V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 12

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5. Masken und Nunder
Leidenschaft ihn aus dem Spiel in die graue Wirk= hat. Zwei Welten tun sich auf: äußerlich unter=! „Gustl“, in dem (verunglückten) Schauspiel „Der
lichkeit trug. Und wieder in der „Hirtenflöte“ scheiden sie sich als die Welt der müden Reichen und
[Rufdes Lebens“ und in den genial pointierten
einer wundervollen Novelle des letzten Buches, geht
die der unverbrauchten Armen; im tieferen Grunde Einaktern „Lebendige Stunden“. Der Künft¬
Dionysia, die ein holdes, keusches Weib war, wie im
heißen sie Selbstsucht und Hingebung, sehnsüchtigel ler könne einer letzten Spur des vergehenden Lebens
Traum durch die außerordentlichen Ruchlosigkeiten
Untreue und neive Treue. Sie käme also doch auf Dauer verschaffen, darum rettet einer seiner Helden,
ihres Lebens. Was hat sie verwandelt? Nein, eine
Erden vor, die Sicherheit? Ja, aber unserem Dichter
Wandlung war es nicht! Aber der selbstquälerische
ein Maler, den größten Augenblick seines Daseins
ist sie das gelobte Land, das sein Fuß nicht betritt.
Gatte, sinnbildlich zum ewig unbefriedigten astrono¬
hinüber ins Kunstwerk. Aber was gewinnt hierbei
In seinen Dichtungen erlöscht die Liebe, oder sie
mischen Forscher gemacht, hatte sie mit dem Frevel¬
der Künstler, fragt in dem anderen Einakter ein
wird von des Mannes Flucht ermordet. (Nur einmal,
Sterbender. „Nachrufe gibt es auch nur für die Le¬
mut seines Skeptizismus ihren eigenen, noch schlum¬
in dem großzügigen Renaissance=Drama „Der
bendigen...“
mernden Trieben übergeben, die er wachrief, indem
Schleier der Beatrice“, verblutet das Herz
er sein argloses Weib verpflichtete, rücksichts= und
Kein Herold, kein Zarathustra, der zu lichten
des Mannes an der Untreue der Geliebten; doch was
reuelos jedem in der Tiefe erlauschten Wunsche nach¬
Höhen führt, kein gläubiger Prophet ist Arthur
Veatriee in die wilden Abenteuer treibt, ist nicht
zugehen. Befreit von allen Hemmungen, treibt nun
Schnitzler. Er hat sich auch nicht eigentlich unter
eigentlich innere Unbeständigkeit, ist die Peitsche der
das Leben mit Dionysia ein wildes, brausendes,
die Kämpfer der sozialen Dichtung gestellt, obwohl
Todesgefahr und die Brunst nach dem Leben.) Die
vernichtendes Spiel.
er soziale Fragen wiederholt behandelte. Sein Amt
Gestalten der geopferten Christine (nebenbei: ein
„Sicherheit ist nirgends.“ Da wir nicht Herren
ist: die Seele aushorchen, die Welt sinnend betrachten,
wunderliebes Menschengedicht aus dem Volke!) und
das Leid milde bedenken, Schönheit suchen und an
unserer selbst sind, entgleiten wir uns, wie uns das
des Anatol=Fritz kehren in vielen Dichtungen Schnibz¬
ihrem Grabe klagen. Er ist mitleidig, aber gewiß
Leben, der Besitz der Seele, die Liebe entgleiten.
lers wieder verändert durch äußere Verhältnisst,nicht wehleidig; denn er empfängt den Schmerz mit
Arthur Schnitzler, als Wiener ein feinstes Zuchtwahl¬
Schicksale, Standesbildung, Altersunterschied. Mit
offener Brust. In den Dämmerungen des Herzens, #
produkt überreifer, herbstlicher Kultur; als deutscher
ironischer Herbe wirk dasselbe Thema variiert in der
wo Leid und Schuld sich bilden und chaotisch ballen,
Denker und Schwärmer ein Problematiker, der,
Tragikomödie „Das weite Land“ und mit hu¬
sieht er klarer, als die Menschen mit hellen Augen.
