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8. Die leizten Nasken
—
Endlich noch das Drama von der Liebelei. Es heißt dies¬
Glanz der Gewänder ab. Der neue Kostümgrichner, Herr Fanto,
hat abermals ein Meisterstück gemacht. Ich ziehe ferner Petrarcas mal „Literatur“ und ist höchst ergötzlich, wenn man es ober¬
großen Namen und den historischen Nahmen ab. Endlich ziehe flächlich ansieht. Diese Kafseehausliteraten, diese abenteuernden
ich ab Herrn Wieckes seltsam starre, stilgroße Renaissancefigur Literaturzigennerinnen, die Verhältnisse in München und Wien
mit einander haben, sich heiße Liebesbriefe blutend von der Seele
des Petrarca, Herrn Müllers Maske als heiliger Clemens und
schreiben, aber Abschriften davon beralten, um aus den „mensch¬
Frau Salbachs herzlich warme, wenn auch nicht heiße Dar¬
lichen Dokumenten“ später einmell ###eratur“ zu machen, sind
stellung der Laura, und ich frage: was bleibt? Es ist ein
von Schnitzler, der solche Kneipe###### von Wien her genau
Lob, nach solchen Abzügen, die mancher billig genug dem
Poeten zu gute schreibt, sagen zu können: es bleibt ein kennt und selbst ein Stück von ihnen ist, aufs genaueste geschildert
poetischer Kern mit einer aufs sorgfältigste gefeillen, feier= worden. Aber schärfer angesehen, ist der letzte Einakter die bitterste
Satire auf die beiden vorhergehenden, ja auf alles Künstlertum
lich klingenden Sprache und schöner poetischer Stimmung. So
lange die Personen nur von dem reden, was vergangen ist und überhaupt. Er trifft das Stück Prostitution, das mit allem!
wir die Ereignisse nur durch das verschönernde Medium der künstlerischen Schaffen, sei es Dichten, Singen oder Schauspielen,
verbunden ist und das Preisgabe des Innersten heißt. Die Chan¬
Erinnerung sehen, bleibt auch ein poetischer Gehalt. Aber in
dem Augenblicke, wo die Handlung — spät geuug! — einsetzt, wo sonetten bei Ronacher, die sich im Trikot hinstellen, sind nichts
Laura ihre Liebe bekennt, versagt da: Können von Königsbru# alderes als die Literaten, die ihre innersten Gefühle und Erleb¬
Schaup total. Die Gestalt Lauras ist verschwommen, die nhsse im Lied und im Roman enthüllen, und, setzen wir hinzu.
Motivierung verlirt alles Zwingende; die drammische Be¬auch nichts anderes als Herr Schnitzler, der satirische Dramatiker,
der alle diese Literaturjämmerlichkeit dem Publikum enthüllt.
rechtigung des heiligen Clemens ist mir nicht klar, auch was die
junge Laura soll, verstehe ich nicht, und in romantisch=leere Vor¬
So schließt die Reihe dieser stofflich verschiedenen, innerlich
stellungen löst sich das Stück vom Fluche des Künstlertums auf.
aber zusammenhängenden Werke mit einer fast grotesken Persi¬
Von Arthur Schnitzler hat m##sagt: er habe zwei Spe=flage, mit einer geistreich grinsenden Grimasse: „Alles ist
zialitäten: Biebelei und Sterbelei. anchmal vermischt er die eitel!“— Ein volles Lob gebührt Herrn Lewingers Regie, die 2
die beiden, diesmal trennt er sie und wir haben zuerst in den den wechselnden Ton der drei Dramen charakteristisch traf und
„letzten Masien“ Shnitzlers zweite Spezialität vor uns. Die reich an Feinheiten alle Art war. Im zweiten Stücke waren 2
Szene ist im allgemeinen Krankenhaus. Ein verkommener Herr Froböse und Herr Wiene von menschlich ergreisender
Journalist fuhlt seine letzte Stunde nahe. Verpfuscht erscheint! Wirkung, Herr Froböse sogar meisterhaft. Im letzten Stück weiß 6
ihm sein Leben, und neidisch gedenkt er des Jugendfreundes, des ich nicht, wem die Palme gehührt: Fräulein Serda, die eine
glücklichen Rivalen und berühmten Dichters Weihgast. Erk ehrgeizige Bohemienne im Augenblick, wo sie anständig werden ss
möchte sich in letzter Stunde an ihm rächen. Er weiß ein Ge=will, so flott zeichnete, Herrn Franz, der den österreichischen
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heimnis, das den „Freund“ vernichten muß: daß er, der Ver=Kavalier fabelhaft echt spielte oder Herrn René, der litterarische
Charakterköpfe zu seinem Spezialstudium gemacht haben muß.
