III, Einakter 8, (Lebendige Stunden. Vier Einakter), Die letzten Masken (Der sterbende Journalist), Seite 71

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8. Die letzten Masken
Jieft 1
„Die (Duelle“
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erhalten, man würde Begriffe kennen lernen,
Glücklichen ist in den Armen des Gestrandeten
Ansichten und Aussprüche hören, daß mon der
gelegen! Der Sieger war eigentlich der Besiegte!
Idee, ein Erziehungssystem zum Lesenlernen zu
Eine letzte Regung von Neid und Haß peitscht
schaffen, nur beipflichten kann.
den Kranken auf, dem Nebenbuhler in der letzten
Abgesehen davon, daß die meisten sogenannten
Stunde die Wahrheit zu sagen. Aber dann sieht
„Gebildeten“ viel lieber „schöne“ Bücher haben,
er ihn wirklich vor sich, den gehetzten Menschen,
ein Laster, von welchem die
der täglich für sein bißchen Ruhm zittern muß,
als gute lesen,
ärmeren Klassen aus naheliegenden Gründen ver¬
einen armseligen, in tausend Aengsten zitternden
= findet man in allen Ständen
schont bleiben
Sklaven des Glückes, und plötzlich erkennt er,
und Kreisen eine derartige Wahllosigkeit im Lesen,
wie nichtig und wertlos das bißchen Ruhm,
daß man sich unwillkürlich fragen muß: „Warum
Ehre, Erfolg ist. Da schweigt er und läßt den
herrscht gerade auf dem Gebiete der Literatur
Nebenbuhler laufen. Vor dem Tode werden so
eine derart erschreckende Unwissenheit?“ Und doch
viele Wichtigkeiten zu Nichtigkeiten! Der arme
ist die richtige Antwort nicht schwer zu finden.
Journalist im Krankenzimmer schweigt und sein
Wie der geübte Hochtourist erst kleine Wege
Schweigen ist ein überlegenes Lächeln ...
unzähligemale gehen muß, um dann führerlos
Der Einakter „Literatur“ ist das Ueber¬
einen gefährlichen Pfad beherrschen zu können,
mütigste, was Schnitzler je geschrieben hat. Es
ebenso bedarf es auch Anleitungen zu einem ver¬
ist eine Verhöhnung der kleinen Gewerbetreibenden
nünftigen, zweckdienlichen Lesen. Das Lesen hat
der Feder, die aus ihren Liebesnächten sinnliche
nicht bloß den Zweck, müßige Stunden auszufüllen,
Gedichte und aus imen Verhältnissen erlebte
sondern es soll unterhalten und bilden zu¬
Romane machen. Ueber diesem Einakter konnte
gleich; ein Buch soll ein Lehrer sein für solche,
das Wort eines norwegischen Dichters stehen:
die nicht mehr auf der Schulbank sitzen können.
„Leben wird zu Kunst verpfuscht und die Kunst
Als so eine Anleitung, besser gesagt, als ein
wird zum Geschäft.“ Auch hier hat Schnitzler
Führer in die Literatur — für die Massen ge¬
mit dem ruhigen, unbeirrbaren Forscherblick des
dacht — erscheint mir die vorliegende Zeitschrift
Arztes und mit dem leichten Lächeln des Drüber¬
„Die Quelle“. Dieses Blatt soll nicht etwa
stehenden eine Lebenslüge durchschaut und zer¬
Bücher entbehrlich, sondern unentbehrlich
zaust. Er schildert in den männlichen und weib¬
machen. Es ist ein Mittelding zwischen Zeitschrift
lichen Schreibtischmenschen die ganze kümmerliche,
und Buch, sicher aber der beste Behelf, um den
eitle, grundverlogene Gattung. Andere Geschäfts¬
Dichter für den Leser und den Leser für den
leute handeln mit Tuch oder mit alten Kleidern
Dichter zu gewinnen.
oder mit Eisenbestandteilen, diese Literaten
Und das ist gerade in unserer Zeit — wo
handeln mit ihren Erlebnissen. Die Sympathie
der Verlagserfolg oft ein größerer ist, als der
des Zuschauers gehört eigentlich jenem ein
Buchwert, wo der Büchermarkt überschwemmt
bißchen einfältigen, aber redlich empfindenden
wird von einer Flut täglicher Erzeugnisse —
Aristokraten, der liebt, um zu lieben, und nicht
liebt, um zu schreiben. So freimütig scherzen konnte
eine Notwendigkeit, um sich zurechtzufinden, um
zu lernen, welche Bücher gut, und welch Bücher
kein Literat. Diese kleine, meisterhafte Komödie
schlecht geschrieben sind.
„Literatur“ konnte nur ein Dichter schreiben!
Was in Deutschland neben anderen Volks¬
bildungsvereinen der „Dürerbund“ durch Ver¬
sendung von Flugblättern, Bücherlisten und durch
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die umfassende „Schatzgräber=Bücherei",
Bücherschau.
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was der Verlag Hesse durch G. Witkowskis
Broschüren „Was sollen wir lesen?" (Preis
20 Pf.) und „Die Kunst und das Leben“
(Preis 40 Pf.) sowie Th. Herolds Bändchen
Von K. F. Escuyer=Wittich, Wien.
„Moderne Literatur und Schule“ (Preis
20 Pf., Max Hesse, Leipzig) besorgt, das geschieht
„Es gibt weder moralische noch unmoralische
in Oesterreich allein durch diese wirklich volks¬
Bücher. Bücher sind gut oder schlecht geschrieben.
bildend gehaltene Zeitschrift in sachlicherer und
Nichts sonst.
praktischer Weise.
So sagt Oskar Wilde, „der Schöpfer schöner
Der Leser wird hier nicht erst auf den Dichter
Dinge“ im Vorwort zu seinem Romon: „Das
und seine Werke aufmerksam gemacht, sondern er
Bildnis des Dorian Gray“.
lernt beide durch Biographien und Proben aus
Würde man nun, diesen Worten nachgehend,
seinen Schriften zugleich kennen. Daneben gehen
die Frage auswersen: „Welche Bücher sind gut,
noch andere bedeutende Autoren auf Schritt und
und welche Bücher sind schlecht geschrieben?“ si
würde man sicher die sonderbarsten Antworten Tritt mit, mitsingend und mitredend! Das ist