III, Einakter 1, (Anatol), Die Frage an das Schicksal, Seite 18

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1. Die Frage an das Sch1—
Zeitung: Norddeutsche Allgemeine Zeitung
Adresse: Berlin
8. MALTNT
Datum:
-a- Das Theater in der Königgrätzerstraße ver¬
anstaltete am Sonnabend einen Arthur Schnittler=
abend. Vier Einakter, davon drei aus dem Anatol-yklus:
„Die Flage an das Schicksal“, „Denksteine“ und „Abschleds¬
souper“ dazu eine geistesverwandte Satire über „Literatur“
letzten Moment scheut Anatol vor der Klarheit
wurden gespielt. Esohandelt sich hier um dichterische Friedens¬
zurück,
er
will lieber im Dämmerlicht weiter¬
arbeit, entsprungen einer Geiskesverfassung, der ein Krieg noch
teben und entzieht die Geliebte der Feuerprobe, die sie
völlig außer Sicht war. Die Aufführung solcher Schöpfungen
vermutlich recht schlecht bestanden hätte. Schwächer ist der
bedeutet heute ein zweites Examen, und deshalb hatte die
zweite Einakter „Denksteine" in dem ebenfalls die Zweifel
Premiere am Sonnabend nicht bloß für die Dar¬
Anatols an der Treue seiner Geliebten das Thema bilden,
stellung, sondern auch für den Dichter die Bedeutung
hier aber durch einen Knalleffekt am Schluß ihre Lösung
eines Gerichtstags. Die Darstellung hat die Probe bestanden,
finden: Die Geliebte entpuppt sich als Dirne durch
glänzend sogar, sie hat aus den vier Einaktern herausgeholt,
ihre Anhänglichkeit an einen kostbaren Denkstein. Höchst
was herauszuholen war, sie hat den schillernden, glitzernden
pikant und geistreich
das
nach“
französischen
Stil, das Melancholisch=Ironische=Frivol=Sentimentale Schnitzlers
Mustern empfundene „Abschiedssouper“, bei dem Abschied
urecht in stilgerechter Erfassung der geheimsten Intentionen und
von der Liebe genommen und bei der rückhaltlosen
verborgensten Hintergedanken des Dichters wiedergegeben, und
Aussprache der Schleier von all den kleinen und großen
nach dieser künstlerisch=technischen Seite hin war der Abend ein
Täuschungen und Selbsttäuschungen einer Luxusliebe gezogen
wirklicher Genuß. Aber der Dichter selber — bei allem Re¬
wird. Schließlich in „Literatur“ tritt Anatol in anderer Ge¬
spekt vor seinem großen Können, vor seiner geistigen Ver¬
stalt als Clemens auf, hier werden die Geheimnisse des Café¬
wandlungsfähigkeit und Akrobatik sei es gesagt
ist durch¬
literatentums, der ästhetischen Bohême durchgehechelt und die
gefallen. Er hat die Revisionsinstanz nicht gewonnen.
Hohlheit und Verkommenheit dieser literarischen Phrasen¬
Denn wir sagen uns doch immer; tant de bruit pour une
welt in drastischen Szenen wirksam beleuchtet. Anatol
omelette. Die Sorgen dieser Leute möchten wir haben.
und Clemens wurden von Eugen Burg mit einer
Immer ist von Liebe die Rede, immer handelt es sich um ver¬
wunderbar wienerischen Mischung von Melancholie,
liebte Männer, denn die Frauen sind nie verliebt, sie lassen
Nonchalance, Bissigkeit und Weichlichkeit, im letzten
sich nur lieben, aber immer ist es Liebelei statt Liebe, ein
Einakter mit einem besonderen Einschlag von satirischer
kraft= und saftloses Gefühlchen, das betut und aufgepäppelt
Bosheit gegeben. Der robustere Freund Max, der der ver¬
wird. Gewiß werden ironische Lichter aufgesetzt, sie gelten aber
liebten Schwärmerei und Zweifelsucht Anatols gegenüber den
nur der Lösung, unsere überlegene Ironie gilt aber heute dem
gesunden Menschenverstand darstellt, wurde von Alexander
Problem des Dichters, das auf der Grundlage einer künstlichen
Ekert mit männlicher Bonhomie sympathisch verkörpert.
überfeinerten Psychologie konstruiert erscheint. Die Normaltypen
Im letzten Stück gab Alexander Ekert den Dichter¬
des Dichters tragen alle Kennzeichen der Entartung durch
bohemien mit den struppigen Haaren und dem genialen
Reichtum, Wohlleben und Müßggang, der Blasiertheit und
Augenrollen. Die Damenrolle lag in
der „Frage an
der Frühreife, wir finden hier eine Menschenwelt des ge¬
das Schicksal“ und im „Abschiedssouper“ in den Händen von
schärften Verstandes, des Witzes, des Geschmacks, aber zugleich
Maria Orska, in den beiden anderen Stücken bei
auch der absoluten Skepsis, eine Art von geistigem Nihilismus,
Irene Triesch: Besonders im „Abschiedssouper“ wußte
der nichts übrig läßt als den zersetzenden Zweifel, die Freude
Maria Orska durch sprühende Laune und eine in allen Farben;
an der Ironie, die künstlerische Selbstzersetzung. Es sind
schillernde Koketterie zu fesseln. Als ehemalige Stammtischlerin?
Scheinsorgen und Scheinspannungen, die ernst genommen sein
des Literatencasés und künftige Braut eines Barons war
wollen, dies ist die Distanz, die uns heute von dem Dichter
Irene Triesch von unnachahmlicher Vielseitigkeit und virtuoser
trennt, dessen Geist, technische Kultur und Anempfindungs¬
Schlangenhaftigkeit. Höchst geschmackvoll, bald diskret gedämpft,
fähigkeit ihn einst in einer leichteren Zeit in die erste Reihe der
bald schreieno waren die Dekorationen von Svend Gäde.
literarischen Könner stellten.
Dieser Anatol, der in freien der Einakter als Haupt¬
person auftritt, ist ein Gourmand der Liebe, die er wie eine
erlesene Speise kostet und kritisiert. Typisch ist besonders das
erste Stück: „Die Frage an das Schicksal“ mit den selbstquäle¬
rischen Zweifeln Anatols an der Treue seiner Geliebten. Ein
probates Mittel, um die angeblich ersehnte Gewißheit zu er¬
langen, wird ihm von seinem Freunde Mar angeraten: Be¬
fragung der Geliebten in der Hypnose. Aber im