1. Die Frage an das Schic
Ur
Die Wolt am Kontag Berlin
som:
Theater und Musik.
Schnitzler=Abend.
(Theaier in der Königgrätzer Siraße.)
Auf der Bühne, die vornehmlich Strindberg pflegt, erschien
uns Schnitzler diesmal als blasser wienerischer Schatten dei
schwerblütigen schwedischen Grüblers. Jeder der vier geboienen
Einakter varüert das Thema von der Untreue der Frau, das
in Strindberg einen Meister fand. Schnitzler aber verschmähl
die tragische Tiefe. Spielerisch plätschern heiter fundierte
Dialoge zwischen Mann und Weib, und am Schluß gibt's nie
eine Katastrophe.
Vier Darsteller bestritten alle vier Einalter. Frau Triesch
(in „Denksteine" und „Literatur“) war interessant, wie immer,
aber der starken Tragödin liegt Strindberg besser als Schnitzler
Ganz in ihrem Element war Frl. Orska (in „Die Frage an
das Schickial" und „Abschiedssouper“); quecksilbrig kokett, kätzchen
haft schmiegsam mit einem Stich ins Vulgäre, gelang ihr be¬
sonders die kleine Kokotte im „Abschiedssouper“. Den Part des
Männchens in allen vier Stücken bestritt erfolgreich Here Eugen
Burg, wenn auch nicht ganz schnitzlerisch leichtbeschwingt. Herr
Alexander Ekert half mit sicherer Technik dem Humor
zu seinem Recht.
Lobende Erwähnung verdienen die geschmackvollen Deko¬
rationen Svend Gades.
(Fortsetzung in der Beilage.)
Ausschnitt aus:
8-MAl 19GERIIANIIN BERLIN
vom:
Cheater.
— Theater in der Königgrätzer Straße. Der Mai ist ge¬
ko#hen; da werden auch an dieser Stätte des schweren Kamp¬
für schwere Gewichte leichte Nichtigkeiten nachserviert,
kleine Einakter von
r. Dinge, die schon ein
wenig Patina angesetzt haben.lrost, dasthr ist
der Stoff, auf dem die Patina liegt, nicht gehaltvoll, nich
sein genug; aber doch ein Rost, der vergessen macht, wohin
die Weichheit und Schwächlichkeit der Themenbehandlung, die¬
ses juste Milien der Wiener Moderne der neunziger Jahre
und seiner Nachtreter, führt. Nichtigkeiten plätschern einmal
beschwingter, einmal langsamer vorbei; und man wundert sich
schließlich doch über die Formkunst des Causeurs, der einen
nicht nur um ein paar Stunden, sondern auch um die Aruße¬
rung der eigenen Meinung herumgeplauscht hat.
Und doch, wenn's vorbei ist, der Nachgeschmack! Aber an
ihm war, das muß man Schnitzler zugeben, diesmal die
Darstellung mehr Schuld als der Schriftsteller.
Für diese
leichte Ware ist, nenn sie nicht ganz ins „prickelnd Unterhal¬
tende“ fallen soll, eine besonders liebevolle Herausarbeitung
der typischen Wiener Luft, der Weichheit und Siße der Stim¬
mung in diesen Menschen nötig. Sonst glaubt man ihnen die
Naivetät ihrer Leichtfertigkeit, die haltlose Hingabe an inhalt¬
lose Nichtigkeit nicht. Engen Burg ist nicht Wien; Maria
Orska, Irene Triesch, Alexander Eckert, alle haben
nicht das eine, das einzig Notwendige: Wiener Blut. Wohl
taten sie ihr Bestes. Aber sie deckten damit den Dichter nicht,
sondern stellten ihn bloß. Jeder flache Gedanke und jede
Schiefheit der Charaktere war glattweg da; die Zuschauer¬
schaft nahm das vielleicht als Würze des Abends; in der
„Frage an das Schicksal“ oder im „Abschiedssouper“, besonders
aber in „Literatur". Ganz schwach nur wirkten „Denksteine",
schon weil sie am nächsten der geschriebenen Skizze stehen.
ksal box 34/5
National Zen
17677
1
Feuillekon.
Schnißler-Abend.
