IV, Gedichte und Sprüche 4, Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 15

Der Geist in Nort und der Geist in der rat
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EIN BUCH UNSERER ZEIT
Synagogalmusik, seine Bemerkungen über den nenderweise unter, noch gar nicht zum Ab¬
schluß gekommenen, hefligsten Kämpfen, den
Nussach und die N’oinoth aus leicht nach¬
Rahmen jenes starren Systems durchbrach,
weislichen Gründen zu dem wertvollsten bis¬
in uns Abendländern den Sinn für die auto¬
her darüber Gebotenen zählen zu dürfen.
nome Natur jener fremden, somit auch un¬
Mit dieser Materie pflegten sich nämlich bisher
serer eigenen, der jüdischen Musik geweckt.
entweder — dies aber seltener — Nur¬
Das ist im Falle Berl entscheidend ge¬
Musiker zu befassen, deren wissenschaftliche
worden. Denn hier ist es das erstemal, daß
Kenntnis der sprachlichen, historischen, litur¬
ein an den technischen und künsllerischen
gischen und traditionellen Belange aber man¬
Problemen der neuesten Musik geschulles, das
gelhaft war. Oder zwar im Jüdischen wohl¬
heißt nicht mehr in der klassisch-abendländi¬
bewanderte Persönlichkeiten, deren, wenn
schen Tonempfindung einseilig veranke r##e s
schon nicht musikalische Bildung, so doch
Ohr sich der jüdischen Musik zugewendet hat.
Einstellung als anzweifelbar gelten könnte.
Weshalb es gar nicht verwunderlich ist, daß
Die klassische Musikperiode hat es nämlich
ein Nichtjude in diesem zwar in sachlicher
mit ihrer bis dahin nicht erlebten künstleri¬
Klarheit, aber aus innerster hymnischer Ge¬
schen Breitenwirkung zuwege gebracht, daß
sinnung geschriebenen Buche ihrem wahren
ihr tonlich-harmonisches, zum Teil auch for¬
Pulsschlag näher gekommen ist, als irgend¬
males System allen hörenden Menschen ihrer
einer.
Zeit — Nicht-Musikern gefühlsmäßig genau
so stark, wie Musikern fachlich bewußt — so
sehr in Fleisch und Blut überging und gleich¬
Arthur Schnitzler
sam zur zweiten Natur wurde, daß es allge¬
Der Geist im Wort und der Geist
mein nicht nur als eines der vielen möglichen,
sondern bedenkenlos als das System, das
in der Tat’)
alleinige, nach dem überhaupt ein künslleri¬
Schnitzlers Werk wird erst voll ver¬
sches Musizieren möglich sei, angenommen
ständlich, wenn man von seiner Zugehörigkeit
wurde. Wie unabsehbar die Auswirkungen
zu Wien weiß, in dessen Kulturboden er bis
dieses sonderbar einseitigen Zustandes waren
zum Unbewußten tief verwurzelt ist.
und noch sind, kann der Laie sich kaum vor¬
Als Dramatiker viel gespielt und in
stellen. Doch kann man ruhig sagen, daß gut
vieler Herren Ländern aufgeführt, sind es doch
neun Zehntel all dessen, was in den le#sten
die Novellen, die seinen Namen zuerst in die
Jahrhunderten über Musik gesagt und ge¬
weite Welt trugen, wo sie von vie’en Na¬
schrieben wurde, milde ausgedrückt: heute
tionen, so auch von den Japanern, in der
nur sehr bedingte Geltung beanspruchen
eigenen Sprache gelesen werden.
kann, um nicht schroff zu sagen: völlig wert¬
Die Novelle gibt nur einen Ausschnitt
los geworden ist. Besonders die Art, wie man
aus dem Leben, durch ein Ereignis besonderer
in theoretischen Untersuchungen und auch
Art gekennzeichnet. Schnitzler ist ein Meister
praklisch in musikalischen Bearbeilungen von
dieser Form; jede seiner novellislischen Dar¬
Volksgesängen usw. an die, irgend einem an¬
stellungen reicht in Sprache und Vortrag an
dern Kulturkreis entslammende, also auch
das Vollkommenste dieser Galtung. Die be¬
jüdische Musik herangetreten ist, war durch
herrscht leidenschaftslose Sprache, irgendwie
jene gekennzeichnete Einstellung von vorn¬
an die Prosa Goclhes gemahnend, gestattet
herein zum Mißlingen verurteill, da man all
#tiefes Eindringen in das künsllerische Wollen,
diese Musik nie aus sich selbst heraus, son¬
wie ungetrübtes Quelb asser den Blick bis
dern im Grunde mehr oder minder immer aus
zum Grundgestein freigibt.
der klassisch-abendländischen Musikanschau¬
Wer im Band „Masken und Wunder“
ung heraus begreifen wollte. Erst die neue,
*) S. Fischer-Verlag, Berlin.
die „moderne“ Musik hat, indem sie, bezeich¬
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