III, Einakter 8, (Lebendige Stunden. Vier Einakter), Die letzten Masken (Der sterbende Journalist), Seite 22



4 2 Schauspielhaus.
„Die letzten Maslen“ — „Literatur“. —
+44,, —„Der grüne Kakadu“.
□ Tüsseldorf, den 23. Jan.
Von drei Schnitzlerschen Einaktern, die das Schau¬
spielhaus heute Avend vorsetzte, waren zwei, „Die
letzten Masken" und „Litexatur, beide den „Leben¬
digen Stunden“ entnommen, für Tüsseldorf neu, wäh¬
rend der dritte, „Der grüne Kakadu“, seinerzeit bereits
unter der Direktion Gottinger im Stadttheater in
Szene gegangen ist. In richtiger Einschätzung der drei
Stücke hatte man die Groteske an die letzte Stelle ge¬
setzt, und so gab's ein eisig kaltes Sturzbad, nachdem
man den Karbolhauch der „Letzten Masken“ geatmet
und den prickelnden Parfümstaub, der von der „Lite¬
ratur“ ausging, sich hatte ins Gesicht sprühen lassen.
Es war eine starke Wirkung, die von diesem letzten
Einakter ausging, so stark, daß sie schon mehr groß
war, daß das (übrigens nicht sehr zahlreich erschienene)
Publikum wie vor den Kopf geschlagen dasaß und keine
Hand sich zum Beifall rührte. Auch im Drama kann
der Bogen überspannt werden, so daß er bricht, jeden¬
falls war es kein künstlerischer Volltreffer, der da heute
erzielt wurde. Mit Rücksicht auf die damalige Auf¬
führung im Stadttheater, die in diesem Blatte aus¬
führlich besprochen wurde, können wir heute wohl von
einer genaueren Inhaltsangabe des „Grünen Kakadu“
absehen und uns auf einige erinnernde Andeutungen
beschränken. Das Stück spielt in Paris am 14. Juli
1789, am Tage des Sturmes auf die Bastille, in der
Spelunke Prospères der früher eine Theatertruppe
leitete und mit seinen Leuten auch jetzt noch Komödie
spielt; nur in einer anderen Art als früher. Die
Akteure und Aktricen sitzen in der Kellerkneive herum
und tun, als wenn sie Verbrecher wären. Sie er¬
zählen haarsträubende Geschichten, die sie nie erlebt —
sprechen von Untaten, die sie nie begangen haben. Und
das Publikum, das hierher kommt, die elegantesten Leute
von Paris, Adelige, Herren vom Hof, hat den ange¬
nehmen Kitzel, unter dem gejährlichsten Gesindel
der Stadt zu sitzen. Das rüttelt ihnen die erschlafften
Sinne auf. Aus diesem Milieu heraus nun, das mit
raffinierter Gestaltungskraft vor uns hingestellt wird,
erwachsen zwei parallele Dramen. Das historische:
Einer der Akteure hat sich voll Haß gesogen gegen die
feine Gesellschaft, und nicht zuletzt seine feurige Bered¬
samkeit im Palais Royal bewirkt den Sturm auf die
Bastille, den Beginn der blutigen Revolution. Es war
ein Vulkan, auf dem die feinen Herren und Damen
tanzten. Das individuelle: Der beste Schauspieler
Prospères, Henri, hat die Schauspielerin Léocadie von
der Porte Saint Martin geheiratet, ein Engel von Ge¬
stalt, und „geschaffen doch, die größte, die herrlichste
Dirne der Welt zu sein“, wie der Herzog von Cadignan,
einer ihrer vielen Liebhaber, von ihr sagt. Sein Hoch¬
zeitsgeschenk soll sein, daß sie ihn jehe, wenn ex hier,
bei Prospere, zum letzten Male auftrete, denn er will
dann mit seiner wahnsinnig geliebten jungen Frau aufs
Land, zu seinem Vater zuruckkehren. Und er trägt eine
Geschichte vor, die allen kalte Schauer über den Rücken
jagt. Er erzählt, daß er seine Frau in den Armen des
Herzogs von Cadignan angetroffen, und daß er den
Herzog erdolcht habe. Alle wissen, daß der Herzog ein
Geliekter der Léocadie ist und sehr wohl kurz zuvor bei
ihr gewesen sein kann, nur er nicht, seine Erzählung ist
ein Produkt seiner Phantasic, sein Spiel ist nur so
meisterlich wahrhaft. Da alle aber glauben, daß es
wahr sei, erfährt er die Wahrheit, und der von der
Léocadie zurücklehrende Herzog stirbt von seiner Hand,
während die Menge in wildem Getöse die hereinge¬
brochene Freiheit leben läßt. — Schnitzler selbst war sich
des überspannten seiner Dichtung bewußt und nannte
sie „Groteske“ und die Darstellung tut gut, den Finger¬
zeig, der darin liegt, zu beachten. Vielleicht geschah dies
heute Abend nicht hinreichend, hätte die Aufführung
ein wenig mehr auf die Groteske gestimmt sein können.
