Mas
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8. D16
2 K. Schauspielhaus.
„Die letzten Masken“. — „Literatur“.
M##.(„Der grüne Kakadu“.
1700
□ Düsseldorf, den 23. Jan.
Von drei Schnitzlerschen Einaktern, die das Schau¬
spielhaus heute Abend vorsetzte, waren zwei, „Die
letzten Masken" und „Litexatur, beide den „Leben¬
digen Stunden“ entnommen, für Düsseldorf neu, wäh¬
rend der dritte, „Der grüne Kakadu“, seinerzeit bereits
unter der Direktion Gottinger im Stadttheater in
Szene gegangen ist. In richtiger Einschätzung der drei
Stücke hatte man die Groteske an die letzte Stelle ge¬
setzt, und so gab's ein eisig kaltes Sturzbad, nachdem
man den Karbolhauch der „Letzten Masken“ geatmet
und den prickelnden Parfümstaub, der von der „Lite¬
ratur“ ausging, sich hatte ins Gesicht sprühen lassen.
Es war eine starke Wirkung, die von diesem letzten
Einakter ausging, so stark, daß sie schon mehr graß
war, daß das (übrigens nicht sehr zahlreich erschienene
Puolikum wie vor den Kopf geschlagen dasaß und keine
Hand sich zum Beifall rührte. Auch im Drama kann
der Bogen überspannt werden, so daß er bricht, jeden¬
falls war es kein künstlerischer Volltreffer, der da heute
erzielt wurde. Mit Rücksicht auf die damalige Auf¬
führung im Stadttheater, die in diesem Blatte aus¬
führlich besprochen wurde, können wir heute wohl von
einer genaueren Inhaltsangabe des „Grünen Kakadu“
absehen und uns auf einige erinnernde Andeutungen
beschränken. Das Stück spielt in Paris am 14. Juli
1789, am Tage des Sturmes auf die Bastille, in der
Spelunke Prospères, der früher eine Theatertruppe
leitete und mit seinen Leuten auch jetzt noch Komödie
spielt; nur in einer anderen Art als früher. Die
Akteure und Aktricen sitzen in der Kellerkneipe herum
und tun, als wenn sie Verbrecher wären. Sie er¬
zählen haarsträubende Geschichten, die sie nie erlebt —
sprechen von Untaten, die sie nie begangen haben. Und
das Publikum, das hierher kommt, die elegantesten Leute
von Paris, Adelige, Herren vom Hof, hat den ange¬
nehmen Kitzel, unter dem gefährlichsten Gesindel
der Stadt zu sitzen. Das rüttelt ihnen die erschlafften
Sinne auf. Aus diesem Milieu heraus nun, das mit
raffinierter Gestaltungskraft vor uns hingestellt wird,
erwachsen zwei parallele Dramen. Das historische:
Einer der Akteure hat sich voll Haß gesogen gegen die
feine Gesellschaft, und nicht zuletzt seine feurige Bered¬
samkeit im Palais Royal bewirkt den Sturm auf die
Bastille, den Beginn der blutigen Revolution. Es war
ein Vulkan, auf dem die feinen Herren und Damen
tanzten. Das individuelle: Der beste Schauspieler
Prospéres, Henri, hat die Schauspielerin Léocadie von
der Porte Saint Martin geheiratet, ein Engel von Ge¬
stalt, und „geschaffen doch, die größte, die herrlichste
Dirne der Welt zu sein“ wie der Herzog von Cadignan,
einer ihrer vielen Liebhaber, von ihr sagt. Sein Hoch¬
zeitsgeschenk soll sein, daß sie ihn sehe, wenn er hier,
bei Prospère, zum letzten Male auftrete, denn er will
dann mit seiner wahnsinnig geliebten jungen Frau aufs
1
Land
seinem ##ter
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und weitere adelige Lebeherren verkörperten die Herren
[Claudius (Vicomte von Nogeant), Tautz (Chevalter
de la Tremouille), Krampert (Marquis de Lansac).
