V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 22

S
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Nei
des
1. Die Frausen
demselben unveränderten Ausdruck in seinen Mienen vor sic
Sterben eines Menschen. Hinter einer Stunde, deren Geheimnis
nieder. Kannte er das Treiben seiner Mutter? Wußte er, weld
wir nicht kennen, lauern dunklere Räthsel, als hinter der engen
eine Frau sie war? Unmöglich ist das: er würde nicht an diesen
Pforte, „um deren Mund die ganze Hölle flammt“. Haben Sie
Platz gesessen sein, wenn es der Fall gewesen wäre. Und ich
das nicht selbst schon erfahren? Ist Ihnen noch nie was Liebes
ging und nahm seine Hand, seine schüchterne Hand, und sah ihr
im Gefühle, was Liebes im Denken gestorben? Tragen wir nicht
an. Das ist alles. Das ist das Erlebnis dieses Nachmittags
Alle einen stillen Kirchhof in unserer Brust? Den Glücklichen
Ich erwachte nicht mehr aus diesem Zustand des Anschauens
wachsen Blumen auf den Gräbern ihres Herzens. Wissen Sie
nicht, daß gerade auf Friedhöfen die Blumen besonders schön in dem ich gleichsamedie unterirdischen Schätze der Erde sah, wie
und üppig gedeihen? So ist es auch in uns####e den ge= jener Sakt“ itige in der arabischen Erzählung.
storbenen Stunden wachsen die lebendigen
Ich werv. alles niederschreiben. Es liegt nicht an mire
Wenn wir jetzt im Mondschein auf den. See wären, kö¬
schweigen, etwas zu verheimlichen oder hinzuzu
ich dieses Bild Ihnen ganz anders vor die S###n fül
###n, es ist #ir, * hätte ich nicht das Recht dazu. Ich habe
thue es wohl noch einmal. Und dann schilder uh Ihneneswie
einmal den einem Manne gelesen, der in seinem dreiunofünfg
ich mir den Todtengräber der. Gefühl. denke: als schonen Jüng¬
zigsten Jahre zum ersten Mal von einem Weib förmlich in
ling mit nachtschwarzen Locken, mit glänzenden Augen und
Flammen gesetzt wird, und. er verliert Stolz und Ruhe und
glühendem Munde, mit starken „Händen, die den klingenden
Unbefangenheit und Selbstprüfung und erniedrigt sich zum Hunds
Spaten führen. Ein Gott ist es, ein morgendlicher Gott, ein
Aber das ist nichts, denke ich mir, gegen den Zustand einer
Herr der Thränen und des Lichtes, das allen Thräuenthau trinkt
Frau in diesem Falle. Nicht als ob ich es wäre, nein, das kann
und unserer Seele neues Duften lehrt.
ich nicht glauben, ich würde sonst, — ach, was würde ich thunig
Und dieser Gott schreitet auch durch Schnitzler's Geschichten.
Aber ein solches Weib denke ich mir, muß alle menschlichen und
Hinter all dem trüben Sterben, das er schildert, liegt für seine
guten Instinkte verlieren, all ihre Handlungen werden vollkommeng
Helden noch ein Blühen und Erwachen.
verstandlos sein, sie wird nicht mehr sehen und hören, was
Vielleicht lege ich in diese Novelletten mehr hinein, als der
Andere sehen und hören, ihr Liebesschrei wird dem Schrei eines#
Dichter wollte. Gleichviel. Seine Kunst ist es ja, uns träumen
verendenden Pferdes gleichen, und bei alledem wird sie nicht##
zu machen. Uns träumen machen das ist das Beste was
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tragisch sein, wie jener Mann, sondern, alles was sie thut, ist

Kunst und — Liebe uns geben können. Nicht wahr, meine
einfältig und von grotesker Komik. Dies ist wahr, wie mir
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Gnädige?
Gott helfe!
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Es grüßt Sie in innigster Verehrung
Aber was ist das in mir, das sich so regt, verrätherische
Ihr
und beängstigend? Es ist Nachmittag, und ich liege und sinne#
Rudolph Lothar.
Mein eigener Körper ist mir fremd geworden. Ich höre das#
Jubelgeschrei des Carnevals von der Straße, das Leben hauchts
*
mich an. Die Glocken läuten Carneval, — Glocken, die nur ichs
hören kann. Die Farbenbuntheit und das wogende Getöse und
die vielfältige Art Musik, es ist berauschend. Ich zittere und
Jakob Wassermann.
verlange. Ich liege ja nicht, sondern ich gehe dahin auf den
Zum Carneval der Damen.
Straßen wie auf Teppichen. Das Laster ruft, das vielleicht nurs
(Schluß.)
die Freude ist und durch die Pfaffen aller Lande um seinens
Frau von Schachno ist eine jener Damen, von denen man
guten Namen kam. Nur ein einziges Gesicht sehe ich in allen
nicht weiß, welches die Quelle ihres augenscheinlichen Wohl¬
Gesichtern der Stadt. Buntbewimpelte Wagen fahren einher und
standes sein mag. Sie führt einen großen Haushalt, hat wöchent¬
Lieder werden gesungen und die Menge strömt zu den Ball¬
lich zwei Mal „Abende“ in denen sie die Welt der Schriftsteller
häusern und alle scheinen sie das Jahr vergessen zu haben, das
und Künstler bei sich sieht, sie trägt die neuesten Toiletten, und
außerhalb liegt, das trübselige Nachher. Es wird Nacht, mehr
doch weiß Jedermann, daß sie gänzlich ohne Vermögen ist. Sie
und mehr, und ich bemerke nicht, wie die Zeit verfließt; vor#