achtete, einst die Frau seines Rivalen verführt und daß sie nur
Friedrich Kummer.,
„letzte Maske“ soll fallen. Und der
ihn geliebt habe. D
andere kommt in seichter Überlegenheit sitzt der gefeierte Poet
am Krankenlager des sterbenden Mannes. Aber die letzte Maske
Kunst und Wissenschaft.
fällt nicht. Die beiden sprechen liebenswürdig über ganz gleichgültige
Theater und Musik.
Dinge. Der Sterbende erkennt, wie schwer der so glücklich
* Königliche Hoftheater. Heute Opernhaus (Anfang ½8 Uhr)P.
scheinende berühmte Mann an Schicksalslasten zu tragen hat
und wir es sich nicht lohni, ihm den tötlichen Stoß zu versetzen. Der Freischütz, Schauspielhaus (Anfang ½2 Uhr) VII. Volks=[S
Das Schicksal wirds schon selber tun! Er braucht es sicher sichtlvorstellung: Die Brant von Messina. (Anfang ½8 Uhr)f uf
zu tun, der morgen schon im Land des Todes sein wird. Be= Lumpacivagabundus, Zauberposse mit Gesang in drei Akten M¬
von Nestroy. Die Hauptrollen sind folgendermaßen besetzt: D#
friedigt scheidet er mit dem Bewußtsein, daß der Ruhm, wie
einst zu Petrarcas Zeit zu hoch mit dem Glück des Lebens! Leim — Herr Franz, Zwirn — Herr René, Knieriem — Herrs Ale¬
erkauft werden muß. Das Drama ist ein wenig zu breit an= Gunz, Peppi — Fräulein Serda. Die Rollen der Laura undUl
gelegt, und die Luft des Hosvitals wirkt doppelt beklemmend! Kamilla, die zum größeren Teil Gesangspartien sind, werden von B##
nach Lauras und Petrarcas Liebe; is ist währlich kein reiner den Königlichen Hofopernsängerinnen Frau Irene Abendrothfko
und Fräulein Mira Abendroth dargestellt.