Darum braucht ja die haarscharfe Charakteristik, die der
Dichter liefert, nicht unbenutzt unter den Regietisch
zu sollen, es handelt sich nur um eine entsprechende
Stilisierung. Die falschen Verbrecher Prospères waren
denn auch stilisiert im Sinne der Groteske, die sich
amüsierende Gesellschaft hingegen so gut wie nicht. Eine
einzige Ausnahme machte hier Fräulein Körner in dey
Rolle der perversen Marauise von Lansac, die, nachden
sie den Herzog von Cadignan hat sterben sehen, dem
Dichter Rollin eine Liebesnacht verspricht, da sie sich
die vorzügliche Dar¬
„angenehm erregt“ findet:
stellerin hatte die richtigen kräftigen Farben parat.
Den Hexzog gab Herr Fritz Randers, unter
—welchem Psendiuhm in em mimetes Mitglied des
Stadttheaters, Herrn Dr. Groteck zu erkennen glaubten,!
Taset übet seintem Derte stehen, soie er strost einem
Leidensgenossen, dem Schauspieler Florian Jackwerth,
dessen Ende der Arzt in acht Tagen erwartet, sagt.
An Gall', daß er vor Leuten hat buckeln müssen, die
er verachtet hat, um eine Stellung zu kriegen. Am
Ekel, daß er hat Dinge schreiben mussen, an die er
nicht geglaubt hat, um nicht zu verhungern. Am
Zorn, daß er für die insamsten Leutausbeuter hat
Zeilen schinden müssen, die ihr Geld erschwindelt und
ergaunert haben, und daß er ihnen noch dabei geholfen
hat mit seinem Talent. Sein letzter glühender Wunsch
ist nun, seinem einstigen Freunde, dem berühmten
Dichter Weihgast zu sagen, wie er ihn verachte —
seines Erfolges wegen, was er aber nicht zugesteht —
und die Gelegenheit hierzu wird ihm zuteil, Weihgast
erscheint im Spital. Aber er müßte eine Gemeinheit
begehen, nämlich sagen, daß Weihgasts Frau vor
zw anzig Jahren seine, Rademachers Geliebte ge¬
wesen,
und das vermag er nicht
schweigt. Den Kampf des Kranken mit dem absterben¬
den Korper, die Verbitterung, die zwischen liefster Hoff¬
nungslosig.eit und schnell regem Optimismus, den
Seelenlampf — all das malte der Darsteller geradezu
erschreckend anschaulich. Nicht auf gleicher Höhe stand
die Wiedergabe des Schauspielers Jackwerth durch
Herrn Kühne. Ihr würde es nichts geschadet haben,
wenn sie Awas von dem Geiste des Schauspielers in
Gorkis „Nachtasyl“ in sich getragen hätte.
Viel Vergnügen bereitete nach dieser Spital=Episode
lecke Idee in ergötzlichster Weise verarbeitet. Es sliz¬
zieren, hieße es seines köstlich=satirischen Duftes be¬
rauben, der aber bedeutet seinen eigentlichen Wert.
Will man sich eine halbe Stunde wirklich anregender,
fröhlicher Unterhaltung verschaffen, so sehe man sich
dieses Werkchen an, und zwar sehe man es sich in der
Wiedergabe durch Frl. Körner und die Herren
Stoeckel und Schmidt=Häßler an. Man kann
sagen, daß die darstellenden Herrschaften den Esprit
des Verfassers sich in vollem Maße zu eigen gemacht!
haben und in fröhlicher Gestaltung der Figuren wider¬
strahlen. — Die Regie hatte bei allen drei Stücken Hert
Emil Geyer, eine neu gewonnene Kraft des
Schausvielhauses, in tadelloser Weise besorat—