V, Textsammlungen 1, Die Frau des Weisen. Novelletten, Seite 38

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geliebt, dann hat er sich, von der Kleinen betrogen, von ihr
getrennt. Nach wie vor schickt sie ihm zu bestimmten Tagen
Blumen. Und als er einmal hört, dass das Mädchen gestor¬
ben, überrascht es ihn kaum, dass zum nächsten Termin
dennoch der herkömmliche Strauss eintrifft. Der Auftrag war
offenbar zum Voraus gegeben. Dennoch wird der Empfänger
nicht Herr seiner Bewegung. Wider alle Vernunft und allen
Willen muss er“ die Blumen als etwas Gespenstisches empfin¬
den, als kämen sie von ihr, als wär’ es ihr Gruss.“
Ach, wir verstehen den Tod nicht; nie verstehen wir ihn und jedes
Wesen ist in Wahrheit erst dann tot, wenn auch alle die gestorben sind,
die es gekannt haben.., Und wie sie jetzt vor mir auf dem Schreibtisch
stehen, in einem schlanken, mattgrünen Glas, da ist mir, als neigten sich
die Blüten zu traurigem Dank. Das ganze Wch einer nutzlosen Schn¬
sucht duftet mir aus ihnen entgegen und ich glaube, dass sie mir ctwas
erzählen könnten, wenn wir die Sprache alles Lebendigen und nicht nur
dlie alles — Redenden verständen.
So bleibt er im Bann der Blumen, bis ein andrer Schatz mit
kecker Hand die welken modernden Blätter zum Fenster
hinauswirft. Nicht auf gleicher Stufe mit diesen drei Novel¬
letten stehen die beiden anderen, an sich ganz guten Geschich¬
ten. Der Ehrentag ist für meinen Geschmack ein bischen grell.
Ein verkannter Winkelkomödiant erregt die Eifersucht des
hohlköpfigen Liebhabers der Operetten-Diva. Wie konnte die
Kleine sich einfallen lassen, die Physiognomie des von aller
Welt unbeachteten Statisten gelegentlich interessant zu nennen?
Dafür soll er büssen.“ Per Hetz'’ — wie wir Wiener sagen —
lässt der Stutzer den armen Teufel durch höhnische Huldi¬
gungen der Claque, spöttische Kranzspenden u. s. w. dem
Gelächter des Theaterpöbels preisgeben. Der rohe Streich
gelingt. Nur zu gut, denn der verzweifelnde Mime hängt sich
auf. Und die empörte Diva gibt dem reichen Galan den Lauf¬
pass. Für wie lange? — Die Frau des Weisen wird manchen
wiederum zu zahm sein. Im Thema berührt sich die Novellette
mit dem Mannequin d’Osier von Anatole France. Nur ist die
Groteske des französischen Poeten bei Schnitzler fast zur Idylle
geworden. Der Kostknabe eines Gymnasiallehrers, ein halb¬
wüchsiger Milchbart, rührt das Herz der Hausfrau. Der Gatte
wird Augenzeuge der verräterischen, einzigen Abschieds-Um¬
armung. Der Jüngling sicht, wie Friederikens Mann in diesem