V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 11

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Echtes, starkes Talent vereint sich hier oft mit Krampf¬
Herz, Temperament, moralischen Sinn — all dies entbehrt
haftem, kraftgenialisch Erzwungenem, und der Uebermensch
er gänzlich. Sophismen tragen ihn von Erlebniß zu Er¬
Leontes erhält oft eine bedenkliche Aehnlichkeit mit Hebbels
lebniß, die Kunst des Daseins besteht für ihn „im Ver¬
Holosernes. Das „Königsvolk“, das er zu schaffen gesucht,
dunkeln der Wahrheit“, durch Lüge gewinnt er die Frauen,
ist eine wüste Bande, die Kunst, die er befreit, artet in
und es ist nur gerecht, daß er sie durch Lüge wieder ver¬
groteske Hyperbeln aus. Den Gipfel bildet das große
liert. Ihm selbst, wie seinem Dichter, fehlt die echte
Fest der Sonne, das seinen tragischen Abschluß in der
Leidenschaft, die naive Freude am Weibe, wie sie z. B.
Todtgeburt des ersehnten königlichen Sprossen findet. Ueber
einen Casanova auszeichnet, und es ist unendlich charak¬
das entartete Geschlecht siegt nun wieder eine neue Macht
teristisch, wie er, um den Schein der echten Liebe zu er¬
der Ordnung, die vollständig rätselhaft und unklar bleibt,
wecken, zu Goethe's ewigen „Römischen Elegien“ greifen
das Reich des Schönen geht in Flammen zum Himmel,
muß, und durch reine Empfindung des Deutschen seinen
Leontes selbst endet mit der Gattin auf wilder, entsetzlicher
erborgten Flitterstahl deckt. Alle die betäubenden Parfüms,
Flucht als der einsame Uebermensch im tosenden Meere.
wie sie aus den hinreißenden Schilderungen strömen, ja
Dieser letzte Theil fällt stark ab. Aber es ist ein eigen¬
auch gelegentlicher Weihrauchduft, vermögen nicht die Sinne
thümliches Werk und hat einen eigenthümlichen Verfasser,
so vollständig zu umnebeln, daß man nicht erkennen sollte,
dessen Begabung sich erst noch klären muß, ehe sie ein ab¬
wie hinter all den herrlichen Worten nur die niederste
schließendes Urtheil erlaubt.
Libertinage steckt, das Aufgeben jeder Persönlichkeit, und
Wo ein moderner Dichter nach einem historischen Stoff
das Buch erscheint thatsächlich als das „Breviarium ar¬
greift, ist es eine abnormal psychologische Seite, die ihn zu
canum der eleganten Korruption“. Wahre Gemälde wer¬
seinem Helden führt. Leopold Svends „Prinzessin
den von der Villa Schifanoja, dem Meere in wechselndsten
Charlotte“ Roman der Mutter Fredericks VII. von
Stimmungen, dem aufgeregten Rennplatze entworfen, alle
Dänemark (Berlin, Fischer), zeichnet eine unbefriedigte fürst¬
diese Bilder gehören in das „Scenarium der Liebe“, ohne
liche Frau, die nach einer mit etwas Theatermache insce¬
die dieser „zart empfindende Histrione“, wie der Dichter
nirten Ingénne=Jugend aus langweiliger Ehe heraus die
mit Recht seinen Helden nennt, die „Komödie der Liebe“.
bedenklichsten Ausflüge macht, um in hohem Alter nach be¬
nicht begreift. Aber ein eintöniger, ermüdender Glanz liegt
kanntem Erfahrungssatz zur Betschwester zu werden. Eine
über dem Werke gebreitet, das Instrument hat nur eine
Erklärung für diese ans Pathologische streifende Natur sucht
einzige Saite, die immer wieder angeschlagen wird, die
und gibt der Verfasser nicht, höchstens daß er gelegentlich
Virtuosität ist eine lediglich technische Ausbildung. Töne
auf „vererbte Triebe und Neigungen“ hindeutet; er erzählt
des Humors wie der Tragik klingen nirgends an. Nicht
aber sehr gewandt und weiß besonders die Stimmungen
umsonst singt Sperelli einen Hymnus auf den Vers, in
der beiden Höfe, der mecklenburgischen Heimath und Däne¬
seiner formellen Vollendung; das ganze Werk ist ein Kunst¬
marks, gut wiederzugeben. Nur in den Liebesscenen zeigt
werk der Form, das eben durch den Mangel an entsprechen¬
sich ein kleiner Hang zu Uebertreibungen, und mit symbo¬
dem Inhalte zu einem künstlichen Werke wird. Das Buch
lischen Motiven des Milieu wird ein allzu reicher Auf¬
könnte im höchsten Grade gefährlich sein, wenn es nicht
wand getrieben: selbst die Kerzen flammen bedeutungsvoll,
zum Glücke so unpopulär wie nur möglich wäre. Auch
die Töne der Violine klingen vielsagend und sogar „alle
mn diesem Sinne ist der Verfasser ein Schüler Nietzsche's,
Blumen im Gemach vergaßen zu duften, so sehr erschraken
und Sperelli spricht seine innerste Ueberzeugung aus, wenn
sie“. Stofflich nahe steht dem großen Roman eine kleine
er die in Afrika gefallenen Soldaten als „vierhundert rohe
Geschichte von Birger Wörner: „Allerhöchst Plaisir.
