V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 19


mel
377
378
genügt haben würden, erbauen mich. Ich lächele über die Anmassung, mit
Die Reinheit.
der ich früher einmal versuchte, selbst Predigten zu schreiben und sie für
Auf einem Marktplatz einer kleinen Stadt,
besser hielt, als die der Geistlichen. In die Zeit der Jugend versetze ich
— Die keinen Namen sich bewahret hat, —
mich überhaupt nicht gerne mehr, sie ist so lange schon vergangen. Wenn
Stand einst ein herrlich' Menschenbild aus Stein.
ich Bekannte aus meiner Jugend wiedersehe, hab’ ich ein unheimliches
Der Künstler hauchte seine Seele ein
Gefühl, weil sie so gebrechlich geworden sind. Dann fällt mir ein, dass
Dem spröden Marmorblock, — und siegeskühn
ich ja auch eine ganze Menge Gebrechen habe. Doch ich gehe im Sommer
Ließ er daraus das schönste Weib erbluh'n.
in's Bad. Ich denke noch alle Gebrechen loszuwerden.
Mit weichem Schwunge formte er die Glieder,
31 Uhr. Nun bin ich beim siebzigsten Jahre angelangt. Eigene Ge¬
Der Busen hob — und senkt' sich scheinbar wieder!
danken. War es der Anbruch meines letzten Jahrzehnts: Bereite dich, zu
sterben! ruft es in mir. Ich mache keine Projekte mehr, ändere nichts mehr
Und doch umfloß den gleißend nackten Leib
in Haus und Garten. Ich lebe so still dahin und betrachte jedes Jahr als
Gleich einem Mantel jene keusche Zucht,
ein Geschenk. Bekomme meine Lebensversicherung ausgezahlt. Früher
Die Niedrigkeit stets zu begeifern sucht.
dachte ich das kaum zu erleben; jedenfalls glaubte ich so gestellt zu sein,
— Das schöne Weib stand schweigend Jahr um Jahr,
dass ich es nicht mehr nötig hätte. Jetzt habe ich schon sehr darauf ge¬
Geehrt, beschützt, — sie — allen Schutzes bar.
wartet, und es dauert nicht lange, so ist das Geld für Schulden d’rauf¬
Nie hatte kleinste Unbill sie erlitten,
gegangen. Soweit habe ich es wenigstens gebracht, dass ich jedes Jahr
Und kam ein Bürger seines Weg's geschritten,
eine kleine Reise machen kann. Wollte, ich hätt's vor 4o oder 50 Jahren
Blieb' er gar steh'n und schwenkte seinen Hut:
gekonnt. Manchmal denk' ich, man warte auf meinen Tod. Meine Kinder
„Wie atmet es sich hier so leicht und gut!“
haben schon graüe Haare. Aber lasst mich doch noch — — ein Weilchen
— Doch wie das Gute unaufhaltsam rinnt,
nur! Die Sonne ist so schön und der Wald und die Sec
Auch Böses heimlich seine Fäden spinnt. —
Ich werde bettlägerig. Fast 80 Jahre bin ich alt. In acht Tagen hoff' ich
Zwei freche Buben hat es arg verdrossen,
aufzustehen. Eines Abends erwach' ich vom Schlaf; der Arzt und meine
Daß keiner diesen holden Leib genossen:
Kinder stehen mit besorgter Miene um mich herum. Mir ist, als wäre das
Sie sahen nicht den keuschen Marmelstein,
Zimmer voller Menschen. Ein entsetzlicher Schrecken durchfährt mich, dann
Dor ihren Sinnen ward er Fleisch und Bein,
ein namenloser Schmerz. Einen ganz kleinen Augenblick hoffe ich noch:
Und weil er kalt blieb ihrer tollen Glut,
dann aber denk' ich gefasst: Was macht es, ob die Zeit ein Jahr früher
Erfaßte beide blinde Rachewut.
oder später kommt! Ich nehme Abschied von allen. Sie weinen, ich kann
An einem Abend, als kein Wächter droht' —
nicht mehr weinen. Noch ein Rückblick — — was war’s denn, dies ganze,
Bewarfen sie das hehre Bild — mit Kot.
lange Leben!
