V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 21

Wei
box 35/6
les
1. Die Frau oiSen
gemüthlich Faulen, dem das rechte Selbstbewußtsein noch fehlte,
an, bei dessen Untersuchung unter dem Mikroskope er eine Zusammen¬
unaufhörlich zum Schaffen. Ich freue mich heute meines damaligen
setzung aus wirr durcheinander liegenden Feldspattafeln und einem
Urtheiles über Schnitzler. Es stand damals ziemlich vereinzelt
anderen Mineral feststellte, das Aehnlichkeit mit Augit zeigte; letzteres
bildete ziemlich große, wie zerschnitten aussehende Körner. Auch die
da und ist heute allgemein geworden. Ich habe meine Meinung
Farbe des Minerals ähnelte der des Augit, dieses überaus häusigen
nicht geändert und Schnitzler nicht sein Talent. Sein Stoffgebiet,
Minerals, das einen besonders großen Antheil an der Zusammensetzung
seine Weltanschauung, seine Vorliebe für gewisse Menschen und
von fast allen vulcanischen Gesteinen der Erde nimmt. Andererseits
Themen, seine Antipathien und Sympathien sind die gleichen ge¬
zeigten sich so deutliche Unterschiede von diesem Mineral, daß es als
zweifellos erscheinen mußte, daß hier ein bisher unbekanntes Mineral
blieben. Er hat seine Kunst nicht erweitert, wohl aber hat er sie
entdeckt worden war. Wahrscheinlich kommt dasselbe in jenen als Enkrit
vertieft; er hat nicht neue Kreise gezogen, ist aber in seinem
bezeichneten Meteoren ebenfalls vor; da diese aber überaus selten sind,
Kreise gewachsen und groß geworden. Er hat auch seine Fehler
so wird es schwer halten, eine genügende Menge des neuen Minerals
beibehalten, so die nachlässige Schreibart, die wenig klingende
zusammenzubringen, um eine genaue Bestimmung desselben vornehmen
Sprache.
zu können.
Seine Weltanschauung! Besser wäre, ich sagte, seine Frauen¬
1
anschauung. Denn im Grunde ist Schnitzler ein Erotiker, und
seine Welt ist das Weib. Aber er ist ein kalter Erotiker. Seine;
Liebe hat scharfe, kalte Augen. Seine Liebe ist sehr klug und
Briefe an eine Dame.
sehr verständig. Sie geht niemals mit ihm durch. Die Tollheit?
9.%
ist ihm fremd. Vielleicht fehlt ihm also das Beste und Köstlichste.
Denn die Narren der Liebe sind die einzig Weisen der Liebe.;
Verehrte gnädige Frau!
Meinen Sie nicht auch?
Ihre Villa liegt hart am See. Vom Thürchen, das unter
Und weil Schnitzler so klug ist, ist er grausam. Jeder, ##
dem Balcon sich öffnet, führen zehn marmorne Stufen zum
der die Frauen durchschaut oder zu durchschauen glaubt, meint,
Wasser hinab. Dort an der Kette liegt der gelbe Seuller mit
er müsse grausam sein. Leider sagen das auch die Frauen, die
der veilchengestickten Fahne. Wie oft habe ich Sie in diesem
uns Männer zu kennen glauben. Und gerade was Grausamkeit"
schmalen Boote hinausgerndert! Wenn ich die Augen schließe, so
betrifft, sind wir Alle armselige Stümper im Vergleiche zu Ihren
sehe ich Sie vor mir sitzen, eifrig mit Sonnenschirm und Steuer
Geschlechtsgenossinnen. Unsere Grausamkeit ist roh, ist schwer¬
beschäftigt. Nur das geschwätzige Zischen der über's Wasser
fällig, ist die Grausamkeit der Keule, des Schwertes, im besten
tanzenden, flachen Ruder gleitet durch unser Gespräch, und der
Falle des Messers. Die Grausamkeit des Weibes ist die Kunst
scharfe Schlag der Ruder, wenn sie in's Wasser tauchen, schneidet
des feinen Giftes, ist die Zauberei des Blickes, die Magie des
Satz von Satz!
Unfaßbaren. Der Hexerich kann vor der Hexe nicht bestehen. Und
Von drei Seiten umgibt der Wald Ihre Villa. Nur von
es ist ganz falsch, immer an die bösen, häßlichen Hexen zu
der Seeseite ist das Häuschen sichtbar. Sonst verschwindet es
denken. O nein, meine gnädige Freundin! Der Teufel ist ein
ganz zwischen den Bäumen. Und wieder sehe ich Sie — zwischen
Feinschmecker, und auf dem Blocksberg war stets die Schönheit!
den Bäumen gehen Sie dahin und über Ihr helles Kleid fallen
zu Hause.
rothe und grüne Schatten ...
In Schnitzler's Grausamkeit mischt sich ein Tropfen Ver¬
Wie beneide ich Sie um Wald und See!
achtung. Und das macht ihn traurig. Daß er immer auch ein
Aber Sie haben Wünsche. Wald und See bieten Ihnen
klein wenig verachten muß, was er liebt, lockt ihm die Thränes
nicht genug. Sie wollen Bücher haben. Sie wollen diesen Sommer
in's Auge. Dieser blinkende Tropfen ist echt, ist das Juwel##
lesen, viel lesen. Und Sie erweisen mir die Ehre, mich um Rath
seiner Poesie. Bedeutet ihm die Frau die Welt, so bedeutet diese
zu fragen. Ich soll Ihnen neue Erscheinungen empfehlen, soll
Thräne seinen Weltschmerz. Und dieser saufte, melancholische#####
Ihnen ein Wegweiser sein durch die moderne Literatur. Das ist
Schmerz mit der leisen Selbstverspottung, die mittönt, gibt seinen

nun ein sehr undankbares und gefährliches Geschäft. Es geht
Werken ihr Gepräge.

