V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 8

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Zeitung: Vossische Zeitung
Ort:
Berlin
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9.
Naisg

sie „ohne Frage und ohne Vorwurf“ empfangen und sie werde
„Gemach, Bett und Gewand“ wie vordem in ihrem Heim bereit
Arthur Schnitzlers „Masken und Wunder.“
finden. Diese kalte Problemstellung, diese Scheingüte voll Mi߬
Von Alfred Klaar.
trauen, treibt die
schöne junge Frau erst zur Verzweiflung
und übi zuletzt doch eine Suggestion auf sie aus. In
Arthur Schnitzler bereitet uns zu seinem fünfzigsten Geburtstage
halb traumhaftem Zustande, im Nachtgewande giebt sie der Heraus¬
eine Überraschung; er tut es mit einem neuen Novellenbuch, das
forderung zum Triebleben nach, folgt zuerst den Klängen einer
*)
den bezeichnenden Titel „Masken und Wunder“
führt und vom
Hirtenflöte und dem anfangs spröden, dann völlig an sie hin¬
Wunderbaren, das uns fast auf jeder Seite gefangen nimmt, ins
gegebenen Hirten durch die Abenteuer eines Zigennerlebens, bis sie,
Wunderliche hinüberleitet.
zur Kultur zurückstrebend, ein Kleid verlangt und der Hirt seine
In vielen Stücken freilich erscheint er auch in dieser neuen selt¬
Flöte — der Künstler seine Kunst — opfert, um ihr zu willen zu
samen Folge von Geschichten als er selbst, wie wir ihn seit Jahren
sein. Als Geliebte eines Fabrikherrn gerät sie dann aus der
kennen und hochhalten. Da ist wieder die sichere Kontur und der
Uppigkeit in die sozialistische Bewegung hinein, die sie in ihrer Hilfs¬
feste Farbenstrich, die Fähigkeit, dem Absonderlichsten Realität zu
bereitschaft schürt und deren Kreise sie in ihren Wirbel ziehen. Sie
geben, durch die er sich über die Wiener Schule weichlicher Wehmut
möchte Genossin der revolutionierenden Arbeiter sein, und wird ihre
und blasierter Nachdenklichkeit, die er mit begründen half, immer
Dirne, bis ein Aristokrat ihr wieder den Zauber des Maitressen¬
wieder erhebt. Da ist die Ironie gegen die Philistermoral, die bei
lebens bietet, aus dem sie, angeekelt, zu einem höheren Courtisanen¬
ihm etwas echt Dichterisches hat, weil sie in jene fein erfaßte
tum emporsteigt, zur Geliebten eines Souveräus, mit dem sie Land
Natürlichkeit hinabtaucht, die vor allen moralischen Be¬
und Leute regiert, um zuletzt nach so und so vielen Wandlungen
griffen da war und hinter ihnen ihr ewiges Werk er¬
um ihrer höheren Wahrhaftigkeit willen von oben und unten
richtet —
eine Grundstimmung, die im alten Musiker
verstoßen zu werden und nun als Bettlerin den Heimweg zu suchen.
der „Liebelei“, der die Liebesleere im Leben seiner Tochter beklagt,
Der Gatte ist bereit, sein Wort zu halten, sie aber verschmäht Ge¬
am reinsten zum Ausdruck gelangt. Da ist auch wieder der feine
mach, Bett und Gewand. Sie flucht seiner Weisheit, vor der ihr
Künstlertakt, der den bekannten Heyseschen „Falken“ der Novelle,
mehr schandert als vor allen Masken und Wundern der Welt; die
die merkwürdige Wendung, die eine Geschichte mitteilenswert macht,
es verkannte, daß jedem menschlichen Dasein nur „ein schmaler
nie vermissen läßt und die Schnitzler davor schützt, in seiner Nach¬
Strich“ gegönnt ist, „sein Wesen zu verstehen und zu erfüllen“ und
denklichkeit aus der bildenden Darstellung (wie es z. B. seinem be¬
enteilt ihm für immer ins Unbekannte. Er aber gibt einem neuen
gabten Genossen Wassermann jüngst in „Faustina“ widerfuhr) in
Stern, den er am Firmament aufblitzen sieht, ihren Namen:
das bloße Spiel geistreicher Dialektik zu geraten.
Dionysia.
Aber da ist auch etwas Neues, was in der bisherigen Produktion
Dieses Halbmärchen, aus dem die Anschauung hervorleuchtet, daß
Schnitzlers, vielleicht nur im „Schleier der Beatrice“ vorbereitet
wir uns ethisch nur im Schwebezustande erhalten, daß die schein¬
scheint: eine düstere Phantastik, die mit großer Virtuosität zur Wirk¬
bare Harmonie der Kräfte nur ein labiles, kein stabiles Gleich¬
lichkeit erhoben, bei aller Milde des Vortrags den Eindruck der
gewicht bedeutet, gibt den Ton für den ganzen Zyklus der Novellen
Trostlosigkeit macht, ein fast grausames Vergnügen, durch Märchen
an. Auf ein leichtes satirisches Zwischenspiel „Der Tod des Jung¬
und Halbmärchen, die kondensiertes Leben enthalten, das Mysterium
gesellen“.
die fein aber überscharf
ausgeschliffene Anek¬
der Erotik, zumal das der Weiblichkeit psychologisch und physio¬
dote
von einem Roné, der
seinen
Freunden als eine
logisch derart bloßzulegen, daß das Elementarische des Unterbewußt¬
Art
Testament eine Urkunde
darüber zurückläßt,
daß
er
seins die Oberhand behält und daß aus allen Geschichten zuletzt
ihre
Frauen verführt habe, reihen sich
die balladesken
das letzte Wort des Schillerschen Talbot herauszutönen scheint: „die
Stücke „Der Mörder“ und „Der tote Gabriel“, die mit großem
Einsicht in das Nichts und die herzliche Verachtung alles dessen,
Raffinement alle Schauer der Mystik in die Realität des modernen
was uns erhaben scheint und wünschenswert“.
Lebens hineinbannen. Der Held der einen Erzählung wird durch
Die erste Geschichte „Die Hirtenflöte“ hat dafür etwas Pro¬
Gewohnheit und Schwäche an eine treue Geliebte gefesselt, während
grammatisches. Ein gealterter Weltkenner, der sein junges,
an¬
ihn erst die Berechnung, dann die Leibenschaft zu einem Mädchen
hängliches Weib und den Lauf der Gestirne studiert, fühlt das
aus der Gesellschaft treibt. Der Vater der Braut verlangt ein Jahr
überwindliche Forscherbedürfnis, das Letzte in der Seele seiner
Probezeit, in dem die Liebenden in keiner Weise verkehren sollen.
Lebensgenossin zu ergründen. Er belauscht ihren Schlaf und wähnt
Der Schwächling nützt dieses Jahr, mit der alten Geliebten eine Welt¬
ihre Träume zu vernehmen. Eines Tages tritt er mit dem Vor¬
reise zu machen, wird immer nervöser und leidenschaftlicher, je näher
schlag an sie heran, sie völlig frei zu geben; sie möge aus der Enge
der Termin der Erfüllung heranrückt und tötet auf der letzten Seefahrt
des gemeinschaftlichen Lebens heraustreten, jedem Triebe unbedingt
das anhängliche Weib, das ihm im Wege steht, indem er ihr eine
folgen und zurückkehren, wann und wie es ihr beliebe; ob als
Morphinmlösung zu trinken gibt. Die Leiche und das Geheimnis
Königin, ob als Bettlerin, ob unberührt oder als Dirne, er werde
des Mordes werden ins Meer versenkt. Reuelos stürmt der Bewerber
zu seiner Braut, um zu erfahren, daß er ihr gleichgültig geworden
*) „Masken und Wunder“, Novellen von Athur Schnitzler, Berlin,
und sie sich mit einem anderen verlobt hat. Er kann es nicht fassen,
S. Fischer.
gesteht ihr, was er um ihretwillen getan, ohne sie aus ihrer ver¬

