V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 12

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Pariser Grisette, das einen ganz unwahrscheinlichen Ab=: Dichtung „Seine Gottheit“ einen zweiten Theil nachzuschicken
und den im Zuchthause begrabenen Dr. Eugen Holtz wieder
schluß findet. Doch fehlt es nicht an hübsch beobachteten
ins Leben treten zu lassen. Abstrufeste Psychologie aber ist
kleinen Zügen, besonders in den Liebesscenen, und einigen
es, die Nichte der von ihm ermordeten Ellen vorzuführen,
frischen Episoden. — Da versteht Otto Behrend den
wie sie sich in den Mann schon vor seiner Rückkehr verliebt,
zarten Kern seines „Roman einer Liebe“ (Berlin,
heimlich zu ihm eilt und in wirklicher Leidenschaft für den
Fischer) ganz anders aufschwellen zu machen. Eine ältere
herabgekommenen alten und kranken Sträfling, den Ver¬
Geschichte läßt sich schwer denken: Ein adeliger Lieutenant
nichter ihrer Familie, entbrennt, So ist es das Problem
und ein armes braves Mädel kommen zusammen, von Freund¬
an und für sich, über dessen widerliche Manierirtheit all
schaft und Hochachtung reden sie sich noch vor, wo schon
die Technik, die in den Dialogen der beiden Hauptfiguren
längst die Liebe und das Verlangen in ihr Herz gezogen,
liegt, nicht hinweghilft. Auch die Lösung ist höchst unglück¬
der Friede des sommerlichen Landlebens ist der „große
lich, daß sie ein ganz verschwommen gezeichneter Freund
Galeotto“, der zustande bringt, was geschehen mußte. Mit
aus den Händen des entsagenden Geliebten befreit, um sie
rührender Einfachheit und Wahrheit werden die leifesten
später heimzuführen, wodurch für sie die Ehe zu einem
Regungen der beiden Herzen belauscht und wiedergegeben,
Refugium wird, gegen das sie selbst wie die Verfasserin oft
von den naiven Selbstbelügungen bis in die niedlichen
so lebhaft protestirt haben. Kalt und verlogen — das ist
Kindereien der keimenden Liebe hinauf, all die zarten
das ganze Buch. Marriot scheint sich selbst in der Figur
Schwankungen der unausgesprochenen Empfindungen, die
des Buroff gezeich et zu haben, der seine größte Freude
sich in feiner Weise besonders in Gegenwart eines unbe¬
darin findet, sich die Komödien und Tragödien des Lebens
theiligten Dritten kundgeben, finden Ausdruck bis hinauf
von Anderen vorspielen zu lassen und theilnahmslos neu¬
auf die reine, ihrer inneren Wahrheit bewußten Sicherheit
gierig zuzusehen.
des Mädchens. Peter Nansen hat hier entschieden Pathe
Der Vortritt unter den neu erschienenen Novellen¬
gestanden. Der tragische Abschluß allerdings, der freiwillige
sammlungen gebührt unbedingt Arthur Schnitzlers „Die
Tod des Mädchens, den der abwesende Geliebte als einen
Frau des Weisen“ (Berlin, Fischer), mit der der Wiener
natürlichen auffassen soll, ist ein gewaltsames Durchhauen,
Dichter eine führende Stelle unter den deutschen Erzählern
nicht die nothwendige Lösung durch eben die zarten Finger,
sich errungen hat. Von den Franzosen war er ausgegangen,
welche den Knoten leicht geschlungen haben. In Einfachheit
heute hat er seinen eigenen Stil gefunden und nur eine
verwandt, aber noch stiller und ruhiger, der nordischen
Technik sich zu eigen gemacht, die an die Maupassants er¬
Landschaft gleichend, die es schildert, ist Hermann Bangs
innert. Die etwas erkünstelte Müdigkeit hat sich in melan¬
„Am Wege“ (Berlin, Fischer), nach seiner im Vorjahr be¬
cholischen Ernst gewandelt, die Blasirtheit, die gelegentlich
sprochenen brillant lärmenden Zirkusnovelle um so über¬
zu verspüren war, ist heute zur überlegenen betrachtenden
raschender wirkend. Es ist ein meisterhaft eintönig ge¬
Auffassung des Lebens geworden. Wie Gabriele d'Annunzio
stimmtes Genrebild von einer kleinen Eisenbahnstation und
sieht er sich selbst und seinen Empfindungen von außen zu,
kleinen Leuten, ungesprochenen Empfindungen, an denen
er ist neugierig, was er fühlen wird; „wir lachen und
ein zartes Frauenherz verblutet. Nur ein Augenblick der
weinen und laden unsre Seele dazu ein,“ sagt er einmal.