TetEehe
Anatol geht durch den Weltkrieg wie ein Nuchtwandler. Noch
immer anmüsant, doch merklich gealtert, zumal in der lässig=char.
manten Darstallung des Herrn Burg, der ihn, so wenig das
dem Dichter recht sein kann, notgedrungen ins moyen äge doré
versetzt. Ein Genießer=Jüngling, bei dem man schon melierte
Schläfen vermutet. Noch immer unterhält er uns, als wären wir
dieselben geblieben, von den unendlichen Wichtigkeiten seines
Le##reitschmerzes. Noch immer streichelt er mit müßiggängeri¬
Schem Behagen seine so liebevoll gezüchteten Gefühlchen und wagt
von den andern die große Leidenschaft zu fordern, damit sie die
schön geschlungene Null seiner Persönlichkeit mit heißer Glut um¬
sache. Wir freuen uns der niedlichen Fovpereien, die dem in
seiner Einbildung so Erfahrenen aufgespart bleiben. Ob er „Die:
Frage an das Schick al“, an das kindischeste Schicksal, das
je über eine Bühne gelünzelt ist — nicht stellt (Frl. Orska machte
aus dem Wiener Mädel Cora ein dunkel=fremdäugiges,
vikantestes Medium) oder ob er die nur vor dem Juwelier kost¬
baren „Denksteine“, die Frau Triesch nicht zu retten ver¬
mochte, ebenso töricht wie brutal verschleudert. Aber wirklich
duldbar wird der Anatelismus nur, wenn er nicht nur einem
Lächeln, sondern einem herzhaften Lachen verfällt. „Das!
Abschiedssouper“ ist ganz lebendig geblieben, und Maria
Orska erfüllte die lustige Szene mit einem prasselnden
Raketenfeuer elementarer Laune und drolligster Lebendigkeit.
Einen einigermaßen sättigenden Abschluß brachte der kleine Spaß
„Literatur“ mit seinen witzigen Serpentinen durch den
papierenen Wale. Herr. Burg gab dem distinguierten Trottel
Clemens herzgewinnende Natürlichkeit; Frau Triesch paro¬
dierte mit sicherem Geschmack den ziemlich dickgestrickten Blau¬
strumpf, und einen köstlich aufgerlusterten bajuparischen Kaffee¬
hausliteraten siellte Herr Alexander Eckert hin, der in den
Anatolstückchen ein gar zu wohlgenährter Freund Max war. Eine
delikate Regie, die u. a. ein Chambre separé im zärtlich ver¬
spielten Stil der Wiener Werkstätten aufgebaut hatte, sorgte fü
ein wohltuendes Gleichmaß der Stimmung.
losel Auni Bondy
-RiNl. 1911
E vom:
Preie Deutsche Presse
Freisinnige Zeitung, Darin.
„Kunst und Wissehschaft
Theater in der Königgrätzer Straße=
a—
Mit Bangen ging ich ins Königgrätzer Theater. Schnitzlers
Anatol=Szenen waren mir eine sehr liebe Erinnerung, ebenso der
übermütige satirische Einakter „Literater“. Werden diese Werkchen
einer graziösen Kleinkunst noch nach mehreren Jahren, besonders in
der schweren Kriegszeit, bestehen können? Wird die neue Aufführung
nicht jene liebe Erinnerung vernichten und wird es mir nicht ähn¬
lich ergehen, wie dem, der ein Mädchen, dessen Glanz und Holdheit
aus der Jugendzeit wärmend herüberschimmert, als alterndes,
hohles Weibchen wiedersieht? Schnitzler hat die schwere Probe be¬
standen, seine Einatter wirkten so frisch wie früher. Der Einwand,
daß es sich bei diesen Szenen nur um wohlhabende Nichtstuer:
handelt, deren ganzes Leben und Sorgen sich um das Ewig¬
weibliche, das uns hinabzieht, dreht, war ja schon früher erhoben
worden. Die leise Wehmut und vornehme Ironie, die durch diese
zarten Schöpfungen klingt, heben sie aus dem Nur=Erotischen, und
ihre künstlerische Fassung weckt Freude.
Die Aufführung war zum Teil vortrefflich. Eugen Burg
als Anatol wirkt etwas zu reif, doch in den Grundzügen ist er
wienerisch=liebenswert. Alexander Ekert, der als Oesterreicher
über den echten Dialekt verfügt, war als Anatols Freund Max
geschickt, und in „Literatur“ als nervöser Dichter eine ins Schwarze,
treffende Bohème=Type. Maria Orska stand als oberflächliches
Weibchen diesmal am rechten Platze, im „Abschsedssouper“ —.
Die Delikatessen, die in dem außerordentlich fein abgestimmten
Sacher=Raum aufgetragen werden, jind in der Kriegszeit für die
Zuschauer eine Tantalusqual — war sie voll sprudelnder Einfälls.
Irene Triesch konnte diese Leichtigkeit der Jugend nicht auf¬
bringen, war auch in den schwachen „Denksteinen“ unvorteilhäft
frisiert, in „Literatur“ zu schwer. Die von Ernst Welisch geleitete
Schk.
Aufführung, fand herzlichen Beifall.