Zehn Jahre gingen dahin, wie fünf Minuten. Eben noch stand ich an
Kaum streift' die Sonne ihren Schleier ab,
der Schwelle des Daseins, jetzt sink' ich, ein siecher Greis, in das Grab.
Da liefen die zwei Buben schon im Trab,
Ich spitze die Ohren, — ich höre Wagen fahren. Das Leben tost weiter,
Um ihre Heldenthat am Tag zu seh'n.
es schreitet über die Einzelnen dahin, — nichts sind sie — Staub. Acht
— Erlosch'nen Auges bleiben bleich sie steh'n,
Tage trauern die Freunde, acht Jahre die Lieben, achtzig Jahre bleibt viel¬
Denn — weißer, köstlicher als je zuvor
leicht, was du geschaffen. Und nun thue deinen letzten Seufzer, Mensch,
Wachs aus dem Schlamm der Frauenleib empor!
und mache Platz denen, die nach dir kommen.
Die Nacht, die heilig tröstende und milde,
Zehn Minuten vor 1. Der Zug hält, ich muss aussteigen. Und ich
Sie stieg herab zu dem entweihten Bilde
schreite auf der Erde dahin, noch ein kraftvoller Mann, und die Blumen
Und rief des Himmels Thränen alle wach!
blühen — noch heute
Die wuschen ab die unverdiente Schmach.
— durch des Himmels Thränenstrom gefeit,
*
Wird man die „Reinheit“ schau'n in Ewigkeit.
Hans Berthal.
S. S. S. S. 2. Bicherbroprechuligeit. 8. S. 812


Zimmer und schloß die Thüre hinter sich.“ Langsam wird er sich seiner
Feige Charaktere.
ganzen Feigheit bewußt — jetzt, nachdem die Frau tot ist, versteht er sich
(Schnitzler, A.: Die Frau des Weisen und andere Novellen,
nicht mehr — er begreift nicht, wie er hatte so niedrig handeln können —
Berlin, Fischer, 1898. 24 geh.)
„„und wie er zum Thor hinaus war, schlich er sich an der Mauer des Hauses
weiter, und sein Schritt wurde immer schneller, und es trieb ihn aus der
Einen Zug haben die Hauptgestalten der Schnitzler'schen Novellen
Nähe des Hauses, und er eilte tief beschämt durch die Straßen; denn ihm
gemeinsam. Sie sind feig
sie kennen ihre Feigheit nicht — aber sie
war, als durfe er nicht trauern wie die anderen, als hätte ihn seine tote
fühlen sie und fürchten sie. — Alle müssen an ihrer Feigheit zu Grunde
Geliebte davon gejagt, weil er sie verleugnet —
gehen. — Sie haben alle keine Lebenskraft, der ehemalige Geliebte der „Frau
des Weisen“ nicht — und nicht er, der zu feig ist, seine kranke Geliebte zu
In der „Frau des Weisen“ sehen wir einen Menschen zu Grunde gehen,
besuchen. Jener hat nicht den Mut gehabt, mit der Frau die ihm alles geben
weil er oberflächlich und äußerlich ist, weil er nicht den Mut hat, für seine
Er fürchtet den Ehemann; — dieser ist noch feiger.—
will, fortzugehen. —
Handlung einzustehen. Der „Ehrentag“ behandelt die Seelengeschichte eines
Er fühlt — daß die Krankheit seiner Geliebten mit jedem Tage zunimmt
Provinzschauspielers. — Friedrich Roland war nie ein großer Schauspieler —
er fühlt auch, daß Frau Anna ihn erwartet — täglich — stündlich — daß
recht geglaubt, daß er ein „ganz Großer“ würde, hat er eigentlich auch nicht.
