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5. Masken I
eine tiefergehende Bildung, haben wissenschaftliche und künst¬
lerische Sonderinteressen, machen auf allen Geistesgebieten mit,
bummeln wohl auch ein wenig durch die Welt, ver¬
box 35/8
ind
Nunder
fügen über Vergleichsmöglichkeiten und haben soviel
Weibliches und Feminines und Animalisches, daß sie
für das Wiener Leben geboren zu sein scheinen und au
der großen Weltarbeit ihrer zeitgenössischen Kultur nit
aktiven, immer nur passiven Anteil nehmen. Wenn sie nicht allé¬
samt aus wohlhabendem Hause kämen, wenn sie die äußere Not
zum Gelderwerb zwänge, dann würden sie sicher mit großer
Mehrheit zum Beruf der Literaten übergehen. Sie sind alle
geistreich, schlagfertig, ironisch, phantasiebegabt und sinnlich. Mehr
braucht ein Mensch, der sich ein wenig die Technik des Schreibens
aneignet, heutzutage wirklich nicht, um ein berühmter Schriftsteller
werden zu konnen. Die Salonhelden der Schnitzlerschen Novellen
sind nur durch Zufall Causeure und Weltenbummler statt Literaten
geworden.
Die Tatsache, daß Schnitzler Arzt ist, hat die Feuilletonisten
in Deutschland seit einem Jahrzehnt dazu verführt, die billigen
Phrasen von dem Diagnostiker, von dem Seelenanalytiker und
Beobachter so lange zu schreiben, bis der Begriff Schnitzler und
das landläufige Bild eines Arztes beinahe zu Deckvorstellungen
geworden sind. Vielleicht das Gegenteil von dem, was man sich
allgemein ausmalt, ist wohl der Fall. Man könnte mit einiger
Uebertreibung sagen, daß Schnitzler der Typus eines Nicht¬
arztes ist, daß das ganze Vorstellungs= und Gefühls¬
r uns
leben, soweit es sich in seinen Dichtungen
sichtbar widerspiegelt, allen nüchternen naturwissenschaftlichen
der
Anschauungen Hohn spricht. Schnitzler ist nicht
kühle Beobachter, der, ohne nach Geheimnissen zu suchen, nur
die Tatsachen als Symptome festlegt und gegen einander abwägt,
er ist nicht der scharfe Analytiker, er ist nicht der nachdenkliche
Synthetiker, seiner Psychologie ist jede systematische Einschachtelung
fremd, denn er vermutet überall Wunder und Märchen und
Sagen und spürt den verborgenen Dingen nach, die ein Natur¬
wissenschaftler selbst dann leugnen würde, wenn man sie ihm
mit aller Sinnfälligkeit deutlich zeigen könnte. Schnitzler ist im
Grunde, wenn er sich dessen auch selbst nicht bewußt sein mag,
ein Metaphysiker. Sein Glaubensbekenntnis ist das, was alle
Naturwissenschaft leugnet.
Deswegen verdichten sich bei ihm alle Dinge zu Symbolen,
deswegen erzählt er uns Wunder und Märchen und alte Legenden
selbst da, wo er das Leben der gegenwärtigen Tage schildekt. In¬
der umfangreichsten seiner sechs Novellen wird eine junge Frauf
geschildert, die in gedankenlosem Glück an der Seite eines
grüblerischen Gatten, eines Astronomen, lebt. Der Mann
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guckt nach den Sternen aus: er sucht das Wunder. Eines
lusschnitt aus: Ntücs Wieher Jburnal, Wien
Tages steigt er von der Warte herab ins Schlafgemach
seiner Frau und erfaßt plötzlich, daß er das ihm am nächsten
7·5 Mal 1912
(om:
stehende Wunder, die Seele des eigenen Weibes, nicht
kennt. Er sagt es ihr und sie versteht ihn nicht. Es gibt
nichts, was sie ihm je verborgen hatte, warum also sollte er sie
Artur Schnitzlers neues Werk.
