V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 22

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5. Masken und Nunder

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Telephon 12.891.
— „ODOLIVER
nitzler, Rüttenauer
1738
I. österr. bebördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaltte
bedeuten. Jedenfolls wüßte ich keinen, der heute
Wien, I., Concerdiaplatz 4.
in deutscher Sprache schreibt, der auf dem Wege
Vertretungen
einer dem Stoff ganz entsprechenden Technik so
nachtwandlerisch sicher ginge. „Das neue Lied“ und
in Bertin, Budapest, Chicago, Curtstienia, Genf, Kopen¬
„Der Tod des Junggesellen“, auch „Der tote
hagen, Lenden, Madrid, Meiland, Minneapola, New-York,
Gabriel“ sind Musterstücke solcher Art und werden
Paris, Rem, San Francisto, Steckheim, St. Petersburg.
(Gusilenangabe ehme Gewähs).
es bleiben. Immer aber und sehr bewußt ist die
Darstellung bei Schnitzler auf die Andeutung be¬
Aussehnitt aus:
schränkt.
Das Litterarische Eche, Berlin
Und muß wohl so sein. Denn hinter dem Be¬
griffenen und Begreifbaren steht ihm das Unbegreif¬
vom. 15. SEFREESEN1912
liche. Daß dies ein Wesenszug bei ihm, das eben
macht ihn zum Dichter.
Es darf darüber nicht verschwiegen werden, daß
Schnitzler in seiner Andeutungstechnik manchmal zu
weit geht. Manchmal führt er, ein galanter, un¬
galanter Mystagoge, wirklich nur vor ein ver¬
schleiertes Bild. So in „Die Fremde“. Das Inter¬
Kurze Anzeigen
esse an der Erzählung würde da anfangen, wo sie
aufhört, nämlich wo es möglich wäre, einen Ein¬
Romane und Novellen
blick in das Wesen der gefährlich seltsamen, seelischen
Störungen unterliegenden Frau zu tun. Das aber
Masken und Wunder. Novellen.“Von Arthur
ist selbst dem aufmerksamen Leser nicht gegeben.
Schnitzler. Berlin 1912, S. Fischer. 190 S.
Und wenn der gerichtliche Psychiater sich in solchem
M. 3,
Fall mit der „verminderten Zurechnungsfähigkeit“
Von einem doppelten Selbsterlebnis, das doch
voll ins eigene Behagen und das der Geschworenen
aus derselben Wurzel erwuchs, menschlich und künst¬
für den künstlerisch genießenden Leser ist
lerisch bedeutsam wurde, legen diese Erzählungen
das zu wenig. Er fühlt sich vom Dichter um das
Zeugnis ab.
erlösende Wort betrogen.
Mon erinnert sich, was dem jungen Schnitzler
Wer die moderne französische kurze Erzählung
als Weisheit galt: ein Zuschauertum voll milden
kennt, der weiß, daß der Vorfall immer so
Verstehens, ein Beiseitetreten und Gelientassen. Der
gewählt ist, daß er ein weites Vorher und ein
Weise schritt durch den Menschheitsgarten, aber er
absehbares Nachher belichtet. Bei Schnitzler trifft
sah als sähe er nicht, er hütete sich wohl, die geilen
gerade das Gegenteil zu: er wählt den Anlaß so,
Schößlinge abzuschneiden oder auch nur an den Pfahl
daß er den Zweifel wachruft. Ein Nebel steigt auf
zu binden. Die „Frau des Weisen“ ging fürderhin
und läßt die ungeheuren Wolkenbildungen dahinter
durchs Leben, als wäre sie von einem weißen Mantel
ahnen. So fühlt man sich manchmal von dem
umhüllt, an dem nicht Staub und nicht Schmutz
Unbegriffenen überwältigt. Manchmal aber auch
das machte, der Mann, dessen
haften konnte, —
spannt man den Regenschirm auf und geht nach
Namen sie trug, hatte sie in ihrer schwachen Stunde
Hause.
angetroffen, aber er hatte ihr jede Demütigung er¬
Nicht genug damit: es ist als wäre die Emp¬
spart, sein stummes Verzeihen hatte jedes Wort
findung eines über den Menschen waltenden Schick¬
der Aussprache verschmäht. Gealiert (und gereift?)
sals in Schnitzler so allmächtig geworden, daß er
weist Schnitzler solche Weisheit mit Hohn und mit
sich in mehr als einer Erzählung daran wagt, das
Empörung von sich. Der Dichter im „Tod des
Unbegreifliche als solches zu gestalten.
Junggesellen“ der sich in der Pose des gütigen
In „Das Tagebuch des Redegonda“ ist noch
Allverstehers gefällt, ist ein Narr. Und in der
das Miteinander des Psychologen und des kos¬
„Hirtenflöte“ sagt die Frau, die solche Gatten
mischen Astrologen. In „Die Weissagung“ aber
weisheit arg und ärger in Schmutz und Selbst¬
wird nur noch ein dämonisches Schicksalsverhängnis
verlieren getrieben hat: „tiefer als vor allen Masken
gestaltet, und Schnitzler, der sonst so gut um seine
und Wundern der Welt graut mich vor der steinernen
Kunst und ihre Grenzen Bescheid weiß, läuft die
Fratze deiner Weisheit“. Statt der einst gepriesenen
absurde Verwechslung von Wirklichkeit und dich¬
Kühle heischt die neue Forderung blutvolles Sich¬
terischer Wahrheit mit unter. Anstatt das Glaub¬
selbsteinsetzen.
hafte der Geschehnisse zu erzwingen, sieht er sich
Das ist der Lauf des Lebens: die Jugend
genötigt, ihnen ein Wirklichkeitsattest auszustellen.
bewundert Altersgebahren, es sehnt sich das Alter
Und nur in dem gewinnen sie Kraft und Interesse.
nach Jugendkraft.
Aber gerade weil hier Verfehltes neben künst¬
Immer aber ist Selbstkritik in dieser Be¬
lerisch Vollendetem steht, ermesse ich die Kraft des
trachtungsweise, und so scheint das andere seelische
inneren Erlebnisses der Selbstbescheidung und des
Erlebnis, von dem diese Blätter sehr eindringlich
Schicksalswaltens. Ich möchte in diesem künstlerischen
zeugen, dem ersten verwandt. Man könnte ihm,
Spiel auch die Nieten nicht missen. Man sieht den,“
schnitzlerisch formuliert, dahin Ausdruck geben: fällt
Menschen und den Weg.
die letzte Maske, so leuchtet das Wunder auf.
Berlin
Ein Meister der Seelenanalyse übt Schnitzler die
Ernst Heilborst
Kunst, dem Menschen die Maske abzureißen. Zu¬

nächst die, die er vor andern trägt; sodann die vielen
bunteren und gefährlicheren, die er vor dem Spiegel
seiner eigenen Eitelkeit anlegt. Schnitzler weiß um
die Schlupfwinkel des Selbstbetruges. Er fängt sein
flüchtiges Wild im Netz der Widersprüche. Er kennt
das eine Wort, das, im rechten Augenblick ge¬
sprochen, entlarot. Und dieser Feinheit seelischen
Erkennens ist bei ihm die Kunst der Ausdrucksgestal¬
tung voll ebenbürtig sofern beide nicht überhaupt.
für den echten Künstler ein und dieselbe Offenbarung