Den Henri verkörperte Herr Stoeckel in prächtiger
Leidenschaft, die Mordgeschichte brachte er so packend vor,
daß die Genossen in der Tat versucht sein konnten, sie
als Wahrheit hinzunehmen. Eine zierliche kokette Léocadie
war Fräulein Gurlitt, ein Prospère von wirkungs¬
sicherer Originalität Herr Odemar, und sodann sind
hier noch mit Lob namhaft zu machen das Pfendogesindel
der Herren Kühne, Schmidt=Häßler, Pratl
und der Damen Hall und Gurlitt, weiter der
Philosoph und Volksredner Grasset des Herrn Albert
Fischer.
Einen verhältnismäßig geringen Eindruck hinterließ
das Schauspiel „Die letzten Masken“, geringer jeden¬
falls, als man ihn nach der Lektüre hätte annehmen
dürfen. Und dabei spielte Herr Schmidt=Häßler!
den armen Teufel von Journalisten, der nach einem
Leben voll Kampf und Not das armselige Leben im
Spital beschließt, und dessen letzter vergeblicher Kampf
und Ende den Inhalt des Einalters ausmachen, mit
erschütternder Realistik. Dieser Karl Rademacher geht
nicht an den lateinischen Vokabeln zugrunde, die auf
der Tafel über seinem Bette stehen, wie er selbst einem
Leidensgenossen, dem Schauspieler Florian Jackwerth,
dessen Ende der Arzt in acht Tagen erwartet, sagt.
An Gall' daß er vor Leuten hat buckeln müssen, die
er verachtet hat, um eine Stellung zu kriegen. Am
Ekel, daß er hat Dinge schreiben mussen, an die er
nicht geglaubt hat, um nicht zu verhungern. Am
Zorn, daß er für die infamsten Leutausbeuter hat
Zeilen schinden müssen, die ihr Geld erschwindelt und
ergaunert haben, und daß er ihnen noch dabei geholfen
hat mit seinem Talent. Sein letzter glühender Wunsch
ist nun, seinem einstigen Freunde, dem berühmten
Dichter Weihgast zu sagen, wie er ihn verachte —
seines Erfolges wegen, was er aber nicht zugesteht —,
und die Gelegenheit hierzu wird ihm zuteil, Weihgast
erscheint im Spital. Aber er müßte eine Gemeinheit
begehen, nämlich sagen, daß Weihgasts Frau vor
zwanzig Jahren seine, Rademachers Geliebte ge¬
wesen,
620
und das vermag er nicht
er
schweigt. Den Kampf des Kranken mit dem absterben¬
den Korper, die Verbitterung, die zwischen tiefster Hoff¬
nungslosigleit und schnell regem Optimismus, den
Seelenlampf — all das malte der Darsteller geradezu
erschreckend anschaulich. Nicht auf gleicher Höhe stand
die Wiedergabe des Schauspielers Jackwerth durch
Herrn Kühne. Ihr würde es nichts geschadet haben,
wenn sie stwas von dem Geiste des Schauspielers in
Gorkis „Nachtasyl“ in sich getragen hätte.
Viel Vergnügen bereitete nach dieser Spital=Episode
das Lustspiel „Literatur“ worin Schnitzler eine lustige,
lecke Idee in ergötzlichster Weise verarbeitet. Es stiz¬
zieren, hieße es seines köstlich=satirischen Duftes be¬
rauben, der aber bedeutet seinen eigentlichen Wert.
Will man sich eine halbe Stunde wirklich anregender,
fröhlicher Unterhaltung verschaffen, so sehe man sich
dieses Werkchen an, und zwar sehe man es sich in der
Wiedergabe durch Frl. Körner und die Herren
Stoeckel und Schmidt=Häßler an. Man kann
sagen, daß die darstellenden Herrschaften den Esprit
des Verfassers sich in vollem Maße zu eigen gemacht
haben und in fröhlicher Gestaltung der Figuren wider¬
strahlen. — Die Regie hatte bei allen drei Stücken Her¬
Emil Geyer, eine neu gewonnene Kraft des
Schausvielhauses in tadelloser Weise besorgt
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2 K. Schauspielhaus.