nicht kennen? Weil sie sich selber noch nicht kennt, weil sie ihe
Wunder.“
Leben noch nicht gelebt hat. Und er gibt sie frei, sie soll hin z¬
(Telegramm unseres Korrespondenten.)
ziehen ohne Rücksichten und Gedanken an ihn, soll jeder Lockung
folgen, soll ihm nicht treu bleiben, wenn er sie nicht dazu treibt,
Berlin, 14. Mai.
und zurückkehren, wenn es ihr gefällt. Das Lied einer Hirten¬
# Der neue Novellenband „Masken und Wunder“, der an
flöte, das aus dem Walde zu ihr klingt, weckt ihre Neugier. Sie
des Dichters fünszigstem Geburtstag bei S. Fischer erscheint,
findet einen Hirten, sie zieht mit ihm durch Wald und Tal, trennt
ist ein echter Schnitzler. Echt in seinen uns längst gewohnten und
sich von ihm, gibt sich einem Fabrikherrn, einem Heerführer,
liebgewordenen Gedankengängen, echt in seinen melancholischen,
einem Fürsten, geht von Mann zu Mann, von Unheil zu Unheil,
zerfaserten Seelenstimmungen, echt auch in allen seinen Gestalten.
kostet höchste Wonne und tiefstes Unglück aus und steht endlich,
Es tritt nicht eine Figur auf, der wir nicht schon in Schnitzlers
geprüft durch die Leiden, vor ihrem Gatten. Er erkennt ihr
dramatischen Werken begegnet wären, es taucht auch nicht eine
Schicksal, er grollt ihr nicht, er verzeiht ihr. Jetzt endlich hat
äußere Lebenserscheinung vor uns auf, die ihr Schöpfer zu einem
sie sich selbst erkannt, und er, ein neuer Puppenspieler, ist stolz'
Symbol zu verdichten sich nicht bemüht. Und dennoch ist dieses
stille, anspruchslose Buch in einem besonderen Sinne kein echter darauf, daß er entsagungsvoll #was getan hat, wozu kein Mann
Schnitzler. Nicht einer der lebenden großen und kleinen Erzähler vor ihm den Gedanken und die Kraft hatte. Bei ihm ist
wählt eine so überraschend, ja wunderlich undramatische Form, der Friede für sie, denn bei ihm ist das Verstehen.
„So sag' du selbst nun, warum ich dich fliehen muß? Ja,
wie der Dramatiker Schnitzler in seinem neuesten Buch.
wärst du erschaudert vor dem Hauch der tausend Schicksale, der
In den sechs Novellen kommt kein Dialog vor. Nur an einer
um meine Stirn fliegt, so hätte ich bleiben dürfen, und unsere
Stelle werden Rede und Gegenrede in direkter Folge gegeneinander
Seelen wären vielleicht ineinandergeschmolzen in der Glut namen¬
abgewogen. Da aber geschieht es nur, um die Quintessenz, das
loser Schmerzen. So aber tiefer als vor allen Masken und
Resümee, die belehrende Tendenz der Novelle prägnant zusammen¬
zufassen. Also auch da sprechen nicht die handelnden Personen, Wundern der Welt graut mir vor der steinernen Fratze deiner
sondern der Dichter selbst in einer Maske, die er sich von seinen Weisheit.“
Auch Artur Schnitzler geht es nicht anders wic der Heldin
Figuren lieh, zu uns. In der Flut der belletristischen Neu¬
seiner Erzählung. Auch ihm graut vor der Weisheit der Allzu¬
erscheinungen eines Jahres gibt es vielleicht nur diese eine, die
klugen, weil Allzukühlen, mehr als vor allen Masken und
bewußt jeden Dialog ausschaltet, und dieses eine Buch stammt
Wundern des heißblütigen, stets sich erneuernden, nicht erkannten,
von dem Meister des Dialogs, von Schnitzler.
und nie erforschten Lebens.
Mit diesem Kuriosum haben sich seine Leser abzufinden. In.
Robert Saudeky
übrigen wird ihnen das Buch kaum große Ueberraschungen bieten.