Einem mit den Büchern wie mit den Frauen. Man muß sich

Man nennt Schnitzler einen Jung=Wiener Dichter. Ich
selbst die Frau suchen, die Einem wohlgefällt. Der beste Sendling
möchte auf das Wienerthum keinen allzu schweren Ton legen.
ist da nichts nütze. Ich meine natürlich Bücher und Frauen,

Die französischen Kleinmeister des Dialogs und der Novelle haben
die Einem was bedeuten sollen, deren Besitz eine Merkstunde
ihn gebildet. Der Wiener Boden gab ihm die Modelle. Ein ####
schlägt in unser Dasein. Bücher und Frauen zur Unterhaltung,
Charakteristisches des Wienerthums, die Fröhlichkeit, die Kunst, ##
um mit ihnen ein Weilchen in heitere Minuten aufzudröseln,
der Sorge zu entlaufen, fehlt ihm gänzlich. Er kennt freilich die
die läßt man sich gern und leicht empfehlen. Da mag ja auch
Sorge des Lebens nur so weit das Leben die Liebe ist. Ich
die Empfehlung ihr Gutes haben. Für ein solches Amt möchte
möchte sagen, er kennt nur die erotische Sorge. Aber er kämpft
ich aber danken.
4
nicht gegen sie, ringt nicht mit ihr, und wenn sie ihm auf der
So muß ich denn mit Bedauern darauf verzichten, Ihnen
Schulter sitzt, macht er keinen Versuch, sie abzuwerfen. Ja, im
Rathschläge zu geben. Wenn es Ihnen aber recht ist, liebe
0
Anschauen dieser Sorge um ein Geliebtes findet er seine besten
Freundin, so will ich Ihnen gerne erzählen, was ich gerade ge¬
Töne. Er starrt der Liebessorge in's Gesicht: Wissen oder Nicht¬
lesen habe, will Ihnen auch mittheilen, welchen Eindruck das
wissen nennt sie sich zumeist. Er will ihre Medusenzüge ent¬
Gelesene auf mich gemacht. Verlockt es Sie dann, das Buch
ziffern, als stünde in ihnen das Geheimnis des ganzen Lebens
gleichfalls zur Hand zu nehmen, so thun Sie es auf Ihre
geschrieben.
eigene Gefahr. Machen Sie mir keine Vorwürfe, wenn Sie
Schnitzler hat eine gewisse Vorliebe für das Mystische.)
meinen Geschmack dann nicht theilen. Aber loben Sie mich
Die Räthsel des Todes locken ihn. Er sucht sie zu verstehen.s
immerhin, wenn unser beider Geschmack auf gleichem Wege ge¬
In diesem Drange fand er das gute Wort: „Jedes Wesen ists
wandelt. Denn Ihr Lob wird mich aneisern, Ihrem Geschmacke
in Wahrheit erst dann todt, wenn auch alle die gestorben sind,
nachzuspüren. Und habe ich erst die Geheimnisse Ihres Ge¬
die es gekannt haben.“ Den Wegen geht er nach, die aus dem
schmackes entdeckt, dann bin ich auch auf dem richtigen Wege
Licht in's Reich der Schatten führen. Aber er bleibt immer ins
zu Ihrer Seele. Und habe ich Ihre Seele — dann lebe wohl,
seinem Kreise, bleibt auch in diesen Problemen immer der#
Buchkritik, dann weiß ich mir was Besseres, als Ihnen von
Erotiker. Das Reich der Schatten! Das Ungewußte! Das hinters
der Psychologie der — Anderen zu erzählen! Das Buch ist der
Schleiern! Davor steht er in seinen Träumen. Und die Schatten,
ewige Galcotto. Am Ende so manchen Literaturgespräches öffnet
das Ungewußte, das Verschleierte im Leben des Alltages, der
sich der verschlossene Garten der Gefühle. Aber bei den Gefühlen
Tod unserer Gefühle, unserer Stimmungen, unseres Willens, der¬
halten wir ja noch nicht.
Tod der Stunden und der Tage, das Sterben in uns, das isti
Oder doch! Denn ein Buch der Gefühle habe ich eben vor
es, was seine Poetenseele erfüllt. Ein Buch der Schatten, des
mir liegen. Es heißt „Die Frau des Weisen“ und ist ein
Ungewußten, ein Buch des Todes könnte man seinen letzten
Novellenband von Arthur Schnitzler.
Novellenband nennen.
Zehn Jahre sind es her, daß wir Beide, Schnitzler und
Wenn Sie ihn lesen, liebe Freundin, wird er Sie gewiß
ich, anfingen, in der Literatur uns umzuthun. Er nannte mich
damals seinen Kornak, denn ich stachelte und trieb ihn, den ergreifen. Das Sterben eines Gefühles ist schlimmer als das
80