III, Einakter 9, (Lebendige Stunden. Vier Einakter), Literatur, Seite 47

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Literatur
und schmerzvolles Gedicht fordert. Die Herren Erlebtes dahinter vermutet. Noch schlimmer wird!
Robert, Janson, Neubürger und Leouard und die die Geschichte, als das arme Fräuchen auch noch einen
Damen Bodenheim und Heiden gingen in ihren Auf= Roman eingestehen muß, der sehr abkühlend auf den
Liebhaber wirkt. Da erscheint plötzlich der ehemalige
gaben völlig auf. Nur Frl. Heiden würde ich für die
Freund auf der Bildfläche, wirft ebenfalls seinen
letzten Worte ein geringes Heben der Stimme emp¬
eben fertig gewordenen Roman auf den Tisch, und
fehlen; man mußte den Text fast erraten.
nun stellt sich in einem geschickt geschriebenen Dialog
Einer der dahingehen muß, ohne seinen letzten
heraus, daß beide Romanziers in ihre Arbeit den
Lebenswillen durchgesetzt zu haben, ist auch der
einst zwischen ihnen selbst geführten Briefwechsel auf¬
Mittelptinkt von Artur-Schniglers. Einakter
genommen haben; sie hatte nämlich ihre Liebes¬
eletzten Masken“ Schnitler ist bekannt¬
briefe zuvor aufgesetzt, und er hatte die seinigen nach¬
Theater und Musik.
lich im bürgerlichen Beruf Arzt, und sein Stück sieht
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träglich abgeschrieben. Der zukünftige Gatte aber
sich an wie ein Fall aus der Praxis. Wir sind im
Shümes-Theater.
hält nichtsahnend die beiden Romanbändchen mit¬
Wiener Allgemeinen Krankenhaus, Station für
einander in der Hand. Das Ganze ist ein launig er¬
A. Rih#s
, k1.)Dezember. Wie der Tod den
Tuberkulose. Ein armer Journalist und ein kleiner
sonnener und mit Witz geschriebener Scherz. Nur
Lebensfadchig tüh durchschneidet, bevor der gewollte
Schauspieler, Komiker, sind vom Tode gezeichnet;
ist die Einleitung, in der von gleichgültigen Turf¬
Zweck des Aebens Vollendet ist, das hat uns als
der erste weiß, daß das Ende naht, der andere
Angelegenheiten und der gesellschaftlichen Vergangen¬
äußeres Etlebnis heute leider alltäglich werden
schmiedet noch frohe Zukunftspläne. Der Journalist
heit der iungen Frau die Rede ist, zu breit geraten,
müssen. Es innerlich, an uns selbst zu erleben, mag
verlangt als Lebensfrage vor dem letzten Atemzug
und am Schluß fehlt es an einer eigentlichen Pointe.
vielen, den meisten einst beschieden sein. Wer von
seinen einstigen Freund, einen ihm jetzt lange ent¬
den Lebenden ist sicher, dereinst sagen zu können: Ich
Auch die beiden Schnitzler waren ihrem Stim¬
fremdeten, inzwischen berühmt und „großer Mann“
habe mein Leben ausgelebt, mich bindet nichts mehr
mungsgehalt entsprechend inszeniert von Herrn
gewordenen Dichter, zu sprechen. Der menschen¬
an die Welt, sie hat mir nichts mehr und ich ihr
Robert, der auch als Schauspieler — er gab den ster¬
freundliche Arzt holt den Ersehnten selbst ans
nichts mehr zu gewähren! Ist der, dem das Leben
benden Lungenkranken und den frechen Bohémien —
Krankenbett. Bevor er erscheint, hält der Kranke dem
ein Schuldner geblieben ist, der dem Leben schuldig
sein ausgezeichnetes Können und namentlich eine
mitleidigen Genossen probeweise die Rede, die er dem
geblieben ist, ein Tor, dann sind wir es alle. Aber
staunenswerte Wandlungsfähigkeit an den Tag legte.
Erwarteten zu halten vor hat. Er will ihn seiner
erkonnen, daß wir Toren sind, ist der Ansang der
Sehr fein spielten auch Herr Keller als Komiker in
eingebildeten Größe entkleiden, ihm sagen, daß er
Lehensweisheit. Nur daß die hohe Lebensweisheit,
den „letzten Masken“ und als Daron in „Literatur“
das nicht ist, was er der Welt scheint, wozu man ihn
zu der uns der Tod leitet, ein Roman ohne Fort¬
sowie Herr Neubürger als gefeierter Dichter, Frl.
und er sich selbst hinauf,lanciert“ hat. Als aber nun
setzung ist. Da streicht er die Fiedel, und wir folgen
Castella als Dichterin und Frl.Parenna als Kranken¬
der gefeierte Dichter am Krankenbett erscheint, da
der süßen Melodie ohne Wahl einerlei, ob wir uns
haus=Wärterin, diesmal in waschechtem Weanerisch.