5. Masken I
eine tiefergehende Bildung, haben wissenschaftliche und künst¬
lerische Sonderinteressen, machen auf allen Geistesgebieten mit,
bummeln wohl auch ein wenig durch die Welt, ver¬
box 35/8
ind
Nunder
fügen über Vergleichsmöglichkeiten und haben soviel
Weibliches und Feminines und Animalisches, daß sie
für das Wiener Leben geboren zu sein scheinen und au
der großen Weltarbeit ihrer zeitgenössischen Kultur nit
aktiven, immer nur passiven Anteil nehmen. Wenn sie nicht allé¬
samt aus wohlhabendem Hause kämen, wenn sie die äußere Not
zum Gelderwerb zwänge, dann würden sie sicher mit großer
Mehrheit zum Beruf der Literaten übergehen. Sie sind alle
geistreich, schlagfertig, ironisch, phantasiebegabt und sinnlich. Mehr
braucht ein Mensch, der sich ein wenig die Technik des Schreibens
aneignet, heutzutage wirklich nicht, um ein berühmter Schriftsteller
werden zu konnen. Die Salonhelden der Schnitzlerschen Novellen
sind nur durch Zufall Causeure und Weltenbummler statt Literaten
geworden.
Die Tatsache, daß Schnitzler Arzt ist, hat die Feuilletonisten
in Deutschland seit einem Jahrzehnt dazu verführt, die billigen
Phrasen von dem Diagnostiker, von dem Seelenanalytiker und
Beobachter so lange zu schreiben, bis der Begriff Schnitzler und
das landläufige Bild eines Arztes beinahe zu Deckvorstellungen
geworden sind. Vielleicht das Gegenteil von dem, was man sich
allgemein ausmalt, ist wohl der Fall. Man könnte mit einiger
Uebertreibung sagen, daß Schnitzler der Typus eines Nicht¬
arztes ist, daß das ganze Vorstellungs= und Gefühls¬
r uns
leben, soweit es sich in seinen Dichtungen
sichtbar widerspiegelt, allen nüchternen naturwissenschaftlichen
der
Anschauungen Hohn spricht. Schnitzler ist nicht
kühle Beobachter, der, ohne nach Geheimnissen zu suchen, nur
die Tatsachen als Symptome festlegt und gegen einander abwägt,
er ist nicht der scharfe Analytiker, er ist nicht der nachdenkliche
Synthetiker, seiner Psychologie ist jede systematische Einschachtelung
fremd, denn er vermutet überall Wunder und Märchen und
Sagen und spürt den verborgenen Dingen nach, die ein Natur¬
wissenschaftler selbst dann leugnen würde, wenn man sie ihm
mit aller Sinnfälligkeit deutlich zeigen könnte. Schnitzler ist im
Grunde, wenn er sich dessen auch selbst nicht bewußt sein mag,
ein Metaphysiker. Sein Glaubensbekenntnis ist das, was alle
Naturwissenschaft leugnet.
Deswegen verdichten sich bei ihm alle Dinge zu Symbolen,
deswegen erzählt er uns Wunder und Märchen und alte Legenden
selbst da, wo er das Leben der gegenwärtigen Tage schildekt. In¬
der umfangreichsten seiner sechs Novellen wird eine junge Frauf
geschildert, die in gedankenlosem Glück an der Seite eines
grüblerischen Gatten, eines Astronomen, lebt. Der Mann
1
guckt nach den Sternen aus: er sucht das Wunder. Eines
lusschnitt aus: Ntücs Wieher Jburnal, Wien
Tages steigt er von der Warte herab ins Schlafgemach
seiner Frau und erfaßt plötzlich, daß er das ihm am nächsten
7·5 Mal 1912
(om:
stehende Wunder, die Seele des eigenen Weibes, nicht
kennt. Er sagt es ihr und sie versteht ihn nicht. Es gibt
nichts, was sie ihm je verborgen hatte, warum also sollte er sie
Artur Schnitzlers neues Werk.