„Die letzten Masken“. — „Literatur“.
M##.(„Der grüne Kakadu“.
1700
□ Düsseldorf, den 23. Jan.
Von drei Schnitzlerschen Einaktern, die das Schau¬
spielhaus heute Abend vorsetzte, waren zwei, „Die
letzten Masken" und „Litexatur, beide den „Leben¬
digen Stunden“ entnommen, für Düsseldorf neu, wäh¬
rend der dritte, „Der grüne Kakadu“, seinerzeit bereits
unter der Direktion Gottinger im Stadttheater in
Szene gegangen ist. In richtiger Einschätzung der drei
Stücke hatte man die Groteske an die letzte Stelle ge¬
setzt, und so gab's ein eisig kaltes Sturzbad, nachdem
man den Karbolhauch der „Letzten Masken“ geatmet
und den prickelnden Parfümstaub, der von der „Lite¬
ratur“ ausging, sich hatte ins Gesicht sprühen lassen.
Es war eine starke Wirkung, die von diesem letzten
Einakter ausging, so stark, daß sie schon mehr graß
war, daß das (übrigens nicht sehr zahlreich erschienene
Puolikum wie vor den Kopf geschlagen dasaß und keine
Hand sich zum Beifall rührte. Auch im Drama kann
der Bogen überspannt werden, so daß er bricht, jeden¬
falls war es kein künstlerischer Volltreffer, der da heute
erzielt wurde. Mit Rücksicht auf die damalige Auf¬
führung im Stadttheater, die in diesem Blatte aus¬
führlich besprochen wurde, können wir heute wohl von
einer genaueren Inhaltsangabe des „Grünen Kakadu“
absehen und uns auf einige erinnernde Andeutungen
beschränken. Das Stück spielt in Paris am 14. Juli
1789, am Tage des Sturmes auf die Bastille, in der
Spelunke Prospères, der früher eine Theatertruppe
leitete und mit seinen Leuten auch jetzt noch Komödie
spielt; nur in einer anderen Art als früher. Die
Akteure und Aktricen sitzen in der Kellerkneipe herum
und tun, als wenn sie Verbrecher wären. Sie er¬
zählen haarsträubende Geschichten, die sie nie erlebt —
sprechen von Untaten, die sie nie begangen haben. Und
das Publikum, das hierher kommt, die elegantesten Leute
von Paris, Adelige, Herren vom Hof, hat den ange¬
nehmen Kitzel, unter dem gefährlichsten Gesindel
der Stadt zu sitzen. Das rüttelt ihnen die erschlafften
Sinne auf. Aus diesem Milieu heraus nun, das mit
raffinierter Gestaltungskraft vor uns hingestellt wird,
erwachsen zwei parallele Dramen. Das historische:
Einer der Akteure hat sich voll Haß gesogen gegen die
feine Gesellschaft, und nicht zuletzt seine feurige Bered¬
samkeit im Palais Royal bewirkt den Sturm auf die
Bastille, den Beginn der blutigen Revolution. Es war
ein Vulkan, auf dem die feinen Herren und Damen
tanzten. Das individuelle: Der beste Schauspieler
Prospéres, Henri, hat die Schauspielerin Léocadie von
der Porte Saint Martin geheiratet, ein Engel von Ge¬
stalt, und „geschaffen doch, die größte, die herrlichste
Dirne der Welt zu sein“ wie der Herzog von Cadignan,
einer ihrer vielen Liebhaber, von ihr sagt. Sein Hoch¬
zeitsgeschenk soll sein, daß sie ihn sehe, wenn er hier,
bei Prospère, zum letzten Male auftrete, denn er will
dann mit seiner wahnsinnig geliebten jungen Frau aufs
1
Land
seinem ##ter
box 34/7
und weitere adelige Lebeherren verkörperten die Herren
[Claudius (Vicomte von Nogeant), Tautz (Chevalter
de la Tremouille), Krampert (Marquis de Lansac).