schreibt schlechte Romane und frivole Novellen, die kein Mensch
meinen Augen wird es schwarz, vor mir ist eine Kirche offen,
kauft; sie hat ihren Gatten, einen ehrlichen und intelligenten
und ich gehe hinein, um zu beten. Weshalb? Wen oder was

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Journalisten zu Grunde gerichtet, denn sie wollte die Frau
habe ich dort angebetet? Gott? Oder Jesus Christus? Ich habe
eines berühmten Mannes sein und Herr von Schachno konnte
gebetet: Gott, gib mir meinen Carneval! Gib mir meine Zeit
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nicht mehr als ein pflichttreuer Journalist sein, und als er das
des Vergessens, Du bist sie mir noch schuldig, wahrlich noch
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erkannte, gab er sich den Tod. Und das hat dieses dürre, hä߬
schuldig! Gib mir Farben, bunte, frohe, und achte nicht darauf,
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liche Weib gethan, mit dem Vogelgesicht und dem erkünstelt
daß ich eine Dame bin! O, ihr Häuser, hinter denen ich stets
vornehmen Wesen, mit der lasciven Art, die Conversation stets
den Frieden und das Glück vermuthet, nun wird mir vieles

nach den zweideutigen Dingen zu steuern und überall lächelnd
klar aus euren dunklen Mauern! Wie viel Jugend mögt ihr
das Weiße schwarz und das Unschuldige unsauber zu machen.
getödtet haben, ohne darüber Buch zu führen! Wie viel bürger¬
Bei ihr verkehren jene Künstler, die „Anregung“ solcher Art
licher Anstand mag hinter euch verkümmern und verkümmert#
nöthig haben, die reden müssen, um „Ideen“ zu bekommen, und
sein! Wie viel Menschen mögt ihr beherbergen, die nie einen
die über jeden die Achsel zucken, der nicht in eben demselben
Carneval hatten! = Und nun wandern und wandern. Blitzende
Salon eine Rolle spielt. Da sind jene Frauen, die nur noch ein
Spiegel, hellleuchtende Flächen, Paare, die sich umarmen, die
Schritt von der Sphäre der Courtisanen trernt, und jene, die
sich verloren haben, eines aus andere. Alles nur ein flüchtiges
sie hinter sich gelassen haben, die hindurchgeschritten und alt
Bild für meine Erinnerung. Wo ist der Carneval? Mein Cars#
geworden sind und nun sich auf eine Art geistiger Kuppelei
neval? Das ist ein bitteres „Geheimnis einer alten Mamsell“
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verlegen, jene Herren, von denen man nicht weiß, woher sie
daß sie in den Gassen herumläuft und „ihren“ Carneval suchts
kommen, wohin sie gehen, was sie treiben und was sie sind, die
Ihr guten, alten Zeiten!

nur einen Frack haben und einen Vorrath gewisser süßer Com¬
plimente, womit sie sich durchschlagen; da ist bisweilen der
Dann ist es Dienstag. Ich bin in den Apollosälen. Ufer¬
„Löwe“, der ein Rath oder ein Intendant oder ein Baron ist,
los strömt das Behagen durch meinen Körper. Leonor ist hier.
mit einem Wort, jene anrüchige Welt der Verleumdung und
Ich fühle mich jung, und eine seltsame Entschlossenheit wohnt
des Klatsches, ein Heim müder, kranker, verdorbener Existenzen.
in mir. Welch ein Aublick! Die Mitte des großen Raumes, der
Warum kenne ich sie jetzt alle so deutlich? Warum sind mir die
so hoch wie ein Dom ist, ist mit einem bläulich grünen Licht
Augen so plötzlich aufgegangen? Ach, ich selbst kenne mich nicht
erfüllt. Und die Galerien und Wandelgänge sind durch den
mehr. Ich war still und in mich gekehrt, während der ganzen
Schein der Glühlampen erleuchtet, und es sieht aus, wie ein
Dauer meines Besuches, all meine Lebhaftigkeit und Renommir¬
breiter, glühender Feuerkranz, um diese milde, märchenhafte
sucht war verschwunden. Alle sprachen vom Carneval und von
Dämmerung, in der die Säulen traumhaft glänzen, die Guir¬
den Festen, und daß man am Dienstag in die Apollvfäle gehen
würde zum hal paré. Leonor saß mir gegenüber und sah mit landen wie aus dem schwülen, sinnlichen Duft herausgewachsen