Ur
Die Wolt am Kontag Berlin
som:
Theater und Musik.
Schnitzler=Abend.
(Theaier in der Königgrätzer Siraße.)
Auf der Bühne, die vornehmlich Strindberg pflegt, erschien
uns Schnitzler diesmal als blasser wienerischer Schatten dei
schwerblütigen schwedischen Grüblers. Jeder der vier geboienen
Einakter varüert das Thema von der Untreue der Frau, das
in Strindberg einen Meister fand. Schnitzler aber verschmähl
die tragische Tiefe. Spielerisch plätschern heiter fundierte
Dialoge zwischen Mann und Weib, und am Schluß gibt's nie
eine Katastrophe.
Vier Darsteller bestritten alle vier Einalter. Frau Triesch
(in „Denksteine" und „Literatur“) war interessant, wie immer,
aber der starken Tragödin liegt Strindberg besser als Schnitzler
Ganz in ihrem Element war Frl. Orska (in „Die Frage an
das Schickial" und „Abschiedssouper“); quecksilbrig kokett, kätzchen
haft schmiegsam mit einem Stich ins Vulgäre, gelang ihr be¬
sonders die kleine Kokotte im „Abschiedssouper“. Den Part des
Männchens in allen vier Stücken bestritt erfolgreich Here Eugen
Burg, wenn auch nicht ganz schnitzlerisch leichtbeschwingt. Herr
Alexander Ekert half mit sicherer Technik dem Humor
zu seinem Recht.
Lobende Erwähnung verdienen die geschmackvollen Deko¬
rationen Svend Gades.
(Fortsetzung in der Beilage.)
Ausschnitt aus:
8-MAl 19GERIIANIIN BERLIN
vom:
Cheater.
— Theater in der Königgrätzer Straße. Der Mai ist ge¬
ko#hen; da werden auch an dieser Stätte des schweren Kamp¬
für schwere Gewichte leichte Nichtigkeiten nachserviert,
kleine Einakter von
r. Dinge, die schon ein
wenig Patina angesetzt haben.lrost, dasthr ist
der Stoff, auf dem die Patina liegt, nicht gehaltvoll, nich
sein genug; aber doch ein Rost, der vergessen macht, wohin
die Weichheit und Schwächlichkeit der Themenbehandlung, die¬
ses juste Milien der Wiener Moderne der neunziger Jahre
und seiner Nachtreter, führt. Nichtigkeiten plätschern einmal
beschwingter, einmal langsamer vorbei; und man wundert sich
schließlich doch über die Formkunst des Causeurs, der einen
nicht nur um ein paar Stunden, sondern auch um die Aruße¬
rung der eigenen Meinung herumgeplauscht hat.
Und doch, wenn's vorbei ist, der Nachgeschmack! Aber an
ihm war, das muß man Schnitzler zugeben, diesmal die
Darstellung mehr Schuld als der Schriftsteller.
Für diese
leichte Ware ist, nenn sie nicht ganz ins „prickelnd Unterhal¬
tende“ fallen soll, eine besonders liebevolle Herausarbeitung
der typischen Wiener Luft, der Weichheit und Siße der Stim¬
mung in diesen Menschen nötig. Sonst glaubt man ihnen die
Naivetät ihrer Leichtfertigkeit, die haltlose Hingabe an inhalt¬
lose Nichtigkeit nicht. Engen Burg ist nicht Wien; Maria
Orska, Irene Triesch, Alexander Eckert, alle haben
nicht das eine, das einzig Notwendige: Wiener Blut. Wohl
taten sie ihr Bestes. Aber sie deckten damit den Dichter nicht,
sondern stellten ihn bloß. Jeder flache Gedanke und jede
Schiefheit der Charaktere war glattweg da; die Zuschauer¬
schaft nahm das vielleicht als Würze des Abends; in der
„Frage an das Schicksal“ oder im „Abschiedssouper“, besonders
aber in „Literatur". Ganz schwach nur wirkten „Denksteine",
schon weil sie am nächsten der geschriebenen Skizze stehen.
ksal box 34/5
National Zen
17677
1
Feuillekon.
Schnißler-Abend.