Kerle, die wie das Vieh gestorben sind“, verächtlich abfertigt.
Ein Barock=Interieur“ (Berlin, Fischer), das Schicksal
Nietzsche's Uebermensch tritt in die Welt der Zukunft
eines Mädchens, das von der Geliebten des dänischen Königs
in der merkwürdigen Dichtung Eva's: „Der letzte
zu seiner Gattin avancirt. In Ton und Stimmung dem
Mann“. Apokalyptischer Roman. (Berlin, Vita.) Sie
vorerwähnten Werk verwandt, wird die Erzählung durch
spielt nach Bellamy's „Im Jahre Zweitausend“; die uni¬
allzu große Kürze und Knappheit gelegentlich undeutlich und
formirenden Friedensrepubliken ohne Kunst, ohne Indivi¬
geht sprunghaft vor. Für derartige Themen ist Breite der
dualitäten sind in vollster Blüthe, die Abschaffung aller
Ausführung nothwendig, sonst bleibt, wie hier, nur eine
Heere soll eben ins Werk gesetzt werden. Da erhebt sich
spannende Anekdote übrig.
der Mann der Kraft, das Ich in seiner inteusivsten Ver¬
War hier der Inhalt größer als die Form, so fehlt
körperung in Gestalt des Präsidenten Leontes, an seiner
Benno Rüttenauer, der schon manche hübsche kleinere
Seite ein blonder Dämon, „das Ewig=Unveränderliche, das
Geschichte erzählt hat, das richtige Maß, um eine so weite.
Männer gebiert und liebt“; Tausende und Abertausende,
Hülle, wie er sie diesem Nomane „Zwei Rassen“ (Berlin,
des Jochs der Nüchternheit müde, schaaren sich um ihn,
Fischer) gegeben, auszufüllen. Der Verfasser möchte gern
und das Reich der Gleichheit ist im Sturm gestürzt, der
die Gegensätze von romanischem und germanischem Stamm
große Usurpator wird zum Herrn der Erde. Es ist be¬
sowohl im Großen wie in einzelnen Vertretern zeichnen; er
denklich, an Voraussetzungen, die ganz im Reich der Phan¬
möchte gern den Bildungsweg, den ein deutscher Schrift¬
tasie ruhen, zu mäkeln; aber der Zweifel steigt doch auf,
steller in Paris in Leben und Kunst mitmacht, geben und
ob denn, wenn einmal der Friedensstaat vollendete That¬
eine Herzensgeschichte in ihrer Bedeutung für seine Ent¬
sache geworden, so große Willenskräfte in einzelnen Indi¬
wicklung durchführen. Aber es bleibt bei dem Versuch.
viduen noch möglich sind. Das Schaffen des Einen be¬
Er kommt über Tiraden gegen das versumpfende deutsche
dingt das Verkümmern des Anderen. Was sich nun, in
Geistesleben nicht heraus, während Kraft und Ueberschuß
dem ganz zügellosen Reich ungebundenster Freiheit, geleitet
französischer Jugend im wüsten Treiben eines Pariser
von ebenso unumschränkter Tyrannis, abspielt, läßt sich
Tanzlokals studirt wird; er ergeht sich behaglich in breiten
nur mit Bildern von Rochegrosse vergleichen. Es sind
Reflexionen und Deklamationen, und zwar zumeist aus dem
wüste Orgien, gemalt in den brennendsten Tönen, eine er¬
Mund seines Helden, eines ganz unfähigen Burschen, der,
hitzte Phantasie schwelgt in Visionen von Roth, wahre
ohne das Geringste zu leisten, von seinem Talent und
Symphonien der verschiedensten Schattirungen der einen
Schriftstellerberuf redet; sowohl den Sinneumenschen, wie
Farbe erklingen. Ueberall gibt der Dichter erzählte Bilder,
den Künstler, die das Buch voraussetzt, bleibt es schuldig.
er stellt ganze Züge wie zur Schau auf, er malt mit
Worten und schwelgt in den #istatischen Fiebervorstellungen.! Und seine Erfahrungen krönt ein Verhältniß mit einer
Nr. 221.