III, Einakter 1, (Anatol), Die Frage an das Schicksal, Seite 14

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das
1. Die Frage.
Schie.
g. 321.4977
vom:
Gortagts Warto. Derlin
Theater und Musik
Theater in der Königgrätzer Straße
Arthur Schnitzler=Abend: „Die Frage an das
Schid
ouper“. Spielleitung: Ernst Welisch.
Nach Strindperg und Wedeknd jetzt zur Abwechslung Schnitz¬
ler. Nach dem himmelstürmenden, selbstquälerischen Grühler und
nach dem Zyniker der seine dekadente Skeptiker, der mit leiser
Ironie des Lebens seltsam verschlungenes Sriel zeichnet. Es in
lange her, daß die Angtol=Einalter, die wir gestern sahen, in Berlin
gespielt sind, und noch länger ist es her, daß der fast un¬
schnitzlerische, parobistische „Literatur“=Schwank über die Bühne
ging. Wenn man dem letzten Stück, der Verulkung eines jetzt fast
verklungenen Kaffeehaus=Literatentums diese parodistische Note bei
der Aufführung #erstärkte, 6 tat man recht paran. Die iiterarische
Brinnerung wurde damit gleichzeitig zu einem Halhstündchen unge¬
Uüdter Heiterkeit. Aus dem unatol=Zyklus haue man „Die Frage
in das Schicksal“, die „Denksteine“ und das prachtvalle „Abschiehs.
duper“ ausgenählt. Sie verlangen viel sorgiamere Darstellung
els die ziemlich harmlose „Literatur“. Es schwebt über ihnen ein
eltsamer, freilich ungesunder und doch so reizvoller Duft eines
müben, sehnsuchtsvollen Aesthetentums, der jeder darstellerischen
Vergröberung abbold ist.
Diesen Ton hat die sonit feinsinnige Spielleitung Ernst
Welischs nicht immer zu treffen und zu wahren gewußt. Schon
daß man die drei Kleinigkeiten in einen allzu modernen, wenn auch
von Svend Gades Künstlerauge gesehenen Rahmen spannte, statt
ihm die kleine zeiliche Tistanz zu belassen, war ein Fehler. Auch
die Spieler boten keinen echten Schnitzler. Eugen Buxg, der,
wenn ich nicht sehr irre. vor Jahren einmal ein vorzüglicher Anaiol
zewesen ist, het sich inzwischen leider auf einen ganz anderen
Typ (siehe „Pertorene Tochter“!) eingeipielt. Er ist auch nicht der
junge Angiol, der zarte, seine, schlauze, dekadente, wie ihn der
Dichtee sich denkt. Und so gelang ihm nur restles die Karikatur
des Sportarisokraten im jetten Stück. Aehnliches gilt von Alex¬
ander Eiert. Auch sein Max, Anatols Gegenspieler, war viel
zu gesund, zu dick, zu jovial; die Literaturtype Gilbert dagegen bat
überaltigende Komit. Noch weyiger, so schmerzlich es zu sagen:
ist, fanden sich die Damen Frau Triesch und Frl. Orsta
in die Schnitziersche Tonart hinein. Die hypnotisierte Lorg der
Orska mochte allenfalls befriedigen. Der wohl unsterblichen Annie
des Abschiedssoupers fehlte aber nicht nur das Wienerische, sondern
ser allem die urwüchsige Nuivität. Schnitzlers Annie ist das senti¬
mentale Kind aus kleinsten Verhältnissen. Die Annie der Oröka;
aber eine nicht allzu ertfernie Verwandte der Lulu. Frau
Triesch, in dem Spiel von den boiden Exinnerungssteinen auch
im Aeußeren wenig glücklich, war als Romanschreiberin Margret

freilich recht interessant, wenn sie auch leider den ihr so gänzlich
sehlenden Humor bisweilen durch groteste Uebertreibung zu er¬
setzen versuchte.
Dr. Kastyer.)
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SE
Tägliche Bundschau, Barir
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Mus dem Kunstleben.
Theater in der Königgräßer Straße.
Artur=Schnitzlee=Abend.
Dieser Abend wak ein unholde Enttäuschung. Wenigstens
bis zur Pause. Denn der Schnitzlersche Einakter „Literatur",
der nach der Pause sich den drei voraufgegangenen „Anatol“¬
Szenen zusammenhanglos anreihte, konnte ja, hinlänglich
bekannt, keine werden. Denn wie er blutwenig von dem ent¬
hält, was den eigentlichen Reiz Schnitzlerscher Arbeiten aus¬
macht, das Leise nämlich, das Schwingende, den Wohllant
und den blassen Duft, ist er ein richtiger Reißer. Die
„Literatur“ hatte ebensogut — nun sagen wir einmal: Karl
Rößler schreiben können, und der gelentige Verfasser der
„Fünf Frankfurter“ hätte sich dabei nicht einmal besonders
anzustrengen brauchen. So tat er auch gestern seine Wir¬
kung, und da das ehrenwerte Publikum sich niemals besser
amüsiert, als wenn die Literatur ein bissel verspottet wird,
so amüsierte es sich denn auch bei dieser etwas wohlfeilen
Satire auf sie prächtig.