versagt dem armen Kranken das Wort. Der andere
als Toren erkannt, uns bewußt geworden sind, daß
Herr Wenninger war als Krankenhausarzt etwas
ist geschickt genug, ihn in ein paar wohlgesetzte ge¬
wir das uns geschenkte Leben nicht gelebt haben,
beuchelt teilnahmsvolle Worte einzuwickeln, und der steif. Das Publikum war sehr dankbar und spenden
„keinem etwas waren und keiner uns“ oder ob wir
Kranke geht hinüber, ohne seine ihm so dringlichejedem Stück des KammerspielAbends swärn ste¬
dahingehen im holden Wahn erfüllten Daseins¬
Aufgobe erfüllt zu haben. Das Warum überläßt der Anexkcinung
zweckes. Beneidenswert, wem dieser Wohn die
Dichter der Deutung des Zuschauers. Ist's Mitleid
Erinnerung verschleiert, wem nicht die Erinnerung
ist's Respekt, ist's Schwäche des Kranken, was ihm
an Mutter, Geliebte, Freuno das Schuldkonto vor¬
den Mund schließt, d##s mag jeder mit sich entscheiden
weist, das das Leben an ihn zu stellen hatte! Dieses
Ich sehe darin keinen Fehler des Schauspiels. Gibt
Sthuldkonto, das ist das wunderbar Ergreisende in
uns das Leben in seinen wechselvollen Erscheinungen
Hugo v. Hofmannsthals herrlicher Dichtung
jeden Tag ungelöste und unlösbare Rätsel in Hülle
„Der Tor und der Tod“. Der Tod bringt es
und Fülle auf, so darf es auch der Dichter, der der
mit. Vorher war es nicht da, jedenfalls nicht ein¬
Welt den Spiegel vorhält, vollends da, we ein Toter
getragen. Claudio, der Edelmann, dichtete. Daß er
uns das letzte Wort schuldig bleibt. Vermissen muß
dichten konnte, beweist, daß er sich von seinem Er¬
man aber die letzte Klarheit über die früheren Bes
leben und Träumen Rechenschaft gab. Aber was erzjehungen der beiden Freunde. Hat der Arme den
sich zu beichten hatte, war keine Wahrheit. Die
Reichen des geistigen Diebstahls zu bezichtigen? Hat
leuchtet ihm erst auf im Schatten des Todes. Da
dieser jenem das Weib genommen? Ist er des Treu¬
wird es hell in ihm und er sieht die traurigen Ge¬
bruchs im Berufsleben zu beschuldigen? Auf diese
stalten der Abgeschiedenen, denen er nichts war und
Fragen gibt das Stück keine Antwort, und das mache
denen er so viel hätte sein sollen. Seine Rene will
ich ihm zum Vorwurf. Vieldeutigkeit in den Schlu߬
sie festhalten, aber der Tod streckt gebieterisch die
folgerungen ist erlaubt und sogar anregend, ober die
Hand aus: was ihm verfallen, gibt er nicht heraus.
Voraussetzung muß zweifelsfrei und eindeutig sein.
So wandert nach dem Klang der Fiedel auch Claudio
In der literarischen Sphäre spielt auch der letzte
ins unerforschte Land, von des Bezirk kein Wanderer
Einakter des Abends: „Literatur“, ebenfalls ein
wiederkehrt. Ein süß=grausiges, in feinsten Linien
Schnitzler, aber ein übermütiger, ausgelassener,
gezeichnetes Stimmungsbild, kein Drama und doch
der nach den sehr ernsten und ergreifenden Tönen der
eine Dichtung, das allgewaltige Lied vom Ster¬
beiden ersten Stücke wieder herzliche Heiterkeits¬
ben uns so zu erzen singt, daß alle Saiten in uns
ausbrüche durch das Haus schallen ließ. Eine Baum¬
mitschwingen. Vor einer Reihe von Jahren ist es
wollwarenfabrikanten=Geschiedene — da der Scherz
schon von derselben Stelle erklungen, aber wenn mich
sich vom Münchener Hintergrund abhebt, darf man
meine Erinnerung nicht täuscht, war der Eindruck
auch eine dem Ortsgebrauch ähnliche standesamtliche
trotz der Wiederholung diesmal tiefer, sei es infolge
Bezeichnung anwenden — hat nach längeren Bezieh¬
der tief nachempfundenen Inszenierung des Herrn
ungen zu einem literarischen Bohémien mit einem
Robin Robert, sei es infolge der feinen Sprechkunst
Ritter vom Turf engere Bande angeknüpft, die legi¬
aller Darsteller. Es lag wirklich ein Stück Todes¬
tim zu werden im Begriff sind. Nur ein bunkles
stimmung und Geistererwachen über der Szene.
Wölkchen steht am Himmel der Glücklichen: die kleine
Nirgends störte — nur im Zuschauerraum war es
leider oft recht unruhig — ein Hineinragen der All- Frau dichtet, und ein Bändchen Lyrik enthält so stark
tagswelt, eine Andeutung, wie es gemacht wird, die erotisch Gefärbtes, daß der Zukünstige gegen die
Sammlung und die Hingabe, die ein so gedanken= Fruchtbarkeit ihrer Phantasic argwöhnisch wird und

(2· WIINITENTVerR-GCSeIIschaft NTAN7—)