V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 23

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des Veise

1: Die
Rezensions-Beleg. 2
Helhagen & Klasinge
Eonatshefte
X// Jahrgang
68 77
(s wäre mehr thöricht als vermessen, heute
(
Form von Tagebuchblättern abgefaßt. Man
— schon von einer Berliner Litteratur zu
muß sich aber an einzelne Außerlichkeiten halten,
sprechen, wie man von einer Pariser spricht.
um nach und nach zu erkennen, daß diese Blätter
Soviel Schöpfungen jährlich innerhalb des
ein Mann geschrieben haben soll. Die Sprache,
Berliner Weichbilds entstehen — und ich glaube,
die Stimmung, die Empfindungen berühren
man darf die Romane, Novellen, Dramen nach
durchaus wie Herzensergüsse einer Frau, wenn
Hunderten rechnen — von einer Gemeinsamkeit
auch nicht immer, so doch ganze Seiten hindurch.
des Stils findet sich keine Spur. Das ist nicht
Der Inhalt ist im allgemeinen sehr unwesent¬
weiter verwunderlich, denn die Schaffenden sind
lich, das Epische tritt stark in den Hintergrund,
zum größten Teil eingewandert, und ihr Herz ist
Stimmungslyrik und Betrachtung bilden die
noch nicht berlinisch, es gehört noch der Heimat
Hauptsache. In der ersten Erzählung des Buches
an, in der ein jeder seine Kindheit verlebte.
kommt die „Handlung“ über das Anekdotenhafte
Einer der wenigen aber, die schon mit dem ersten
nicht hinaus; ein Gatte ertappt seine Frau über
Atemzug die zarten Düfte der Spree= und Panke¬
einem kleinen Fehltritt, ohne daß sie von seinem
stadt einatmeten, besingt lieber die Melitten und
Mitwissen etwas ahnt; und er schweigt, um nicht
Aspasien des alten Hellas, als die Almas und
Ol ins Feuer zu gießen, rücksichtsvoll jahrelang.
Augusten seiner Vaterstadt. Vor Zeiten hat
Dafür erhält er von Schnitzler den Ehrennamen
allerdings Berlin den Ehrgeiz gehabt, es zu
„der Weise“. In „Abschied“ harrt der Liebende
einer Litteratur von eignem Gepräge zu bringen,
mehrere Tage hindurch umsonst der Geliebten,
in
jenen Tagen, als Fontane heranreifte, als
die „natürlich“ Frau eines Anderen ist. Endlich
Glaßbrenner witzelte und Kalisch Possen schmiedete.
erfährt er, daß sie inzwischen gestorben ist. Er
Aber das damalige Kleinberlin ist mit dem heu¬
schleicht sich ins Haus, wo sie aufgebahrt ruht,
tigen Großberlin nur durch ein Band geschicht¬
um sie noch einmal zu sehen. „Das Flimmern
licher Erinnerungen verknüpst, geistig und litte¬
der Kerze machte, daß er ein Lächeln um Annas
rarisch führt keine Brücke von einem zum andern,
Lippen zu sehen glaubte. Er nickte ihr zu, als
höchstens ein schmaler Steg. Was aber Berlin
nähme er Abschied von ihr und sie könnte es
als Neuling unter den Weltstädten noch nicht
sehen. Jetzt wollte er gehen, aber nun war es
besitzt und erst heranzubilden trachtet, das hat
ihm, als hielte sie ihn mit diesem Lächeln fest.
Und es wurde mit einem Mal ein verächtliches,
die Schwesterstadt Wien seit langem aus sich
fremdes Lächeln, das zu ihm zu reden schien,
heraus erzeugt: eine eigne Kunst, eine eigne
und er konnte es verstehen. Und das Lächeln
Litteratur, einen eignen Stil. Jedes echte Talent
sagte: Ich habe dich geliebt, und nun stehst du
hat auch in Wien seine besondere Prägung, aber
da wie ein Fremder und verleugnest mich. Sag'
ebenso unverkennbar sind die gemeinsamen Züge,
doch, daß ich die Deine war, daß es dein Recht
die alles oder doch fast alles, was im Bezirk
ist, vor diesem Bette niederzuknieen und meine
des heiligen Stephan geschaffen wird, aufweist.
Hände zu küssen. Warum sagst du's denn nicht?..