Aber „Anatol“! Was ist denn „Anatol“? Sind diese
Szenen, 1895 veröffentlicht, wundervoll geschmückt durch
die Geleitverse, die der junge Hofmannsthal ihnen einst als
Loris gab, nicht ein Stück von unserem Leben, sind sie nicht
Traum und leiser Rausch unserer frühen Nächte, jener
Nächte, da Fliederduft durchs offene Fenster wehte und das
Licht der Lampe warm und schmeichelnd über erste Verse
glitt, die von ungeküßten Küssen, verwehten Klängen und
füßschmerzlicher Entsagung schwärmten? Kleine Fetzen
unseres Selbst, die wir — wie derselbe Loris damals wo¬
anders sagte — für Puppenkleider gaben? Die Zeit war
darüber hingegangen. Das Leben zerbrach die Komödie,
und „unseres Fühlens Heut und Gestern“ wurde löchelnde
und auch belächelte Vergangenheit. Aber wir trugen doch die
Erinnerung in uns, eine zarte, innige Erinnerung,
und behüteten sie ehrfürchtig wie einen kleinen Schatz,
an dessen stillem Glanz, an dessen heimlichem Blinken
wir uns von Zeit zu Zeit erfreuten. Nun sollte wieder Leben
werden, was längst begraben, von der Bühne sollte zu uns
herabklingen, ganz öffentlich, ganz laut, was als Flüster¬
ruf nur noch manchmal in unser aufgeregtes Leben hinein¬
tönte ... ja, warum nicht? Eine Atempause in der schweren
Wirrsal dieser Zeiten, ein liebes Lächeln zwischen Qual und
Not, eine Reminiszenz, vom Zufall schön hineingespielt in
kurze Stunden zwischen Dämmerung und Nacht. Aller Er¬
wartungen voll ging ich durch die abendliche Müdigkeit des
duftgeschwellten Maitages zum Theater, mein Blut sang in
weichen Walzertakten, Traum zuckte in mir und sprach von
und nun
Veilchenduft und längst vergangenen Tagen ...
doch die Enttäuschung! Man soll die Toten ruhen lassen...
Drei Szenen: „Die Frage an das Schicksal“, die „Denk¬
steine“ und das „Abschiedssouner“. Die Gestalt Anatels in
allen drei — die Frauen wechseln. Cora — Emilie —
Annie. Wiener Mädels, liebe Mädels. Aber Eugen Burg,
ein gepflegter Herr, der sicher schon über die Dreißig hinweg
ist und viel, o so viel erlebt hat, ist kein Anatol. Anatol, das
ist ein junger Herr, schlank, rassig, müde, nicht vom Erleben?
sondern müde von Geburt, der Erwin Leopold Andriaus
etwa, und vielleicht trug er das schwarze Haar in der Mitte;
gescheitelt, trug vielleicht auch ein Monokel. Nichts davon!
Die frühreif=törichten Sentenzen Anatols klangen in
seinem blasierten Munde mehr als unwahrscheinlich.
Max, der Freund — er müßte wohl ähnlich sein. So, wie
wir manchmal jungen Attachés begegnen... Alexander
Ekert war ein dicklicher jovialer Herr, sehr gesund, sehr mit
sich zufrieden, und wenn er nicht wienerisch gesprochen hätte.
so hätte man wohl glauben mögen, daß er eher aus Berlin W.
und von der Börse gewesen wäre. Wo war denn Paul Ot#o
an diesem Abend? Und Coro, Emilie, Annie? Cora und
Annie die Maria Orska. Nett und harmlos als erstere,
wenn auch von Wien und Wiener Luft keine Spur; aber
Annie hatte sich aus Wedekind peinlichst in Schnitzler hinein¬
verirrt, und das Parfüm, das sie umwehte, stommte nicht
von der Ringstraße, sondern gemahnte aufdringlich an
Das gefiel zwar dem
K. d. W. und Tauentzienstraße.
Parterre wieder über alle Maßen, und das frevle Spiel der
Orska=Augen mag wieder — wie im „Erdgeist“ — tausend
Begehrlichkeiten geweckt haben. Aber was der Lulu ziemt,
frommt noch lange keiner Schnitzlerschen Annie, die für ein
dürftiges Ideal Austern, Sekt und Sachertorte für immer
sch. Eine glatte Peinlichkeit,
je Tr