V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 13

1. Die
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Frau des Neis
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wurden, sind manche nur ganz hingeworfene, skizzenhafte) können sich an dieser Gabe in gleicher Weise erfreuen. —
Mehr für den Gaumen der Ersteren ist Karl Gjellerups
Bilder; zumeist gefällt sich der junge Dichter in grausiger
„Das Briefcouvert. Studie eines Graphologen“
Stimmungsmalerei, er kann gruseln machen wie Edgar
(Berlin, Fischer) bestimmt. Die schöne Wissenschaft der
Allan Poc. Man träumt mit ihm den „Traum vom Tode“
Graphologie bildet den Anknüpfungspunkt eines ihrer Jünger
und sieht die Gehenkten, welche den nächtlichen Wanderer
mit einer lustigen Sängerin, die freilich von ihrer angeb¬
unter dem Galgen umlagern. Er hat echte Töne mystischer,
lichen Wiener Heimath wenig verspüren läßt, sie soll auch
zarter Stimmung; Anderes, so sein Anruf an die „Einsam¬
einen unbesonnenen Freier vom entscheidenden Schritte ab¬
keit“, sein „Anschauen“ des eigenen Wesens, ist mehr traditio¬
halten; sie thut es zwar nicht, behält aber in der bald ge¬
nelle Pose als wirkliche Empfindung. Vor allem hat der
trennten Ehe recht. Zu der lustigen Geschichte passen die
Dichter noch sich selbst zu suchen. — Dasselbe ist der
kleinen Randzeichnungen, die einem im Traum erscheinen
Fall mit Rosa Mayreder=Obermayer, die in ihren
könnten, recht wenig. — Das Publikum wieder wird sich
„Uebergängen“ (Dresden, Pierson) eine Reihe kleiner,
an Otto v. Leixners zwei Erzählungen: „Der Frack
überraschend scharf beobachteter Bilder bietet und eine für
Amors“, „Der Stipendiat des Freiherrn von
Frauen seltene satirische Begabung offenbart. Besonders
Erck“ (Berlin, Jancke) gütlich thun. Sie sind ebenso un¬
„Der Klub der Uebermenschen“ und „Ein Märtyrer“ zeigen
bedeutend als harmlos, aber flott erzählt und gemacht.
volles Verständniß des modernen Lebens, daneben findet
Das ist die Dutzendwaare, die zu allen Zeiten blühte, nicht
sich manches Unfertige, Schablonenmäßige und Angelernte.
schadet und nicht nützt und weder dem Leser, noch dem
Fannie Pröger
Doch überwiegt das Eigenartige. —
Dichter Kopfzerbrechen verursacht.
kommt diesmal ganz ernst mit „Thränen“ (Berlin, Fischer),
und ihre helle Individualität kleiden die schwarzen Farben
nicht so recht. Sie gibt abgeschlossene Genrebilder, oft von
Die heiligen Stätten in Palästina.
starker malerischer Wirkung, sie zieht aus einem dankbaren
Stoff in „Wie der Preßl das Arbeiten verlernt hat“ nahezu
In den widersprechendsten Formen hat sich der Zug
nach dem heiligen Lande am Jordan von jeher kund¬
den tragischen Extrakt, überall wird man die sichere Kunst
gethan: neben dem einsamen Pilgrim, dem die Sehnsucht,
bewundern; nur gelegentlich, wie in „Begegnung“, dem Zu¬
das Grab des Herrn mit leiblichen Augen zu schauen, in¬
sammentreffen eines geachteten Mannes mit seiner Jugend¬
brünstig das Herz schwellte, zogen glänzende Ritterschaaren
geliebten, die das Verhältniß zur Dirne gemacht, wird in
in klirrender Waffenrüstung oder golddurchwirkten Prunk¬
den Anklagen stark mit leerer Rhetorik gearbeitet. Die Ver¬
gewändern übers Meer nach Osten. Nicht heiliger Sinn
fasserin und wir mit ihr sind erst in den letzten Erzählungen,
durchglühte ihre Brust, nicht der Gedanke, den Staub zu
„Von der Pfeife und dem Kaffee“, einer humorvollen Bauern¬
küssen, den einst des Heilandes Fuß betrat, hatte sie aus
geschichte, und dem köstlichen „Stein der Weisen“, der meister¬
ihren Burgen und Höfen im Abendland in die Ferne ge¬
haft den Briefstil des 16. Jahrhunderts nachbildet, ganz zu
trieben: der ritterliche Kampf mit den Heiden, der Traum
von einem Königreich Jerusalem hatte ihnen lockend vor¬
Hause. — Durch die Novellensammlung Thomas Manns:
geschwebt, die blaue Blume der Romantik sahen sie an
„Der kleine Herr Friedemann“ (Berlin, Fischer)
dem kleinasiatischen Gestade leuchtend erblühen. Und
zieht als leitendes Motiv die dem Leben nicht gewachsene
wieder Andere sah die Geschichte nach jenem Lande ziehen,
Innerlichkeit. Sei es, daß, wie in der ersten Geschichte,
die, jeder anderen Waffe bar, durch die Macht ihres
der physische Defekt den Buckelhans von der Liebe ausstößt,
glühenden Glaubens allein das heilige Grab den Händen
sei es, daß ein suchender Geist an den Gaben, die das
der Ungläubigen entreißen wollten: psalmodirende Kinder¬
Leben bietet, keine Befriedigung findet, wie in „Enttäuschung“.