nicht kennen? Weil sie sich selber noch nicht kennt, weil sie ihe
Wunder.“
Leben noch nicht gelebt hat. Und er gibt sie frei, sie soll hin z¬
(Telegramm unseres Korrespondenten.)
ziehen ohne Rücksichten und Gedanken an ihn, soll jeder Lockung
folgen, soll ihm nicht treu bleiben, wenn er sie nicht dazu treibt,
Berlin, 14. Mai.
und zurückkehren, wenn es ihr gefällt. Das Lied einer Hirten¬
# Der neue Novellenband „Masken und Wunder“, der an
flöte, das aus dem Walde zu ihr klingt, weckt ihre Neugier. Sie
des Dichters fünszigstem Geburtstag bei S. Fischer erscheint,
findet einen Hirten, sie zieht mit ihm durch Wald und Tal, trennt
ist ein echter Schnitzler. Echt in seinen uns längst gewohnten und
sich von ihm, gibt sich einem Fabrikherrn, einem Heerführer,
liebgewordenen Gedankengängen, echt in seinen melancholischen,
einem Fürsten, geht von Mann zu Mann, von Unheil zu Unheil,
zerfaserten Seelenstimmungen, echt auch in allen seinen Gestalten.
kostet höchste Wonne und tiefstes Unglück aus und steht endlich,
Es tritt nicht eine Figur auf, der wir nicht schon in Schnitzlers
geprüft durch die Leiden, vor ihrem Gatten. Er erkennt ihr
dramatischen Werken begegnet wären, es taucht auch nicht eine
Schicksal, er grollt ihr nicht, er verzeiht ihr. Jetzt endlich hat
äußere Lebenserscheinung vor uns auf, die ihr Schöpfer zu einem
sie sich selbst erkannt, und er, ein neuer Puppenspieler, ist stolz'
Symbol zu verdichten sich nicht bemüht. Und dennoch ist dieses
stille, anspruchslose Buch in einem besonderen Sinne kein echter darauf, daß er entsagungsvoll #was getan hat, wozu kein Mann
Schnitzler. Nicht einer der lebenden großen und kleinen Erzähler vor ihm den Gedanken und die Kraft hatte. Bei ihm ist
wählt eine so überraschend, ja wunderlich undramatische Form, der Friede für sie, denn bei ihm ist das Verstehen.
„So sag' du selbst nun, warum ich dich fliehen muß? Ja,
wie der Dramatiker Schnitzler in seinem neuesten Buch.
wärst du erschaudert vor dem Hauch der tausend Schicksale, der
In den sechs Novellen kommt kein Dialog vor. Nur an einer
um meine Stirn fliegt, so hätte ich bleiben dürfen, und unsere
Stelle werden Rede und Gegenrede in direkter Folge gegeneinander
Seelen wären vielleicht ineinandergeschmolzen in der Glut namen¬
abgewogen. Da aber geschieht es nur, um die Quintessenz, das
loser Schmerzen. So aber tiefer als vor allen Masken und
Resümee, die belehrende Tendenz der Novelle prägnant zusammen¬
zufassen. Also auch da sprechen nicht die handelnden Personen, Wundern der Welt graut mir vor der steinernen Fratze deiner
sondern der Dichter selbst in einer Maske, die er sich von seinen Weisheit.“
Auch Artur Schnitzler geht es nicht anders wic der Heldin
Figuren lieh, zu uns. In der Flut der belletristischen Neu¬
seiner Erzählung. Auch ihm graut vor der Weisheit der Allzu¬
erscheinungen eines Jahres gibt es vielleicht nur diese eine, die
klugen, weil Allzukühlen, mehr als vor allen Masken und
bewußt jeden Dialog ausschaltet, und dieses eine Buch stammt
Wundern des heißblütigen, stets sich erneuernden, nicht erkannten,
von dem Meister des Dialogs, von Schnitzler.
und nie erforschten Lebens.
Mit diesem Kuriosum haben sich seine Leser abzufinden. In.
Robert Saudeky
übrigen wird ihnen das Buch kaum große Ueberraschungen bieten.