V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 5

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Masken und Munder
Tmtmakab.
Weie Prasee.
ZeitungMen
Ort: —

Datum: —
[Ein neuer Novellenband von Artu
Schnitzler.] Eben heute, zur Vorfeier des 50. Geburt
stages von Arter Schnitzler, hat der Verlag S. Fische
iin Berlin einen neuen Novellenband des Dichters herau
gebracht als die schönste Jubiläumsgabe, die einem Dich
dargebracht werden kann, der sich am besten beschenkt füh
wenn er selber schenkt. Zwischen größere Arbeiten schil
Schnitzler seine Novellen ein wie Blumen als duftig
Schmuck übek eine reichbesetzte Tafel gestreut; voller Na
denklichkeit sind sie, Anmerkungen zur Lebensweisheit,
einer weichen zarten Schönheit bestrahlt. „Masken ur
Wunder nennt sich der neue Band. Eine Maske ist de¬
Leben der Menschen, ein Wunder ihr Schicksal; man fü
gleich die starke Instrumentation der Schnitzlerschen Kun
Ein voller Geigenton klingt an oder ist's der Ruf jer
Hirtenflöte, die vor Dionysias Fenstern lockt, sie hinauszie
in heißbewegte Abenteuer? Oder ist's die melodische Stimn
die dem Jüngling sich am Waldeseingange entgegenstellt, v
dreifachem Verderben ihn warnend, vor Mord, Vaterland
verrat und Tod?, Ueberall lauern Mord und Tod und Vi
rat, heißt es in der Schlußparabel, die von rückwärts h
all diese Erzählungen beleuchtet; mit Stundenglas und Hip
schreitet Freund Hein durch das Buch, vom Eingang zu
Ausgang, reißt die Masken von den Antlitzen der Menschei
daß ihre Schicksale erschreckend wahrhaftig sich uns erschließen
Grausam ist der Brief des toten Junggesellen, der sich jer
seits des Grabes an seinen glücklichen Freunden für die Ein
samkeit seines Lebens rächt, der ihnen ins Gesicht schreit, das
er sie alle betrogen hat, mit ihren Frauen betrogen, die ihm ge
gehörten, ihm allein... Erschütternd ist auch die Geschichte jenes
Unglücklichen, der die Geliebte ermordet um einer anderen
Frau willen, die ihn nicht liebt, die ihn entsetzt und verachtend
von sich stößt. Und tief ergreifend ist es, wie der Widerklang
des Schusses, mit dem der arme Gabriel um der törichten
Irene willen vom Leben Abschied nahm, mitten in fröhlicher
Ballmusik platzt, oder wie der gespenstige Dr. Wehwold von
seinem Rittmeister im Duell erschossen wird, während die
schöne Frau Redegonda noch selbigen Tages mit einem
jungen Lieutenant des Regiments spurlos verschwindet....
Eine seltsame Schaukel ist in dem neuen Buche Schnitzlers
aufgerichtet, Geburt und Tod, Haß und Liebe halten ein¬
ander die Wage, Freunde duellieren sich, werden zornerfüllt
gegeneinander gestoßen. Unerbittlich hart, gewalttätig ist das
Leben, erbarmungslos. „Warum warnst du mich,“ fragt ver¬
zweifelt der Jüngling jene Stimme, die ihm zum Schicksal
wird, „warum warnst du mich, da ich dir doch nicht zu ent¬
rinnen vermag?“ Man hört das Schnitzlersche Problem an¬
klingen, die ewige tiejtraurige Frage des Dichters überhaupt.
Und doch ist hier in dem neuen Buche Artur Schnitzlers
etwas wie wehmütge Verzeihung zu merken, wie eine sanste
Resignation. Die Sprache springt nicht mehr ruckweise un¬
gestüm vorwärts wie ehedem, sondern wölbt sich im breiten,
hohen, ruhigen Bogen. Ein gexeifter Meister ist es, der zu
uns spricht, er zeigt uns das Leid der Welt, aber verklätt
durch die bunzen Masken und hohen Wunder der Kunst.“
box 35/8
Ausschnitt aus:
10
ner
10 S 1010
vom:
GthnnScuilenMafen und Wunder.
