III, Einakter 1, (Anatol), Die Frage an das Schicksal, Seite 15

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die Geleitverse, die der junge Hofmannsthal ihnen einst als
Loris gab, nicht ein Stück von unserem Leben, sind sie nicht
Traum und leiser Rausch unserer frühen Nächte, jener
Nächte, da Fliederduft durchs offene Fenster wehte und das
Licht der Lampe warm und schmeichelnd über erste Verse
glitt, die von ungeküßten Küssen. verwehten Klängen und
süßschmerzlicher Entsagung schwärmten? Kleine Fetzen
unseres Selbst, die wir — wie derselbe Loris damals wo¬
anders sagte — für Puppenkleider gaben? Die Zeit war
darüber hingegangen. Das Leben zerbrach die Komödie.
und „unseres Fühlens Heut und Gestern“ wurde löchelnde
und auch belächelte Vergangenheit. Aber wir trugen doch die
Erinnerung in uns, eine zarte, innige Erinnerung,
und behüteten sie ehrfürchtig wie einen kleinen Schatz,
an dessen stillem Glanz, an dessen heimlichem Blinken
wir uns von Zeit zu Zeit erfreuten. Nun sollte wieder Leben
werden, was längst begraben, von der Bühne sollte zu uns
herabklingen, ganz öffentlich, ganz laut, was als Flüster¬
ruf nur noch manchmal in unser aufgeregtes Leben hinein¬
könte ... ja, warum nicht? Eine Atempause in der schweren
Wirrsal dieser Zeiten, ein liebes Lächeln zwischen Qual und
Not, eine Reminiszenz, vom Zufall schön hineingespiell in
kurze Stunden zwischen Dämmerung und Nacht. Aller Er¬
wartungen voll ging ich durch die abendliche Müdigkeit des
duftgeschwellten Maitages zum Theater, mein Blut sang in
weichen Walzertakten, Traum zuckte in mir und sprach von
und nun
Veilchenduft und längst vergangenen Tagen
doch die Enttäuschung! Man soll die Toten ruhen lassen ...
Drei Szenen: „Die Frage an das Schicksal“, die „Denk¬
steine" und das „Abschiedssouper“. Die Gestalt Anatols in
allen drei — die Frauen wechseln. Cora — Emilie —
Annie. Wiener Mädels, liebe Mädels. Aber Eugen Burg,
ein gepflegter Herr, der sicher schon über die Dreißig hinweg
ist und viel, o so viel erlebt hat, ist kein Anatol. Anatol, das
ist ein junger Herr, schlank, rassig, müde, nicht vom Erleben
sondern müde von Geburt, der Erwin Leopold Andriaus
etwa, und vielleicht trug er das schwarze Haar in der Mitte
gescheitelt, trug vielleicht auch ein Monokel. Nichts davon!
Die frühreif=törichten Sentenzen Anatols klangen in
seinem blasierten Munde mehr als unwahrscheinlich.
Max, der Freund — er müßte wohl ähnlich sein. So, wie
wir manchmal jungen Attachés begegnen... Alexander
Ekert war ein dicklicher jovialer Herr, sehr gesund, sehr mit
sich zufrieden, und wenn er nicht wienerisch gesprochen hätte.
so hätte man wohl glauben mögen, daß er eher aus Berlin W.
und von der Börse gewesen wäre. Wa war denn Paul O#to
an diesem Abend? Und Cora, Emilie, Annie? Cora und
Annie die Maria Orska. Nett und harmlos als erstere,
wenn auch von Wien und Wiener Luft keine Spur; aber
Annie hatte sich aus Wedekind peinlichst in Schnitzler hinein¬
verirrt, und das Parfüm, das sie umwelte, stommte nicht
von der Ringstraße, sondern gemahnte aufdringlich an
K. d. W. und Tauentzienstraße. Das gefiel zwar dem
Parterre wieder über alle Maßen, und das freole Spiel der
Orska=Augen mag wieder — wie im „Erdgeist“ — tausend
Begehrlichkeiten geweckt haben. Aber was der Lulu ziemit,
frommt noch lange keiner Schnitzlerschen Annie, die für ein
dürftiges Ideal Austern, Sekt und Sachertorte für innner
opfert... Bleibt die Triesch. Eine glatte Peinlichkeit,
unwahrscheinlich und quälend als Anatols Geliebte, die nach
dem Dichter vor kurzer Zeit erst sechzehn Jahre war und on
einem weichen, grünen Frühlingstag irgendwo im Wiener
Walde einst zur Frau wurde, in Wirklichkeit aber diesen
schönen Traum vor zwanzig Jahren geträumt haben mag:
und unwahrscheinlich und quälend als Margarethe in der
„Literatur“ wo sie nichts weiter war als eine hysterische
Frau, die schreibt, wo andere leben, und Höhepunite des
Spiels durch exaltiertes Schreien markiert. Nur die Sprache
ließ hin und wieder an die Irene Triesch denken, die im
„Traumspiel“ Indras Tochter war und an ihren Bibel
abenden Tausende hinreißt. Wie um Himmels willen ist
man nur auf den entsetzlichen Gedanken verfallen, sie
Schnitzler spielen zu lassen?