Es gibt da eine Kette gemeinschaftlicher Eigen¬
Aber er wagte es nicht . .. Es trieb ihn aus der
tümlichkeiten, die von Grillparzer bis zu den
Nähe des Hauses, und er eilte tief beschämt durch
jüngsten „Symbolisten“ führt. Was die Wiener
die Straßen; denn ihm war, als dürfe er nicht
Kunst vor allem kennzeichnet, ist die Lust an
trauern wie die anderen, als hätte ihn seine
feiner Sinnlichkeit, an weichen, zerfließenden
tote Geliebte davon gejagt, weil er sie verleugnet.“
Formen, ein Zug ins Weibliche, Schwelgende,
Zum Entgelt „verleugnet“ in der Schlußerzählung
Träumende, leichtes Blut und wenig Mark, mehr
„Die Toten schweigen“ die Frau den ihr jäh¬
Rezeptivität, als Aktivität. Das Gemütliche tritt
lings entrissenen Geliebten. Bei einer abendlichen
stärker hervor als das Geistige, das Intime,
Fahrt, die irgend ein Franz mit der angebeteten
Zarte, Stille mehr als das Heroische, und wenn
Gattin eines Anderen macht, wird Franz aus dem
in den niederen Gründen der Litteratur sich
Wagen geschleudert und bleibt auf der Stelle tot.
leicht etwas Trottelhaftes einmischt, so in den
Während der Kutscher forteilt, um Hilfe herbei¬
höheren oft eine gewisse Müdigkeit, eine Ab¬
zuholen, überlegt Emma, die Gattin und Geliebte,
spannung, die aber gern mit ihrer etwas kränk¬
daß sie für immer gerichtet und verloren sei,
lichen Weise kokettiert. Unter den jüngeren
wenn man sie in Gesellschaft des Toten entdecke:
Schriftstellern, die den Wiener Typus mit be¬
das fündige Verhältnis, das sie sorglich geheim
sonderer Deutlichkeit vertreten, ist einer der be¬
gehalten, kommt dann ohne weiteres an den Tag;
merkenswertesten Arthur Schnitzler; seine
dem Toten aber nützt es nichts, wenn die Lebende
Schauspiele „Liebelei“ und „Freiwild“ sind auch
beider Schuld büßen muß. In solcher Erwägung
auf norddeutschen Bühnen vielfach gespielt worden.
hält es Emma für das Beste, sich, ehe der Kutscher
Liebelei, — das Wort könnte im Grunde dem
zurückkommt, hinwegzuschleichen und zu ihrem
Gatten heimzukehren, als ob nichts geschehen sei;
gesamten Schaffen Schnitzlers als Motto dienen.
Sie denkt's und führt den Entschluß aus ..
Er hat eigentlich nur dies eine Thema, und er
Fast noch tiefsinniger ist die Geschichte von den
variiert es in nicht sehr abwechselungsreicher Weise.
Blumen“. Da in Schnitzlers Poetenreich die
Mit frischerer Laune, die hier und da sich zur
Sterblichkeit arg grassiert, so ist auch „sie“ (die
Satire und Ironie steigert, in seinen Dramen
Namenlose) eines Tages vom Tode hinweggerafft
und Dialogen, mit sehr viel Empfindsamkeit in
worden. Als letzten Gruß hat sie „ihm“ einen
seinen Novellen. Um dieser Empfindsamkeit
Blumenstrauß zugesandt, den „er“ zu ewigem
willen mögen naive Gemüter die ewige Liebelei
Gedenken ins Wasserglas stellt und das Glas auf
mit Liebe verwechseln, aber wenn auch die Ge¬
den Schreibtisch. Bald aber findet „er“ (nicht
fühle, denen Schnitzler Ausdruck gibt, nicht gerade
unecht oder erlogen sind, so ziehen sie doch mit
so viel Pos# auf,### von lieferen Regungen gar
de Rimmenstraußt, sondern der Liebende) in
nicht die Rede sein kann. Daß diese Pose auf
seiner Einsamkeit eine Trösterin; das blonde
„Gretel“
die Dauer nicht gerade ergötzlich, sondern eher
sucht die Erinnerung an die Tote zu
einlullend wirkt, das merkt man, wenn man sich
besiegen. Und solange sie bei „ihm“ weilt, ge¬
durch die jüngste Novellensammlung Schnitzlers
lingt ihr das leicht. Aber wenn sie fort ist, ge¬
Die Frau des Wer
W
rlin S. Fischer winnen die Blumen