Kunstgenuß, aber alle Einzelheiten sind schlicht und echt, die
* Wochenplan der Königlichen Hoftheater. Opernhaus. bi
Charakteristik ist voller Leben und über dem Ganzen liegt ein
Sonntag den 29. März: Der Freischütz. (Anfang ½8 Uhr.) —
Hauch von Wehmut und von Sronie. Die Schilderung von
Montag: Der fliegende Holländer. (Anfang ½8 Uhr.) — Diens=A
armen, zuckenden Menschenherzen, vom Schimmer des Humors
Mittwoch li
beleuchtet, ist höher zu stellen, als die bald verbleichende Prachtstag: Der Tronbedour. (Anfang ½8 Uhr.) —
schön kostümierter historischer Personen, mag zehnmal auch die den 1. April: Hänsel und Gretel. Auf dem Maskenball. Ballett=m
Wahrheit neben dem Pseudoidealischen eine schlechte Figur machen. Divertissement. (Anfang ½8 Uhr.) — Donnerstag: Tell. (An=ti
8. Die leizten Nasken
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Endlich noch das Drama von der Liebelei. Es heißt dies¬
Glanz der Gewänder ab. Der neue Kostümgrichner, Herr Fanto,
hat abermals ein Meisterstück gemacht. Ich ziehe ferner Petrarcas mal „Literatur“ und ist höchst ergötzlich, wenn man es ober¬
großen Namen und den historischen Nahmen ab. Endlich ziehe flächlich ansieht. Diese Kafseehausliteraten, diese abenteuernden
ich ab Herrn Wieckes seltsam starre, stilgroße Renaissancefigur Literaturzigennerinnen, die Verhältnisse in München und Wien
mit einander haben, sich heiße Liebesbriefe blutend von der Seele
des Petrarca, Herrn Müllers Maske als heiliger Clemens und
schreiben, aber Abschriften davon beralten, um aus den „mensch¬
Frau Salbachs herzlich warme, wenn auch nicht heiße Dar¬
lichen Dokumenten“ später einmell ###eratur“ zu machen, sind
stellung der Laura, und ich frage: was bleibt? Es ist ein
von Schnitzler, der solche Kneipe###### von Wien her genau
Lob, nach solchen Abzügen, die mancher billig genug dem
Poeten zu gute schreibt, sagen zu können: es bleibt ein kennt und selbst ein Stück von ihnen ist, aufs genaueste geschildert
poetischer Kern mit einer aufs sorgfältigste gefeillen, feier= worden. Aber schärfer angesehen, ist der letzte Einakter die bitterste
Satire auf die beiden vorhergehenden, ja auf alles Künstlertum
lich klingenden Sprache und schöner poetischer Stimmung. So
lange die Personen nur von dem reden, was vergangen ist und überhaupt. Er trifft das Stück Prostitution, das mit allem!
wir die Ereignisse nur durch das verschönernde Medium der künstlerischen Schaffen, sei es Dichten, Singen oder Schauspielen,
verbunden ist und das Preisgabe des Innersten heißt. Die Chan¬
Erinnerung sehen, bleibt auch ein poetischer Gehalt. Aber in
dem Augenblicke, wo die Handlung — spät geuug! — einsetzt, wo sonetten bei Ronacher, die sich im Trikot hinstellen, sind nichts
Laura ihre Liebe bekennt, versagt da: Können von Königsbru# alderes als die Literaten, die ihre innersten Gefühle und Erleb¬
Schaup total. Die Gestalt Lauras ist verschwommen, die nhsse im Lied und im Roman enthüllen, und, setzen wir hinzu.
Motivierung verlirt alles Zwingende; die drammische Be¬auch nichts anderes als Herr Schnitzler, der satirische Dramatiker,
der alle diese Literaturjämmerlichkeit dem Publikum enthüllt.
rechtigung des heiligen Clemens ist mir nicht klar, auch was die
junge Laura soll, verstehe ich nicht, und in romantisch=leere Vor¬
So schließt die Reihe dieser stofflich verschiedenen, innerlich
stellungen löst sich das Stück vom Fluche des Künstlertums auf.
aber zusammenhängenden Werke mit einer fast grotesken Persi¬
Von Arthur Schnitzler hat m##sagt: er habe zwei Spe=flage, mit einer geistreich grinsenden Grimasse: „Alles ist
zialitäten: Biebelei und Sterbelei. anchmal vermischt er die eitel!“— Ein volles Lob gebührt Herrn Lewingers Regie, die 2
die beiden, diesmal trennt er sie und wir haben zuerst in den den wechselnden Ton der drei Dramen charakteristisch traf und
„letzten Masien“ Shnitzlers zweite Spezialität vor uns. Die reich an Feinheiten alle Art war. Im zweiten Stücke waren 2
Szene ist im allgemeinen Krankenhaus. Ein verkommener Herr Froböse und Herr Wiene von menschlich ergreisender
Journalist fuhlt seine letzte Stunde nahe. Verpfuscht erscheint! Wirkung, Herr Froböse sogar meisterhaft. Im letzten Stück weiß 6
ihm sein Leben, und neidisch gedenkt er des Jugendfreundes, des ich nicht, wem die Palme gehührt: Fräulein Serda, die eine
glücklichen Rivalen und berühmten Dichters Weihgast. Erk ehrgeizige Bohemienne im Augenblick, wo sie anständig werden ss
möchte sich in letzter Stunde an ihm rächen. Er weiß ein Ge=will, so flott zeichnete, Herrn Franz, der den österreichischen
1
heimnis, das den „Freund“ vernichten muß: daß er, der Ver=Kavalier fabelhaft echt spielte oder Herrn René, der litterarische
Charakterköpfe zu seinem Spezialstudium gemacht haben muß.