Das Ganze zog schnell vorüber, ohne irgendwelchen Ein¬
druck zu hinterlassen, verpuffte wie ein Feuerwerl. Traum
durch die Dämmerung hätte es werden können — Theater
wurde es. Ablösung für „Erdgeist“. Wo einmal Duft und
Schmelz lächeln wollten, ließ die Regie Ernst Welischs,
der Pietät allein schon hätte sagen müssen, daß man abge¬
lebtes Fühlen richtiger auch in das Gewand dieser abge¬
lebten Zeit gekleidet hätte, wodurch die Szenen wenigstens
so etwas wie kulturhistorischen Reiz erhalten hätten, schnell
krampfige Lustigkeit erklingen. Wir sahen Frivolitäten in
modischer Aufmachung — die Orsta trug wieder das Neueste
vom Neuen, und das üppige Mobiliar schien eben erst von
Friedmann und Weber gekommen; aber von dem, was.
einstmals unserer und vieler anderer Seelen leise Erschült##
rung gewesen, spürten wir nichts. Ach gar nichts.
wieder bleibt nur die Truhe der Erinnerung: sie ent#uscht
nie. Auf Wiedersehen darum, Anatol!
Ludwig/SteMaux.
Zeitung: National-Zeitung
Adresse: Berlin
A #
Datum:
Schnihler-Abend.
(Theater in der Königgrätzer Straße.)
Anatol geht durch den Weltkrieg wie ein Nachtwandler. Noch
immer anmüsant, doch merllich gealtert, zumal in der lässig=har.
manten Darstelliyig des Herrn Burg, der ihn, so wenig das
dem Dichter recht sein kann, notgedrungen ins moyen äge daré
versetzt. Ein Genioßer=Jüngling, bei dem man schon melierte
Schläfen vermütet, Noch, immer unterhält-er uns, als wären wir
dieselben geblieber, ön den unendlichen Wichtigkeiten seines
Lebeweltschmerzes. Noch immer streichelt er mit müßiggängeri¬
schem Behagen seine so liebevoll gezüchteten Gefühlchen und wagt
von den andern die große Leidenschaft zu fordern, damit sic die
schön geschlungene Null seiner Persönlichkeit mit heißer Glut um¬
fache. Wir freuen uns der niedlichen Foppereien, die dem in
seiner Einbildung so Erfahrenen aufgespart bleiben. Ob er „Die
Frage an das Schick al“ an das kindischeste Schicksal, das
je über eine Bühne getänzelt ist — nicht stellt (Frl. Orska machte
aus dem Wiener Mädel Cora ein dunkel=fremdäugiges,
pikomestes Medium) oder ob er die nur vor dem Juwelier kost¬
baren „Denksteine“ die Frau Triesch nicht zu retten ver¬
mochte, ebenso töricht wie brutal verschleudert. Aber wirklich
duldbar wird der Anakolismus nur, wenn er nicht nur einem
Lächeln, sondern einem herzhaften Lachen verfällt. „Das
Abschiedssouper“ ist ganz lebendig geblieben, und Maria
Orska erfüllte die lustige Szene mit einem prasselnden
Naketenfener elementarer Laune und drolligster Lebendigkeit.

Einen einigermaßen samgenden Abschluß brachte der kleine Spaß
„Literatur“ mit seinen witzigen Serpentinen durch den
papierenen Wald. Herr Burg gab dem distinguierten Trottel
Clemens herzgewinnende Natürlichkeit; Frau Triesch paro¬
dierte mit sicherem Geschmack den ziemlich dickgestrickten Blau¬
strumpf. und einen köstlich aufgeplusterten bajuvarischen Kaffee¬
hausliteraten stellte Herr Alexander Eckert hin, der in den
Anatolstückchen ein gar zu wohlgenährter Freund Max war. Eine
delikate Regie, die u. a. ein Chambre separé im zärtlich ver¬
spielten Stil der Wiener Werkstätten aufgebant hatte, sorgte für
ein wohltuendes Gleichmaß der Stimmung.
— Josef Adoif Bondts.