TetEehe
Anatol geht durch den Weltkrieg wie ein Nuchtwandler. Noch
immer anmüsant, doch merklich gealtert, zumal in der lässig=char.
manten Darstallung des Herrn Burg, der ihn, so wenig das
dem Dichter recht sein kann, notgedrungen ins moyen äge doré
versetzt. Ein Genießer=Jüngling, bei dem man schon melierte
Schläfen vermutet. Noch immer unterhält er uns, als wären wir
dieselben geblieben, von den unendlichen Wichtigkeiten seines
Le##reitschmerzes. Noch immer streichelt er mit müßiggängeri¬
Schem Behagen seine so liebevoll gezüchteten Gefühlchen und wagt
von den andern die große Leidenschaft zu fordern, damit sie die
schön geschlungene Null seiner Persönlichkeit mit heißer Glut um¬
sache. Wir freuen uns der niedlichen Fovpereien, die dem in
seiner Einbildung so Erfahrenen aufgespart bleiben. Ob er „Die:
Frage an das Schick al“, an das kindischeste Schicksal, das
je über eine Bühne gelünzelt ist — nicht stellt (Frl. Orska machte
aus dem Wiener Mädel Cora ein dunkel=fremdäugiges,
vikantestes Medium) oder ob er die nur vor dem Juwelier kost¬
baren „Denksteine“, die Frau Triesch nicht zu retten ver¬
mochte, ebenso töricht wie brutal verschleudert. Aber wirklich
duldbar wird der Anatelismus nur, wenn er nicht nur einem
Lächeln, sondern einem herzhaften Lachen verfällt. „Das!
Abschiedssouper“ ist ganz lebendig geblieben, und Maria
Orska erfüllte die lustige Szene mit einem prasselnden
Raketenfeuer elementarer Laune und drolligster Lebendigkeit.
Einen einigermaßen sättigenden Abschluß brachte der kleine Spaß
„Literatur“ mit seinen witzigen Serpentinen durch den
papierenen Wale. Herr. Burg gab dem distinguierten Trottel
Clemens herzgewinnende Natürlichkeit; Frau Triesch paro¬
dierte mit sicherem Geschmack den ziemlich dickgestrickten Blau¬
strumpf, und einen köstlich aufgerlusterten bajuparischen Kaffee¬
hausliteraten siellte Herr Alexander Eckert hin, der in den
Anatolstückchen ein gar zu wohlgenährter Freund Max war. Eine
delikate Regie, die u. a. ein Chambre separé im zärtlich ver¬
spielten Stil der Wiener Werkstätten aufgebaut hatte, sorgte fü
ein wohltuendes Gleichmaß der Stimmung.
losel Auni Bondy
-RiNl. 1911
E vom:
Preie Deutsche Presse
Freisinnige Zeitung, Darin.
„Kunst und Wissehschaft
Theater in der Königgrätzer Straße=
a—
Mit Bangen ging ich ins Königgrätzer Theater. Schnitzlers
Anatol=Szenen waren mir eine sehr liebe Erinnerung, ebenso der
übermütige satirische Einakter „Literater“. Werden diese Werkchen
einer graziösen Kleinkunst noch nach mehreren Jahren, besonders in
der schweren Kriegszeit, bestehen können? Wird die neue Aufführung
nicht jene liebe Erinnerung vernichten und wird es mir nicht ähn¬
lich ergehen, wie dem, der ein Mädchen, dessen Glanz und Holdheit
aus der Jugendzeit wärmend herüberschimmert, als alterndes,
hohles Weibchen wiedersieht? Schnitzler hat die schwere Probe be¬
standen, seine Einatter wirkten so frisch wie früher. Der Einwand,
daß es sich bei diesen Szenen nur um wohlhabende Nichtstuer:
handelt, deren ganzes Leben und Sorgen sich um das Ewig¬
weibliche, das uns hinabzieht, dreht, war ja schon früher erhoben
worden. Die leise Wehmut und vornehme Ironie, die durch diese
zarten Schöpfungen klingt, heben sie aus dem Nur=Erotischen, und
ihre künstlerische Fassung weckt Freude.
Die Aufführung war zum Teil vortrefflich. Eugen Burg
als Anatol wirkt etwas zu reif, doch in den Grundzügen ist er
wienerisch=liebenswert. Alexander Ekert, der als Oesterreicher
über den echten Dialekt verfügt, war als Anatols Freund Max
geschickt, und in „Literatur“ als nervöser Dichter eine ins Schwarze,
treffende Bohème=Type. Maria Orska stand als oberflächliches
Weibchen diesmal am rechten Platze, im „Abschsedssouper“ —.
Die Delikatessen, die in dem außerordentlich fein abgestimmten
Sacher=Raum aufgetragen werden, jind in der Kriegszeit für die
Zuschauer eine Tantalusqual — war sie voll sprudelnder Einfälls.
Irene Triesch konnte diese Leichtigkeit der Jugend nicht auf¬
bringen, war auch in den schwachen „Denksteinen“ unvorteilhäft
frisiert, in „Literatur“ zu schwer. Die von Ernst Welisch geleitete
Schk.
Aufführung, fand herzlichen Beifall.