schaaren, die auf dem rauhen und weiten Wege elendiglich
oder ein einsamer Beobachter das Gefallen an sich selbst
zugrunde gingen, langhin sich streckende Züge von hohläugig
verliert, wie in dem psychologisch meisterhaft geführten
dreinschauenden die Geißel schwingenden Asketen strebten
vergeblich den heiligen Stätten zu. Neben ihnen wallte
„Bajazzo“ — überall droht ein Fragezeichen am Ende des
mit gramdurchfurchten Zügen der Fluchbeladene, der nur
Lebens, und Mancher sucht die Antwort im freiwilligen
durch mühselige Fahrt zu dem Geburtsort des Heilands
Tode. Der Dichter weiß aber auch das Gegenbild zu geben:
von der Strafe für schwere Missethat sich loskaufen konnte
mit einem an ein Hebbel'sches Wort anklingenden Satze:
oder zog mit glänzendem Troß der Templer oder Johan¬
„Man stirbt nicht, bevor man einverstanden ist“, bejaht er
niter der Ordensniederlassung zu, die an der syrischen
den „Willen zum Leben,“ der den Sieg energischer, ziel¬
Küste die Zugänge zum Jordanland beschützte. Durch
bewußter Menschen feiert. Thomas Mann ist entschieden
das ganze Mittelalter hindurch bis in die Anfänge der
die bedeutendste dichterische Begabung, die uns diesmal
neuen Zeit hinein winkt dieses Gebiet der heiligen Stätten
unter den Neulingen begegnet. Dagegen verspricht die Be¬
der abendländischen Christenheit wie ein geheimnißvolles
Idol aus der Ferne herüber; die unerhörtesten An¬
kanntschaft, mit G. v. Beaulieu wenig, dessen kleine Ge¬
strengungen werden gemacht, um es in dauerndem Besitz
schichte „Sein Bruder“ (Berlin, Fischer) recht geziert
zu halten; eine ganze neue Kultur entspringt aus den
und widerlich mit der Verkleidung einer Frau in einen
Zügen und Kämpfen, die um seinetwillen durch Jahr¬
Mann nicht ohne frivole Pointen spielt. — Ein neuer Band
hunderte hindurch unternommen werden. Aber weder die
O. E. Hartlebens, dessen ältere Sammlungen inzwischen
gläubige Inbrunst der Pilgerschaaren, noch die Kriege
neun wohlverdiente Auflagen erlebt haben, wird immer mit
und politischen Bemühungen der Päpste, Fürsten und
Freude begrüßt. Auch im „Römischen Maler“ (Berlin,
Ritterorden können das Kleinod für das Abendland retten;
Fischer) lacht wieder der echte kernige deutsche Humor, leben
es blieb in den Händen der Ungläubigen, die es ent¬
wieder die naiven Männergestalten, die er so plastisch zu
stellten und in Schmutz und Elend verkommen ließen,
unterstützt durch die Gleichgültigkeit Europa's, das im
schaffen weiß. Wie ergötzlich sind die Figuren der Dichter
Beginn der neuen Zeit, nur allzusehr mit sich selbst be¬
in „Das Kalbscotelette“ und „Der Romancier“, der schwer
schäftigt, oder auch von dem neuentdeckten glänzenderen
unter der Forderung des Erlebten zu leiden hat, wie fein
Westen angezogen, Palästina sast vergessen zu haben schien.
satirisch das Märchen „Der bunte Vogel“. Und feuriger
Erst in unserm Jahrhundert ist das Interesse für
Geist des italienischen Weines braust in der Titelnovelle.
das Land der heiligen Stätten im Abendland wieder wach¬
Einzelne Sentenzen sind geradezu in Metall geprägt, z. B.
geworden. Aber in welch ganz anderer Form thut doch
wenn der Dichter von der Liebe sagt: „Mit zwanzig Jahren
heute der Zug dahin sich kund! Nicht mehr im ritter¬
weiß man genau, was das ist, später wird's einem immer
lichen Wagen gilt es den Hort, das heilige Grab, zu
schleierhafter.“ Künstlerische Feinschmecker wie Publikum
Nr. 221.