er ihr durch sein Kommen Linderung verschaffen kann — aber er wagt sich
Zwakewußte er, daß er doch nicht so war, wie seine Kollegen — er fühlte,
nicht hinauf in die Wohnung des Mannes, den er Jahre lang kalt und
„daß er durchaus nicht zu ihnen gehörte". „Er hätte was ganz anderes
klug betrogen hat. Die Geliebte beschäftigt ihn den ganzen Tag, Nachts
werden können, wenn er Glück gehabt hätte.“ Und wenn er das auch nicht
findet er keinen Schlaf — er denkt an sie, er überlegt sich „was er nächstens
„Die Art, wie er leise
laut aussprach ##es lag doch in seinem Wesen. —
sagen wollte und flüsterte es vor sich hin.“ Der Gedanke, daß sie leidet,
und müde zu reden, wje er langsam und scheinbar stolz einher zu schreiten
schreckt ihn auf — er stürzt auf die Straße — er muß zu ihr — doch vor
pflegte, ja selbst eine gemisse Gewohnheit den Kopf nach der Seite zu wenden
ihrem Hause ist sein Mut zu Ende — er nimmt einen Dienstmann und
und dabei die Augen halb zu schließen, wurden als komische Zeichen seiner
schickt ihn hinauf, um sich nach dem Befinden der Kranken zu erkundigen.
Aber langsam hatte er sich daran gewöhnt.
Unzufriedenheit gedeutet.“
Aber selbst da fällt ihm ein wenn der Gatte doch einen Verdacht gefaßt
nur kleine Diener= und Pagenrollen spielen zu dürfen, „ja meistens war er
hätte, den Dienstmann ins Verhör nähme, sich von ihm hierher führen
zweiter Knecht oder dritter Verschworenex.“ Er wurde müde und gleichgültig
ließ.“
#er antwortete nicht mehr auf die Bösheiten der Kollegen, ja sogar mit
Auch als ihm der Arzt sagte, daß Frau Anna nicht mehr aufstehen wird,
den Frauen hatte er seit Jahren nichts mehr zu thun gehabt. — Er wollte
hat er nicht den Mut — ihr ein letztes liebes Wort zu sagen — nur in
allein sein — allein fühlte er sich am wohlsten nur manchmal, wenn er
Gedanken ist er mutig. „„Er sah sich die Treppe hinauf eilen, der Mann
Wein getrunken hatte, kam es ihm zum Bewußtsein, wie zwecklos dies Hin¬
empfing ihn, führte ihn selbst zum Bette der Sterbenden — die lächelte ihn
vegetieren war — wie er im Grunde doch immer geheßt und gepeitscht war —
an mit brechenden Augen — er beugte sich zu ihr, sie umarmte ihn.
wie gemein all' die Menschen waren, die ihn mit ihren Besheiten quälten —
Und jetzt trat der Mann hinzu und sagte ihm: Nun gehen Sie wieder, mein
105
So
in solchen Augenblicken haßte er diesen schwarzen Haufen im Parquet — für
Herr, wir werden einander wohl bald mehr zu sagen haben.“
den er allabendlich sich erniedrigen mußte — er hätte die Menschen so gern
so elend feig —
aber in Wirklichkeit ist er feig
träumte er
überzeugt, daß er nicht nur der armselige Schauspieler war, der mmer nur
Erst als er von dem Mädchen
er läßt Frau Anna sterben.
drei gleichgültige Worte sagen durfte, er wollte diesem Pack da unten
hört, die gnädige Frau sei gestorben, geht er hinauf — jetzt will er sie noch
schmeicheln: „„Er wollte bei nächster Gelegenheit mitten in der Szene auf die
einmal umschlingen, noch einmal küssen. An dem Totenbett kniete der Gatte.
Knie fallen und zu beten anfangen: O edle Menschen — und ihnen sein
Er sieht nicht wer neben ihm steht — er ergreift nur die Hand des Fremden
77
ganzes Leid klagen und sein Elend ..
Dank.“ — Da geht mit dem Anderen eine
und flüstert: „Dank —
Ja, so wollte er einmal sprechen, man würde erkennen, „daß er ein
Veränderung vor. „„Sein Schmerz wurde plötzlich ganz dürr und wesenlos.
großer Schauspieler wäre, und viele würden weinen und er vielleicht mit.
Er wäre sich sehr lächerlich erschienen, hätte er mit diesem da zusammen
#77
So oft hat er das alles durchdacht, und die Sätze vor sich hingesprochen,
„„Auf den Fußspitzen drehte er sich um verließ das
geschluchzt.““
Teit mnd Ge#t

N. 44.
1. Gardone