Den Henri verkörperte Herr Stoeckel in prächtiger
Leidenschaft, die Mordgeschichte brachte er so packend vor,
daß die Genossen in der Tat versucht sein konnten, sie
als Wahrheit hinzunehmen. Eine zierliche kokette Léocadie
war Fräulein Gurlitt, ein Prospère von wirkungs¬
sicherer Originalität Herr Odemar, und sodann sind
hier noch mit Lob namhaft zu machen das Pfendogesindel
der Herren Kühne, Schmidt=Häßler, Pratl
und der Damen Hall und Gurlitt, weiter der
Philosoph und Volksredner Grasset des Herrn Albert
Fischer.
Einen verhältnismäßig geringen Eindruck hinterließ
das Schauspiel „Die letzten Masken“, geringer jeden¬
falls, als man ihn nach der Lektüre hätte annehmen
dürfen. Und dabei spielte Herr Schmidt=Häßler!
den armen Teufel von Journalisten, der nach einem
Leben voll Kampf und Not das armselige Leben im
Spital beschließt, und dessen letzter vergeblicher Kampf
und Ende den Inhalt des Einalters ausmachen, mit
erschütternder Realistik. Dieser Karl Rademacher geht
nicht an den lateinischen Vokabeln zugrunde, die auf
der Tafel über seinem Bette stehen, wie er selbst einem
Leidensgenossen, dem Schauspieler Florian Jackwerth,
dessen Ende der Arzt in acht Tagen erwartet, sagt.
An Gall' daß er vor Leuten hat buckeln müssen, die
er verachtet hat, um eine Stellung zu kriegen. Am
Ekel, daß er hat Dinge schreiben mussen, an die er
nicht geglaubt hat, um nicht zu verhungern. Am
Zorn, daß er für die infamsten Leutausbeuter hat
Zeilen schinden müssen, die ihr Geld erschwindelt und
ergaunert haben, und daß er ihnen noch dabei geholfen
hat mit seinem Talent. Sein letzter glühender Wunsch
ist nun, seinem einstigen Freunde, dem berühmten
Dichter Weihgast zu sagen, wie er ihn verachte —
seines Erfolges wegen, was er aber nicht zugesteht —,
und die Gelegenheit hierzu wird ihm zuteil, Weihgast
erscheint im Spital. Aber er müßte eine Gemeinheit
begehen, nämlich sagen, daß Weihgasts Frau vor
zwanzig Jahren seine, Rademachers Geliebte ge¬
wesen,
620
und das vermag er nicht
er
schweigt. Den Kampf des Kranken mit dem absterben¬
den Korper, die Verbitterung, die zwischen tiefster Hoff¬
nungslosigleit und schnell regem Optimismus, den
Seelenlampf — all das malte der Darsteller geradezu
erschreckend anschaulich. Nicht auf gleicher Höhe stand
die Wiedergabe des Schauspielers Jackwerth durch
Herrn Kühne. Ihr würde es nichts geschadet haben,
wenn sie stwas von dem Geiste des Schauspielers in
Gorkis „Nachtasyl“ in sich getragen hätte.
Viel Vergnügen bereitete nach dieser Spital=Episode
das Lustspiel „Literatur“ worin Schnitzler eine lustige,
lecke Idee in ergötzlichster Weise verarbeitet. Es stiz¬
zieren, hieße es seines köstlich=satirischen Duftes be¬
rauben, der aber bedeutet seinen eigentlichen Wert.
Will man sich eine halbe Stunde wirklich anregender,
fröhlicher Unterhaltung verschaffen, so sehe man sich
dieses Werkchen an, und zwar sehe man es sich in der
Wiedergabe durch Frl. Körner und die Herren
Stoeckel und Schmidt=Häßler an. Man kann
sagen, daß die darstellenden Herrschaften den Esprit
des Verfassers sich in vollem Maße zu eigen gemacht
haben und in fröhlicher Gestaltung der Figuren wider¬
strahlen. — Die Regie hatte bei allen drei Stücken Her¬
Emil Geyer, eine neu gewonnene Kraft des
Schausvielhauses in tadelloser Weise besorgt