IV, Gedichte und Sprüche 5, Bemerkungen mit Fragezeichen, Seite 3

5. Benerkun
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eichen
gen nit Frages¬
Skepsis —?
Der Gedanke der Seelenwanderung wird völlig sinnlos, wenn
wir nicht zugleich eine Fortdauer des Ichbewußtseins als gegeben
annehmen. Als ein Anderer dagewesen sein, das heißt: überhaupt
nicht dagewesen sein.
Wie zum Beweis dafür, daß die Seelen wandern, erzählen uns
manche Leute) Männer, und noch öfter Frauen, daß sie die deutliche
Empfindung hatten, schon früher einmal, etwa zur Zeit der Antike
oder der Renaissance oder in irgendeiner anderen vergangenen
merkwürdigen Epcche, in anderer Gestalt, selbstverständlich immer
als merkwürdige Persönlichkeiten, als Fürsten, Künstler, Abenteurer
männlichen oder weiblichen Geschlechts, als dämonische oder sata¬
nische Naturen auf der Welt gewesen zu sein. Keiner noch hat sich
erinnert, in früherer Zeit als Bettler, als Kanalräumer, als Sklave,
als Bierversilberer, als Waschfrau, als Sitzkassierin, als Pfahlbauer,
als Menschenaffe — oder gar in irgendeiner Epoche gelebt zu haben,
von der er früher niemals aus Büchern oder Erzählungen Kenntnis
erhalten hätte.
Man möchte auch gerne wissen, wie sich solche Leute technisch
(man verzeihe dieses allzu konkrete Wort in so metaphysi¬
schem Zusammenhang) den Vorgang der Seelenwanderung eigent¬
lich vorstellen? — Geht die Seele des Dahingeschiedenen schon
im Augenblick des Todes in den neuen Leib ein — und wenn das
der Fall wäre, in einen Leib, der eben geboren oder in einen, der
eben gezeugt wird? — Oder sollen wir eine Art von Quarantäne
annehmen, eine Wartezeit innerhalb der Unendlichkeit, wo die
Seelen der Verstorbenen verweilen oder wenigstens in der Idee
vorhanden sind — solange bis sich wieder ein richtiges oder, wie
es leider meist zu geschehen scheint, ein nicht ganz passendes leib¬
liches Quartier für sie gefunden hat? Und wandern alle Seelen?
Oder gibt es welche, die nach ihrer ersten oder nach ihrer tausendsten
irdischen Existenz des Wanderns müde sind und als reine Seelen
weiter existieren und nichts weiter zu tun haben als neugierigen
Spiritisten durch Tischklopfen auf törichte Fragen törichte (ver¬
mutlich ironisch gemeinte) Antworten zu erteilen? Und hängt das
Wandern und am Ende auch das Erscheinen von ihrem Belieben
ab Oder folgen sie einem höheren Auftrag? — Wie der Glaube hat
auch sein mißgewachsener Bastard, der Aberglaube, seinen Ursprung
weit seltener in den metaphysischen Bedürfnissen der Menschheit
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