nichtenden Kälte herauszutreiben
Nächer der Ermordeten bringt i
Noch verwegener spielt „De
Mächten, die jenseits von Bere
aus leidenschaftlichen Naturen
stisches Geschöpf, das ganz in
glühte in der Stille für einen 2
für eine Künstlerin, die ihm ang
blutete. Das Mädchen betrau
immer fern stand; sie verharrt in
er aus dem Leben geschieden is
nur ein phantastisches Spiel
Gelegentlich eines Balles gibt i
Mitternacht jene Künstlerin
ihre Verg
und
ihren Haß
da
die schlaue konventionel
Eruption zurückdrängt, entl
gehren in einer anderen Art.
kannte, der ihren Wunsch erfüllt
Idol zum Opfer fiel. In ein
Nachsucht wirft sie sich auf der
Freunde des Verstorbenen an d
leidenschaftliche Küsse, um ihn
Sie schwelgt in dem Gefühl,
Todeswunde beigebracht zu habe
Die beiden letzten. Geschichten
gewand ab und zeigen als Tra
philosophische Seite der Vern
Leben ohne Hülle. Im „Tageb
um erträumte Mitteilungen ei
das aus dem Jenseits berichtet
ein ihm fremdes Weib lediglic
Geliebte seiner Phantasie ab
bildungskraft genan dieselben
vertraut sie wie Tatsachen
zu einem Duell, das dem Geda
Parabel „Die dreifache Warnung
Determinismus. Jeder Schritt
eine Katastrophe, die er nicht
konnte; auf die Klage über da
warnte, den gewissen Tod por A
Hohn der Elemente. Dieser Ho
märchen Schnitzlers hindurch. Die
heit letzter Schluß die Grundstim
in diesen Tagen als ein Achtziger
so müßte man annehmen, daß er
Masken und Wundern das sale
letztes Glaubensbekenntnis niede
im Leben und Schaffen steht, he
Phase der Entwicklung, um die
fanstisch=phantastischen Stimmung,
ins Mystische richtet und gegen d
die dem schaffenden Menschen zu
um, dem Tätigen ist die Welt ni