achtete, einst die Frau seines Rivalen verführt und daß sie nur
Friedrich Kummer.,
„letzte Maske“ soll fallen. Und der
ihn geliebt habe. D
andere kommt in seichter Überlegenheit sitzt der gefeierte Poet
am Krankenlager des sterbenden Mannes. Aber die letzte Maske
Kunst und Wissenschaft.
fällt nicht. Die beiden sprechen liebenswürdig über ganz gleichgültige
Theater und Musik.
Dinge. Der Sterbende erkennt, wie schwer der so glücklich
* Königliche Hoftheater. Heute Opernhaus (Anfang ½8 Uhr)P.
scheinende berühmte Mann an Schicksalslasten zu tragen hat
und wir es sich nicht lohni, ihm den tötlichen Stoß zu versetzen. Der Freischütz, Schauspielhaus (Anfang ½2 Uhr) VII. Volks=[S
Das Schicksal wirds schon selber tun! Er braucht es sicher sichtlvorstellung: Die Brant von Messina. (Anfang ½8 Uhr)f uf
zu tun, der morgen schon im Land des Todes sein wird. Be= Lumpacivagabundus, Zauberposse mit Gesang in drei Akten M¬
von Nestroy. Die Hauptrollen sind folgendermaßen besetzt: D#
friedigt scheidet er mit dem Bewußtsein, daß der Ruhm, wie
einst zu Petrarcas Zeit zu hoch mit dem Glück des Lebens! Leim — Herr Franz, Zwirn — Herr René, Knieriem — Herrs Ale¬
erkauft werden muß. Das Drama ist ein wenig zu breit an= Gunz, Peppi — Fräulein Serda. Die Rollen der Laura undUl
gelegt, und die Luft des Hosvitals wirkt doppelt beklemmend! Kamilla, die zum größeren Teil Gesangspartien sind, werden von B##
nach Lauras und Petrarcas Liebe; is ist währlich kein reiner den Königlichen Hofopernsängerinnen Frau Irene Abendrothfko
und Fräulein Mira Abendroth dargestellt.
Kunstgenuß, aber alle Einzelheiten sind schlicht und echt, die
* Wochenplan der Königlichen Hoftheater. Opernhaus. bi
Charakteristik ist voller Leben und über dem Ganzen liegt ein
Sonntag den 29. März: Der Freischütz. (Anfang ½8 Uhr.) —
Hauch von Wehmut und von Sronie. Die Schilderung von
Montag: Der fliegende Holländer. (Anfang ½8 Uhr.) — Diens=A
armen, zuckenden Menschenherzen, vom Schimmer des Humors
Mittwoch li
beleuchtet, ist höher zu stellen, als die bald verbleichende Prachtstag: Der Tronbedour. (Anfang ½8 Uhr.) —
schön kostümierter historischer Personen, mag zehnmal auch die den 1. April: Hänsel und Gretel. Auf dem Maskenball. Ballett=m
Wahrheit neben dem Pseudoidealischen eine schlechte Figur machen. Divertissement. (Anfang ½8 Uhr.) — Donnerstag: Tell. (An=ti