V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 37

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1. Die Fre.
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COSMOPOLIS.
ihren. Sie weiss: überstcht sie diese letzte Prüfung nicht, so ist alles
verloren. Und sie fühlt, wic sie wieder stark wird, sie hat ihre Züge, ihre
Glieder in der Gewalt; sie kann in diesem Augenblick mit ihnen anfan¬
gen, was sie will; aber sie muss ihn benützen, sonst ist es vorbei. Und
sie greift mit ihren beiden Händen nach denen ihres Gatten, die noch auf
ihren Schultern liegen, zicht ihn zu sich; sicht ihn heiter und zärtlich an.
Und während sie die Lippen ihres Mannes auf ihrer Stirn fühlt, denkt sie:
freilich.,, ein böser Traum. Er wird es niemandem sagen, wird sich nie
rächen, nie. er ist tot.,, er ist ganz gewiss tot.,, und die Toten schwei¬
gen." Warum sagst du das?“ hörte sie plötzlich die Stimme ihres
Mannes. Sie erschrickt tief." Was hab’ ich denn gesagt?“ Und es ist
ihr, als habe sie plötzlich alles ganz laut erzählt. Und sie weiss, dass sie
diesem Mann, den sie durch Jahre betrogen hat, im nächsten Augenblick
dlie ganze Wahrheit sagen wird.
In diesem unwillkürlichen, vom Erzähler in leisen Zügen
vorbereiteten, zum erstaunlichen Gipfel der Novellette em¬
porgeführten Geständnis steckt eine gewaltige Theater-Scene,
wie in der kleinen Geschichte ein ganzes, grosses Theater¬
stück steckt, gleich oder just weil nichts theatralisch zuge¬
richtet ist in dieser Meisterschöpfung. Schritt für Schritt, in
unmerklichen Uebergängen verketten sich Schauplätze und
Ereignisse. Der Wechsel des Ortes, die Wandiung der
Empfindungen, Grosses und Kleines verschlingt sich zu
Stimmungsbildern, die — nicht nur nach der Diplomaten¬
Prosa in Fanar und Mayfair — Ohr und Auge und Herz
zugleich gefangen nehmen. So z. B. im Gang, im Ab¬
schiedsgang der Beiden beim Stelldichein auf der Reichsstrasse
der Blick auf die grosse Donau, der über die Reichsbrücke
rollende Bahnzug.
Sie spazirten vorwärts. So lang die Brücke allmählich anstieg, sprachen
sie nichts, und als sie Beide das Wasser unter sich rauschen hörten, blic¬
ben sie eine Weile stehen. Tiefes Dunkel war um sie. Der breite Strom
dehnte sich grau und in unbestimmten Grenzen hin, in der Ferne sahen
sie rote Lichter, die über dem Wasser zu schweben schienen und sich
darin spiegelten. Von dem Ufer her, das die beiden eben verlassen
hatten, senkten sich zitternde Lichtstreifen ins Wasser; jenseits war cs,
als verlöre sich der Strom in die schwarzen Auen. Jetzt schien ein fer¬
neres Donnern zu ertönen, das immer näher kam; unwillkürlich sahen sie
beide nach der Stelle, wo die roten Lichter schimmerten; Bahnzüge mit
hellen Fenstern rollten zwischen eisernen Bogen hin, die plötzlich aus der
Nacht hervorzuwachsen und gleich wieder zu versinken schienen. Der
Donner verlor sich allmählich; es wurde still; nur der Wind kam in
plötzlichen Stössen.
Das wundersamste Blatt im Cyclus dieses Totentanzes ist die
Novellette Blumen. Ein junger Mensch hat ein leichtes Blut
der
arme
que, spött
des Theaterpöbe
elächte
gelingt. Nur zu gut, denn
auf. Und die empörte Diva
Fass. Für wie lange? —
wiederum zu zahm sein. Im
mit dem Mannequin d’Osier
Groteske des französischen
geworden. Der Kostknabe
wüchsiger Milchbart, rührt
wird Augenzeuge der verrät
armung. Der Jüngling sieht
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