Novellen. (S. Fischer, Verlag, Berlin.) Geheftet 3 Mark,
ii Leinen 4 Mark. Eben recht zum 50. Geburtstag
is Dichters erscheint ein neuer Band Novellen von
Arthur Schnitzler. Es ist eines seiner reifsten und im
besonderen poetischen Sinne köstlichsten Bücher. Der
Dichter verläßt in diesen Erzählungen die enge Welt
sder bürgerlichen Wirklichkeit, er hat die menschliche
Seele und, wie bei ihm zu erwarten, besonders die
weibliche, nackt gesehen und führt sie durch wunderbare
Irrgärten phantastischer Schicksale. Eben dadurch haben
alle diese Novellen einen geheimnisvollen Zug von
tiefer symbolischer Wahrheit bekommen, die aus dem
reinzen und edlen Stil noch einmal wiederscheinz.
Aussehnitt aus: Neue Freie Presse, Wien
vom: 119111912
[Ein neuer Novellenband von Artur
5
i#Lor- Eben heute, zur Vorfeier des 50. Geburts¬
tagesVon Artur (Schnitzler, hat der Verlag S. Fischer
Kn Berlin einen neuen Novellenband des Dichters heraus¬
gebracht als die schönste Jubiläumsgabe, die einem Dichter
dargebracht werden kann, der sich am besten beschenkt fühlt,
wenn er selber schenkt. Zwischen größere Arbeiten schiebt
Schnitzler seine Novellen ein, wie Blumen als duftiger
Schmuck über eine reichbesetzte Tafel gestreut; voller Nach¬
denklichkeit sind sie, Anmerkungen zur Lebensweisheit, von
einer weichen zarten Schönheit bestrahlt. „Masken und
Wunder“ nennt sich der neue Band. Eine Maske ist das
Leben der Menschen, ein Wunder ihr Schicksal; man fühlt
gleich die starke Instrumentation der Schnitzlerschen Kunst.
Ein voller Geigenton klingt an oder ist's der Ruf jener
Hirtenflöte, die vor Dionysias Fenstern lockt, sie hinauszieht
in heißbewegte Abenteuer? Oder ist's die melodische Stimme,
die dem Jüngling sich am Waldeseingange entgegenstellt, vor
dreifachem Verderben ihn warnend, vor Mord Vaierlands¬
verrat und Tod? Ueberall lauern Mord und Tod und Ver¬
rat, heißt es in der Schlußparabel, die von rückwärts her
all diese Erzählungen beleuchtet; mit Stundenglas und Hippe
schreitet Freund Hein durch das Buch, vom Eingang zum
Ausgang, reißt die Masken von den Antlitzen der Menschen,
daß ihre Schicksale erschreckend wahrhaftig sich uns erschließen.
Grausam ist der Brief des toten Junggesellen, der sich jen¬
seits des Grabes an seinen glücklichen Freunden für die Ein¬
samkeit seines Lebens rächt, der ihnen ins Gesicht schreit, daß
er sie alle betrogen hat, mit ihren Frauen betrogen, die ihm ge¬
gehörten, ihm allein... Erschütternd ist auch die Geschichte jenes
Unglücklichen, der die Geliebte ermordet um einer. anderen
Frau willen, die ihn nicht liebt, die ihn entsetzt und verachtend
von sich stößt. Und tief ergreifend ist es, wie der Widerklang
des Schusses, mit dem der arme Gabriel um der törichten
Irene willen vom Leben Abschied nahm, mitten in fröhlicher
Ballmusik platzt, oder wie der gespenstige Dr. Wehwold von
seinem Rittmeister im Duell erschossen wird, während die
schöne Frau Redegonda noch selbigen Tages mit einem
jungen Lientenant des Regiments spurlos verschwindet....
Eine seltsame Schaukel ist in dem neuen Buche Schnitzlers
aufgerichtet, Geburt und Tod, Haß und Liebe halten ein¬
ander die Wage, Freunde duellieren sich, werden zornerfüllt
gegeneinander gestoßen. Unerbittlich hart, gewalttätig ist das
Leben, erbarmungslos. „Warum warnst du mich,“ fragt ver¬
zweifelt der Jüngling jene Stimme, die ihm zum Schicksal
wird, „warum warnst du mich, da ich dir doch nicht zu ent¬
rinnen vermag?“ Man hört das Schnitzlersche Problem an¬
klingen, die ewige tiejtraurige Frage des Dichters überhaupt.
Und doch ist hier in dem neuen Buche Artur Schnitzlers
etwas wie wehmütge Verzeihung zu merken, wie eine sanfts
Resignation. Die Sprache springt nicht mehr ruckweise unz
gestüm vorwärts wie ehedem, sondern wölbt sich im breiten,
hohen ruhigen Bogen. Ein gereifter Meister ist es, der zu
uns spricht, er zeigt uns das Leid der Welt, aber verklärt
durch die bunten Masken und hohen Wunder der Kunst.
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