Der Geist in Nort und der Geist in der Tat
Separatabdruck aus der „Wiener Medizinischen Wochenschrift¬
(Nr. 31, 1927).
Verlag von Moritz Perles, Wien, I., Seilergasse 4.
Nachdruck verboten, event. Genehmigung ist bei der Verlagsbuchhandlung zu erwirken.
Ein philosophischer Versuch Arthur Schnitzlers.“)
Von RUDOLF ALLERS.
Spricht ein Dichter über Dinge des Geistes, so darf man
erheblichen diewinn erwarten. Oft genug haben Dichter erst¬
malig geschaut, was systematische Forschung spüter erarbeitete.
Um so mehr wird man aufhorchen, wenn ein Dichter spricht,
der ärztlicher Schulung gleichermaßen wissenschaftliches Denken
wie jene eigenartig zwischen theoretischer Allgemeinheit und
konkretester Individualisation schwankende Haltung verdankt,
welche dem Arzte eignet Schnitzler will, so sagt sein Vor¬
wort, „das tiebiet des menschlichen fieistes schematisch dar¬
stellen“. Diese „Vorläufigen Bemerkungen zu zwei Diagrammen“,
wie der Untertitel lautet, stellen sich dar als ein Versuch zur
Typik der (iestalten, in welchen der Geist in und durch Per¬
sonen in Erscheinung tritt. Dies ist der Fall, wenn ich dem
Grundgedanken der Schrift richtig folge, sozusagen in zwei
Ebenen: der des Wortes und der der Tat. In jeder dieser
konkretisiert sich der Geist in bestimmten personalen Typen,
deren jeder im Bereiche des Negativen — bei Schnitzler
symbolisch bezeichnet durch Satan, wie der des Positiven durch
Gott — einen Gegenspieler und gleichzeitig seine Nachahmung
findet. Aber nicht diese Typologie, die geistreich erfunden und
vielleicht wirklich sehr richtig gesehen ist, will mir als
der eigentliche Grundgedanke der Schrift erscheinen und der
we. atliche Gewinn, den auch der nicht unmittelbar an Fragen
der Geistigkeit Interessierte daraus zu ziehen vermöchte,
und der auch, sogar insbesondere, den Arzt angehen mag,
sondern etwas anderes, das in einem „Zwischenkapitel über
Begabungen und Seelenzustände“ enthalten ist. Die beiden
nämlich werden von Schnitzler unterschieden gegenüber den
Geistesverfassungen, die allein in den Diagrammen aufgezeichnet
sind. Diese gelten ihm als etwas „stets a priori Gegebenes,
Fixes, Einheitliches und Kernhaftes, daher Unabänderliches“,
während dieses „Kriterium der Unabänderlichkeit den Seelen¬
40
Der Geist im Wort und der Geist in der Tat. Berlin.
(S. Fischer.) 1927.
box 35/4
Separatabdruck aus der „Wiener Medizinischen Wochenschrift¬
(Nr. 31, 1927).
Verlag von Moritz Perles, Wien, I., Seilergasse 4.
Nachdruck verboten, event. Genehmigung ist bei der Verlagsbuchhandlung zu erwirken.
Ein philosophischer Versuch Arthur Schnitzlers.“)
Von RUDOLF ALLERS.
Spricht ein Dichter über Dinge des Geistes, so darf man
erheblichen diewinn erwarten. Oft genug haben Dichter erst¬
malig geschaut, was systematische Forschung spüter erarbeitete.
Um so mehr wird man aufhorchen, wenn ein Dichter spricht,
der ärztlicher Schulung gleichermaßen wissenschaftliches Denken
wie jene eigenartig zwischen theoretischer Allgemeinheit und
konkretester Individualisation schwankende Haltung verdankt,
welche dem Arzte eignet Schnitzler will, so sagt sein Vor¬
wort, „das tiebiet des menschlichen fieistes schematisch dar¬
stellen“. Diese „Vorläufigen Bemerkungen zu zwei Diagrammen“,
wie der Untertitel lautet, stellen sich dar als ein Versuch zur
Typik der (iestalten, in welchen der Geist in und durch Per¬
sonen in Erscheinung tritt. Dies ist der Fall, wenn ich dem
Grundgedanken der Schrift richtig folge, sozusagen in zwei
Ebenen: der des Wortes und der der Tat. In jeder dieser
konkretisiert sich der Geist in bestimmten personalen Typen,
deren jeder im Bereiche des Negativen — bei Schnitzler
symbolisch bezeichnet durch Satan, wie der des Positiven durch
Gott — einen Gegenspieler und gleichzeitig seine Nachahmung
findet. Aber nicht diese Typologie, die geistreich erfunden und
vielleicht wirklich sehr richtig gesehen ist, will mir als
der eigentliche Grundgedanke der Schrift erscheinen und der
we. atliche Gewinn, den auch der nicht unmittelbar an Fragen
der Geistigkeit Interessierte daraus zu ziehen vermöchte,
und der auch, sogar insbesondere, den Arzt angehen mag,
sondern etwas anderes, das in einem „Zwischenkapitel über
Begabungen und Seelenzustände“ enthalten ist. Die beiden
nämlich werden von Schnitzler unterschieden gegenüber den
Geistesverfassungen, die allein in den Diagrammen aufgezeichnet
sind. Diese gelten ihm als etwas „stets a priori Gegebenes,
Fixes, Einheitliches und Kernhaftes, daher Unabänderliches“,
während dieses „Kriterium der Unabänderlichkeit den Seelen¬
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Der Geist im Wort und der Geist in der Tat. Berlin.
(S. Fischer.) 1927.
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