IV, Gedichte und Sprüche 4, Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 22

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Der Geist in Nort und der Geist in der Tat
„Neach Wienel Joufzals“
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„Oesterreichische Komödie“, ist ein großes Wort, gelassen die Sonne trauen, obwohl ihr Geheimnis jeden Augenblick auf
ausgesprochen von Herrn Lernet=Holenia, der damit selber ein fliegen kann, aber es geschieht nach dem Willen des Autors. Das
Malheur trifft pünktlich ein, und was nicht publik werden soll,
bißchen Komödie zu spielen gedenkt, aber gar nicht merkt, daß er
schließlich selber ihr Opfer wird. Er hat entschieden mehr Ohr erweitert sich zum Skandal. Mit schlichtem Abschied entlassen,
freichische
für die Dinge als Blick. Weil er zu viel hört, sieht er zu wenig. so ziehen Baron, Baronin und Baronesse wieder von dannen,
Er formt sich hauptsächlich aus Stimmen eine Welt und gibt dann nicht ohne daß auch der Vertreter der bürgerlichen Halbherrscheist
seinerseits zu verstehen gibt, daß er, um das gesellschaftlsche
die Schallnachahmung für Erkenntnis aus.
Dekorum zu wahren, die ihm liebgewordene Baronesse als Praut
abt.
Wenigstens stellt es sich so dar in diesem Stück, das sich
sehr umständlich bemüht, vorerst eine Orientierung zu suchen. Man betrachtet.
Es ist ein unappetitlicher Handel, von dem man das
hat das in früheren, besseren Zeiten Milieuschilderung genannt.
Im Spezialfall Alles beginnt hier mit Milieu, geht im Milieu auf und endet im Oesterreichische sofort abzuziehen bereit ist, auch wenn es sich
es sich ganz gut Milien. Ganz folgerichtig braucht Herr Lernet=Holenia den langen wirklich begeben hat, begeben konnte, begeben kann. Das ist
und Schntzler zur Umweg, um gerade das finnfällig zu machen, was eigentlich in den Boulevardtrick, auch wenn er sich mit Zeiterscheinung krapiert.
erpersönlichts, eignet drei Akten passiert. Das ist eine ganz odiose Geschichte. Inmitten dieser Die gute liebe Gegenwartszeit und ihre Folgen werden überhaupt
Daraufhit ist be- hochfeudalen Gesellschaft, die nur noch ein Schattenleben des gern nach allen Richtungen abstrapoziert, doch seelische Geneinheit
zum künflerischen einstigen Glanzes führt, ist auch ein Baron Albertini, Besitzer ist nicht nur an Luft und Grenzen gebunden. Herr Lernet=Holenia,
wohl zu versorgen. einer schönen Tochter, die er unter der Hand von Zeit zu Zeit mag selbstsicher auf das Wort „Komödie“ Nachdruck legen, um der
der Lernet=Holenia, an den Meistbietenden vergibt. Erstens, weil er selber davon Nutzen Sache jene andere Pointe zu geben, die ihm vorschwelte: eine
par läßt er von der hat, um nicht ganz zugrunde zu gehen, und zweitens, weil er der finkende Klasse, die ihr Herrenrecht weiter wahren umd nicht
Füher überhaupt kein Tochter unscheinend eine Mitgift sichern will. Dieser herrlich ver= merken lassen will, daß sie nur noch am Schein hängt. Aber
und erst seitdem alles kommene Vater, dem obendrein eine in solchen Affären schon sehr glauben muß man es nicht.
Herr Lernet=Holenia hat über Nacht Berühmtheit gewonnen.
aber das meint routinierte Verwandte assistiert, ist nichtsdestoweniger um die
Beweis zu führen, Behauptung seiner gesellschaftlichen Stellung sehr bewüht. Erst hat er mittelalterliche Verse, dann eine Haupt= und Staats¬
eichischen Menschen. Er hat sich für seinen höchst komplizierten Seelenzustand eine aktion, den neuen „Demetrius“ gedichtet, formschön, mit virtuoser
so wählt er gleich eigene Theorie zurechtgelegt. An ihn selbst darf der Schmutz nicht Wortpracht und Temperament geladen, schwungvoll begleilet von
haristokratie benannt, heran und er hält auf Dekorum auch bei der Verkuppelung der Hermann Bahrs heißesten Segenswünschen. Dann hat er einen
in der sich sound= Tochter. Er schickt sie daher nicht einfach zu den zahlungsfähigen Schwank geschrieben, „Ollapotrida“ betitelt, was so viel ist, wie
ähnlich wie in der bürgerlichen Halbherrschaften, sondern will, daß diese auch die ein spanisches Gericht, in dem alles durcheinandergeworfen ist.
und in der man Schranken erkennen lernen, die „so Eine“ von so Einer“ trennt. (In der berlinischen Küche nennt man das: gedrängte Wochen¬
„attendrieren" wo Kurzum: das Zusammentreffen des Käufers mit seiner Tochter muß übersicht.) Dieser Schwank, von Lustigkeit und fabelhafter Theater¬
tückisch und dämo- innerhalb der Gesellschaft sich vollziehen, weil es für die An= technik überschäumend, hat den Kleist=Preis erhalten. Jetzt ist e
letzte weiß man gelegenheit sofort eine andere Distanz schafft. Der Herr Baron, ein Saisonschlager auf einer der Berliner Reinhardt=Bühnen. Dann
aus den Lustspielen der sich das alleinige Aufführungsrecht seiner Tochter vorbehalten zog sich Lernet=Holenia auch vom Goethe=Bund in Bremen
diese Dinge versteht. hat, wählt also das Schloß eines Grafen dazu, um sie mit einem einen Preis für zwei historische Einakter zu und nur
ne Welt, der andere hochbürgerlichen Herrn zusammenzubringen. Es ist zwar sehr naiv, die „Oesterreichische Komödie“, die jetzt in Wien zu Darstellungs¬
bei für überlegen. daß der Alte und die als Gardedame fungierende Baronin sich in ehren kam, hat bloß die Spannung vor dem Neuen