Leidenschaft bricht ins vegetative Dasein der Frau Bai
So zerlegt er sich selbst ganz in „Ein Abschied“ bei den Nach¬
ein, als ein Mann in ihre kinderlose Ehe mit dem derben
richten von der Krankheit der geliebten Frau, und an ihrer
Bahnhofinspektor tritt. Sobald sie sich aber über ihre Ge¬
Leiche: „Der Schmerz,“ ruft er aus: „klopft an, nur ich lasse
fühle klar geworden, trennen sie sich auch in selbstverständ¬
ihn nicht ein, aber ich weiß, daß er draußen steht, durchs Guck¬
licher Entsagung; sie geht langsam dahin, Kuchen backend
fenster seh' ich ihn.“ Er kann sich so weit von seiner Er¬
und Tisch deckend für den behaglich genießenden Gatten,
regung trennen, daß er sich klar wird, was das Zusammen¬
dem nach ihrem Tod eine gleiche Bequemlichkeit in einer
treffen mit dem ahnungslosen Gatten für ihn bedeuten
zweiten Ehe zu winken scheint. Und die Züge sausen vorüber,
werde: „Er wußte, daß ihm diese Begegnung später einmal
regelmäßig, in Freud und Leid, und der Pfarrhof bleibt
schauerlich und komisch zugleich vorkommen würde.“ Er
mit den stillen Insassen und das alte Fräulein Jensen mit
gleicht dem Italiener in manchem künstlerischen Zuge seines
dem dicken Mops. . .. Je mehr man sich in das Werk
Wesens, das aber nur dem so erscheinen kann, der nicht
versenkt, desto inniger wird seine tief innerliche Ruhe auf
versteht, daß diese Künstlichkeit eben ein Theil der Natur
den Leser sich schmeichelnd herabsenken.
selbst ist. Nichts kann bezeichnender sein, als wenn der ver¬
Man wird aber sofort aufgeschreckt, wenn man Marie
zweifelte Liebhaber in seinem Schmerze den Ausdruck findet:
Janitscheks: „Ins Leben verirrt“ (Berlin, Fischer)
„Ich bin ihr Seladon, ihr erschütterter Seladon.“ Aber
zur Hand nimmt. Ein eben flügge gewordener Student
er unterscheidet sich von d'Annunzio wesentlich durch die
kommt durch Zufall auf das Gut einer jungen, welt¬
Tiefe der Empfindung, die er zuerst fühlt und durchmacht,
abgestorben dahinlebenden Baronin, seine als ungeheuer
um sie später zu reflektiren, durch den hohen sittlichen Ernst,
mächtig hingestellte Persönlichkeit reißt das Weib mit sich
der so schön in der den Titel gebenden Novelle zutage tritt,
hinaus ins fluthende Leben, dem sie sich nicht gewachsen
durch die Erfindungsgabe, die sämmtlichen in dem Bande
fühlt. Nachdem er sie aber ganz bezwungen, wendet er sich
vereinten Erzählungen auch das rein stoffliche Interesse
von ihr ab, die ihm „nur ein Problem, keine Geliebte“ war,
verleiht, vor allem aber durch den Wienerischen Einschlag,
läßt sie vergeblich um ein Wort der Zuneigung betteln,
der Freude am Mädchen, die auch den Spuk der todten
bis sie sich verzweifelt in die Fabrikmaschine stürzt, die ihn
Geliebten in der Geschichte „Blumen“ zu bannen weiß, der
nach ihrer Meinung ihr abtrünnig gemacht hat. Wieder
Nachgiebigkeit für Stimmungen, der leicht erregten und leicht
gibt die Verfasserin eine unwahre Konstruktion von Menschen
abgeschüttelten Träumerei. Nicht leicht kann ein größerer,
und Dingen, ins Groteske verzerrend und dabei kalt und
ungetrübterer Genuß bereitet werden, als durch diese
leidenschaftslos.
Dichtungen.
Dasselbe muß man, bei aller Anerkennung des großen
Dieser reifen Künstlerschaft steht in Ernst Hardts
Talents, Stimmungen zu analysiren, von Emil Marriot
„Priester des Todes“ (Berlin, Fischer) eine noch ganz
sagen. Eine reine, ungetrübte Freude bereiten selbst ihre
unsichere, nach allen Seiten herumtastende Anfängerschaft
besten Sachen nicht; der vorliegende Roman „Auferstehung“
gegenüber, die aber Besseres für abgeklärtere Zeiten er¬
(Berlin, Freund u. Jeckel) zählt nicht zu ihnen. Es war von
warten läßt. Von den 13 Erzählungen, die hier vereint
vornherein kein glücklicher Gedanke, ihrer so abgeschlossenen
Nr. 221.