V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 21

Klose & Seidel
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Zeitung: Humburger Fremdenblatt
Mambure
Ort:
S
Datum: Z. 6.|1411912
Masken und Wunder. Von Arthur
GierBerlin, 8. Fischer.
Der neue Novellenband, der an des Dichters
fünfzigsten Geburtstage erscheint, ist ein echter
Schnitzler. Echt in seinen uns längst gewohnten
und liebgewordenen Gedankengängen, echt in
seinen melancholischen, zerfaserten Soelen¬
stimmungen, echt auch in allen seinen Gestalten.
Es tritt nicht eine Figur auf, der wir; nicht
schon in Schnitzlers dramatischen Werken be¬
gegnet wären, es taucht auch nicht eine äußere
Lebenserscheinung vor uns auf, die ihr Schöpfer
zu einem Symbol zu verdichten sich bemühte.
Und dennoch ist dieses stille, anspruchslose Werk
in einem besonderen Sinno kein echter Schnitzler.
Nicht einer der lebenden großen und kleinen Er¬
zähler wählt eine so überraschend, ja wunder¬
lich undramatische Form, wie der Dramatiker
Schnitzler in seinem neuesten Buch. In den
sechs Novellen kommt kein Dialog vor. Nur an
einer Stelle werden Rede und Gegenrede in
direkter Folge gegenoinander abgewogen. Da
aber geschieht es nur, um die Quinressenz, das
Resümee, die belehrende Tendenz der Novelle
Also auch da
prägnant zusammenzufassen.
sprechen nicht die handelnden Personen, sondern
der Dichter selbst in einer Ma#le, #ie er such
von seinen Figuren lieh, zu uns. In der Flut
W W
der belletristischen Nouerscheinungen eines Jahres
gibt es vielleicht nur diese eine, die bewußt jeden
Dialog ausschaltet; und dieses eine Buch stammt
von dem Meisier des Dialogs, von Schnitzler.
Mit diesem auriosum haben sich seine Leser
abzufinden. Im übrigen wird ihnen das Buch
kaum große Ueberraschungen bieten. Es schildert,
wie so viele andere desselben Wiener Poeten,
nur Wioner Menschen. Es zeigt uns wohl¬
habende, soignierte, im Grunde beschäftigungs¬
lose Herren, also Salonlöwen, Kavaliere, junge
Lebeleute und alte Sonderlinge und stellt sie im
Gegensatz zu dem armen, kleinen, süßen Wiener
Mädel: das Motiv der „Liebelei“ in ewig neuen
Variationen. „Ein junger Mann, Doktor beider
Rechte, ohne seinon Beruf auszuüben, ektern¬
behaglichen Umständen lebend, als
los, in
liebenswürdiger Gesellschafter wohl gelitten,
stand nun seit mehr als einem Jahre in Be¬
ziehungen zu einem Mädchen geringerer Art.“
Wörtlich so beginnt eine der Novellen. Und
unserem Gefühl nach auch wörtlich so wie in
Schnitzlers bekannten Stücken kommen die ero¬
tischen Triebe, die plötzlich von einor falschen
Ehrsucht aufgepeitschten Ettelkeiten, die halb be¬
wußten und die unbewußten Gefühle von sich
umgirrenden Männlein und Weiblein zum Aus¬
druck. Man liebelt und plänkelt und genießt,
solange man dabei körperlich frisch bleibt, und
beginnt elegisch zu träumen und wird philo¬
sophisch angehaucht, wenn sich die Langewelle
einstellt. Aus Mangel an animalischen An¬
regungen, aus Ermüdung der Nerven, aus
Uebersättigung beginnt man, da auch dio Ruhe¬
pausen des Lebens ausgefüllt werden müssen,
Die
über den Sinn des Lebens zu grübeln.
Grenzen im Empfindungsleben der Geschlechter
werden dann wohl mit ein paar überraschenden
Worten abgesteckt, eine Frage wird gestellt, ein
Problem wird aufgerollt, ein Schicksal wird ent¬
schieben, und das alles geschieht mit graziösen
Gesten, ohne große Gewichtigkeit, ohne Pose,
ohne grandloses Gehabe. Nicht so oberflächlich,
wie das romanische Naturen zu tun pflegen,
nicht so schwer und von Gewissensbissen erfüllt,
wie es bei einem nordischen Temperament ge¬
geben wäre, sondern im Grunde unverfälscht
Robert Saudek.
und echt österreichtsch.
eusschnitt aus: ##
OHEMIA, PRAG
I5Mtisie
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goni:
Künst, Wissenschaft und Diteratat.
Neue Novellen Schnitzlers.
Unmittelbar vor der heutigen Feter von Akthur
Schnitzlers sünfzigstem Geburtstag hat der Verlag
S. Fischer, Berlin, der zugleich drei Bände gesam¬
melter Erzählungen des Dichters ankündigt, einen
neuen Novellenband mit dem Schaffen der Jahre seit
den „Dämmerseelen“ erscheinen lassen. Der Titel
ist
„Masken und Wunder“ Abermals
sind es elegische Meisterwerke, von klarer, in sich voll¬
endeter Sprachkunst und mit der zwischen Leben und
Tod versonnen dahinwandelnden Philosophie ihres
Autors. Den Kranz wird man diesmal der Novelle
„Der Mörder“ zuerkennen, die ein tiefes Problem,
das Verbrechen eines harten Ehrgeizigen an seiner
Geliebten und die Schicksalsfühne, mit grausamer
Eindringlichkeit behandelt. Dann der „Toté Ga¬
briel“, eine Geschichte von tragischem Sterben, Liebe
über den Tod hinaus und auf den Feind des Ge¬
liebten abgelenkten Gluten des Hasses. An dritter
Stelle die „Redegonda“ die mit verdoppelter und
dreisacher Ironie das Gespenstische auflösende Trau¬
mesvision, die man in Prag von Schnitzler selbst
vorlesen gehört hat. In goethisch zeitloser Prosa ist
die „Hirtenslöte“ geschrieben, die der Uebergang zum
Symbol ist, das Drama eines durch alle Abenteuer,
alle Schuld und alle Aengste hindurchgejagten, von
verzeihender Liebe erlösten Frauendaseins. Der
„Tod des Junggesellen“ klingt an das einaktige
Drama „Die letzten Masken“ an. Ein Buch der höch¬
sten Reife und ein Versprechen kommender Ernte¬
jahre.
anäg 2 Füe