosphäre von Schnitzers Novellen, ein
Abend nahe bei Wien, über der verlöschten Land¬
schaft gedämpfte Trauer. Die Partie des Gatten
führt Herr Dr. Manning durch, der bühnen¬
sicher wie stets ist, die der verstehenden Freundin#
mit diskretem Geschmack Fräulein Johi, die des
kalten Egoisten Herr Faber.