wenn es Rätsel zu lösen gibt, sein mildes Gemüt,
moristischer überlegenheit in dem kecken Wurf der
Das Leise, das Halbbewußte ist sein Element. In
sein eigenes Mitleid nicht schonen kann; als Jude
„Komtesse Mizzi“, Auch im „Zwischen
diesem Element ist er ein reicher und großer Dichter. ##
mit einem unendlichen Heimweh, mit dem melan¬
spiel“ stirbt die Liebe, aber hier in zwei Herzen
cholischen Zweifel begabt, der sellst seine unruhige
(die sich vergebens über den naturgemäßen Prozeß.—
Sinnlichkeit, selbst die Stunde des Taumels und Ge¬
zu täuschen suchen). Im „Einsamen Weg“ ist
nusses trübt: dieser aus kostbaren Elementen zu
der junge Anatol (er trägt natürlich nicht mehr diesen
einer Eigenheit ohne Gleichen erwachsene Dichter
Namen) ein Greis geworden, dem das Dasein kein
hat selten in seinen Schöpfungen die robusten, gesund= Blume mehr reicht und der die grauenvolle Ver
ls animalischen Menschen gesucht. Doch wohl in ein= lassenheit eines Herzens erntet, das ehedem sein
zelnen Einaktern des „Reigen"=Buches. Traf sie Liebstes verließ ... In der Novelle „Der Mör
sein Auge, so wußte sie sein scharfer Blick auch zu
[der“ endlich des neuen Novellenbandes „Masker
umfassen, und hinter dem leichten Schleier einer gü¬
und Wunder“, einem grausamen Meisterstück de
tigen Ironie leben sie sich aus. (Ich verweise auf die
Psychologie, wird der Mann, der ein Mädchen übe:
prachtvollen Wiener Bürgertypen im Drama „Der
alles liebte, nach erloschenem Flammentrieb zun
sjunge Medardus“.) Aber Fleisch und Blut
Giftmörder an der ahnungslos ihm Hingegebenen
von Schnitzlers Seele sind die feinbenervten melan¬
Das Grausige entwickelt sich mit furchtbarer Not¬
cholischen Naturen, die Fragen ohne Antwort, die
wendigkeit. Unvergleichlich ist die Analyse des
Untreuen, die die Treue suchen, die vom Tod Ge¬
Doppelgefühls in den Stunden, die von Liebesrausch
küßten, die das Leben allein lieben. Sein eigenstes
und Untreue beherrscht sind. Schnitzler quälte hier
Sein und Wesen hat Schnitzler in dem Roman eines
seine Phantasie mit der realen Ausgestaltung von
reflektorischen Innenlebens gegeben, der „D
Empfindungserlebnissen, die er einst in dem Gedicht
[Wegins Freie“ heißt — wohl gerade darum so
„Anfang vom Ende“ gebeichtet hat:
heißt, weil es für solche Menschen einen solchen Weg
„Doch, daß ich so einsam von dir gegangen,
[nicht gibt ...
Der Roman, so würde ein Reporter
Wie käm's dir denn zu Sinn,
melden, behandelt die Judenfrage oder „Wien und
Und daß ich, von deinem Arm umfangen,
das Jndentum“. Aber er „behandelt“ diese soziale
So endlos fern dir bin!
Frage gar nicht und strebt nicht ihre Lösung an, so
Ich will ja morgen wiederkommen
Grundlegendes er auch über sie spricht. Der Zwie¬
Mit lächelndem Gesicht;
spalt von Heim= und Fremdsei den der Dichter
Und daß ich längst Abschied von dir genommen,
aus seinem eigenen Schicksal übernahm, wird in
Mein Mädel, — du weißt's ja nicht ...“
dieser Dichtung zu einem menschheitlichen Schicksal,
Der Zusammenbruch der Illusion ist die Tregik
und das Rassenproblem dient nur als Symbol.
in Schnitzlers Dichtungen, In dem so ergreifenden
Auch „Der Weg ins Freie“ hat das unsichtbare
als knappen Drama „Die Gefährtin“ erfährt
Motto: „Alles ließt“. Auch hier stirbt an sich selbst
der greife Gelehrte unmittelbar nach dem Tode seines
eine Liebe, der der Lenz Ewigkeit gelogen hat. Dieses
geliebten Weibes, daß all' sein Glück Selbsttäuschung
traurige Sterben, diese Unfähigkeit des treuesten
gewesen, daß die Frau ihn betrogen und nie geliebt
Willens, sein Glück festzuhalten, ist ein Leitmotiy fast
hat. In einer dünneren Luft der Skepsis, in der
aller Dramen und Erzählungen Schnitzlers. Und
man verstörende Überraschungen nicht mehr erlebt,
zumeist ist die natürliche Selbstsucht des Mannes
vollzieht sich ein ähnlicher Vorgang, in der Novelle
furchtbar. In die leichtlebige Sphäre des Lebe¬
„Der Tod des Junggesellen“
(„Masken
knaben „Anatol“ fallen nur erst matte Schatten.
und Wunder") Aber wie! Ist nicht das Leben selbst
In „Liebelei“ jedoch, Schnitzlers populärstem
nur eine Illusion, die der Tod zerstört? Heiße Le¬
Schauspiel, ist dieser Schatten schwarz wie der Tod,
bensgier atmen Schnitzlers Dichtungen; wie er aber,
ist er des Todes Schatten. Der junge Fritz mag
menn er den Becher des Genusses trinkt, die trübe
nur um Weniges reifer sein als Anatol, doch kann
Hefe schon vorausschmeckt, so ist seine Lebenslust
er, als er für eine andere Frau, für eine Dame der
krank an Todesbewußtsein und Todesfurcht. Diese
großen Welt, sterben gehen muß, in letzter Lebens¬
stärksten Widersacher in des Dichters Brust kämpfen
stunde begreifen, daß das Glück bei dem kindlichen
sich aus in der erschütternden Novelle „Sterben“,
Geschöpf ihm beschieden gewesen wäre, bei dem
in der

schönheitstrunkenen Tragödie „Der
„süßen Mädel“, das seiner flüchtigen Laune ein Herz
Schleier der Beatrice", in der, auch als ge¬
voll Liebe und das ganze Leben entgegengebracht sellschaftliche Satire bedeutsamen Erzählung