IV, Gedichte und Sprüche 4, Der Geist im Wort und der Geist in der Tat, Seite 24

m Nort und der Geist in der Tat
Der Geist
Artur Schnitzler: Der Geist im Wort und der Geist in
der Tat. Vorläutige Bemerkungen zu zwei Diagrammen.
Berlin (S. Fischer).
Arthur Scheitzler. der gewandte Schilderer und Liebling der
oberen Wiener Gesellschaftskreise, tritt uns hier einmal im Philo¬
sophenmantel entgegen. Zwar „„vorläufig“ nur mit einem schmäch¬
tigen Büchlein, das sich seiner Aufgabe in lakonischen Erläuteren¬
gen zu zwei Diagrammen, fast nur in Schlagworten erledigt, als
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charakterologische Studie doch aber auch von den Fachkreisen
ernst genommen werden wird. Wem es bekannt ist, daß Schnitz¬
ler seine Laufbahn als Psychiater begonnen, wird es weniger über¬
raschen, daß der Seelenarzt und Dichter, also Seelen- und Men¬
schenkundiger aus doppeltem Beruf, in den Jahren vollster Geistes¬
reife sich auch zu theoretischen Studien über das Geistesleben
hingezogen fühlt. Die kurze, aber gedankenreiche Schrift bietet
eine Schematik und Systematik der Geistesverfassungen und ihrer
Grundtypen, einerseits in die Welt des Wortes, andererseits in die
der Tat projiziert. Beide Arten von Typen können wieder mit ver¬
schiedenem Vorzeichen erscheinen; ihre Spitzenvertreter setzt
Schnitzler in ein Ausgangsverhältnis zu Gott oder dem Teufel,
dem höchsten Gut und dem Radikal-Bösen. In dem Aufbau des
Schemas entspricht im Reiche des Wortes dem Dichter auf der
positiven Seite der Literat, auf der negativen, im Reiche der Tat
dem Helden auf der positiven der Schwindler (Hochstapler) auf der
negativen Seite; ebenso entsprechen sich Staatsmann (pos.) und
Politiker (neg.). Historiker (pos.) und Journalist (neg.), Priester
(pos.) und Pfaffe (neg.), Philosoph (pos.) und Sophist (neg.) usw.
Unter diesen Typen hat man nicht Berufe oder Anlagen, sondern
Geistesverfassungen zu verstehen, die unabänderlich sind; die
beiden Komplemente stellen zwei Geisteswelten dar, zwischen
welchen eine ideelle, aber unüberschreitbare Grenzlinie verläuft.
Schnitzler verwahrt sich dagegen, daß mit seiner Schematik eine
Wertung verknüpft werde, er wird aber nicht verhindern können,
daß die positive Seite als der Heimbezirk alles Guten. Rechten
und Schöpferischen, die negative als der alles Bösen, Unrechten
und Zerstörenden angesehen wird. Die Journalisten und Literaten
werden von Schnitzlers Philosophie weniger entzückt sein als von
seinen Dichtungen. Wir dagegen wünschen aufrichtig, daß Schnitz¬
ler auch als Philosoph wiederkomme und daß die Worte „vorläufige
Bemerkungen“ im Untertitel die Verheißung einer recht baldigen
Wiederkehr seien.
e. V. 7.
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