V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 24

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5. Masken
und Nunder
Es schildert, wie so viele andere Bücher desselben Wiener Poeten,
nur Wiener Menschen. Es zeigt uns wohlhabende, soignierte, im
Grunde beschäftigungslose Herren, also Salonlöwen, Kavaliere,
junge Lebeleute und alte Sonderlinge und stets im Gegensatz zu
dem armen kleinen süßen Wiener Mädel: das Motiv der Liebelei,
in ewig neuen Variationen.
„Ein junger Mann, Doktor beider Rechte, ohne seinen Beruf
auszuüben, elternlos, in behaglichen Umständen lebend, als liebens¬
würdiger Gesellschafter wohlgeniten, stand nun seit mehr als
einem Jahre in Beziehungen zu einem Mädchen geringerer Art.“
Wörtlich so beginnt eine der Novellen. Und unserem Gefühl
nach auch wörtlich so wie in Schnitzlers bekannten Stücken kommen
die erotischen Triebe, die plötzlich von einer falschen Ehrsucht auf¬
gepeitschten Eitelkeiten, die halb bewußten und die unbewußten
Gefühle von sich umgirrenden Männlein und Weiblein zum
genießt,
Ausdruck. Man liebelt und plänkelt und
lange man dabei körperlich frisch bleibt, und begingt
elegisch zu träumen und wird philosophisch angehaucht,
wenn sich die Langeweile einstellt. Aus Mangel an
animalischer Anregung, aus Ermüdung der Nerven, aus Ueser¬
sättigung der Lüste beginnt man, da auch die Ruhepausen des
Lebens ausgefüllt werden müssen, über den Sinn des Lebens zu
grübeln. Die Grenzen im Empfindungsleben der Geschlechter
werden dann wohl mit ein paar überraschenden Worten abgesteckt,
eine Frage wird gestellt, ein Problem wird ausgerollt, ein Schicksal
wird entschieden, und das alles geschieht mit graziösen Gesten,
ohne große Gewichtigkeit, ohne Pose, ohne grandioses Gehaben.
Nicht so oberflächlich, wie die romanischen Naturen es zu tun
pflegen, nicht so schwer und von Gewissensbissen erfüllt, wie es
bei einem nordischen Temperament gegeben wäre, sondern im
Grunde unverfälscht und echt österreichisch.
Uralte Gesellschaftskulturen spiegeln sich im Wesen der
Schnitzlerschen Gestalten wider. Diese Menschen wissen sich im
Salon zu bewegen, sie wissen zu plaudern, zu flirten und zu
plänkeln und sind dennoch nicht oberflächlich. Die Männer haben
eine tiefergehende Bildung, haben wissenschaftliche und künst¬
mit,
lerische Sonderinteressen, machen auf allen Geistesgebieten
ver¬
bummeln wohl auch ein wenig durch die Welt,
fügen über Vergleichsmöglichkeiten und haben soviel
Feminines und Animalisches, daß
Weibliches und
für das Wiener Leben geboren zu sein scheinen und a
der großen Weltarbeit ihrer zeitgenössischen Kultur ni
aktiven, immer nur passiven Anteil nehmen. Wenn sie nicht alle¬
samt aus wohlhabendem Hause kämen, wenn sie die äußere Not
zum Gelderwerb zwänge, dann würden sie sicher mit großer
Mehrheit zum Beruf der Literaten übergehen. Sie sind alls
geistreich, schlagfertig, ironisch, phantasiebegabt und sinnlich. Mehr
braucht ein Mensch, der sich ein wenig die Technik des Schreibens
aneignet, heutzutage wirklich nicht, um ein berühmter Schriftsteller
werden zu können. Die Salonhelden der Schnitzlerschen Novellen
sind nur durch Zufall Causeure und Weltenbummler statt Literaten
geworden.
Die Tatsache, daß Schnitzler Arzt ist, hat die Feuilletonisten
in Deutschland seit einem Jahrzehnt dazu verführt, die billigen
Phrasen von dem Diagnostiker, von dem Seelenanalytiker und
Beobachter so lange zu schreiben, bis der Begriff Schnitzler und
das landläufige Bild eines Arztes beinahe zu Deckvorstellungen
geworden sind. Vielleicht das Gegenteil von dem, was man sich
allgemein ausmalt, ist wohl der Fall. Man könnte mit einiger
Uebertreibung sagen, daß Schnitzler der Typus eines Nicht¬
arztes ist, daß das ganze Vorstellungs= und Gefühls¬
leben, soweit es sich in seinen Dichtungen für uns
sichtbar widerspiegelt, allen nüchternen naturwissenschaftlichen
Schnitzler ist nicht der
Anschauungen Hohn spricht.
kühle Beobachter, der, ohne nach Geheimnissen zu suchen, nur
die Tatsachen als Symptome festlegt und gegen einander abwägt,
er ist nicht der schare Analytiker, er ist nicht der nachdenkliche
Synthetiker, seiner Psychologie ist jede systematische Einschachtelung
fremd, denn er vermutet überall Wunder und Märchen und
Sagen und spürt den verborgenen Dingen nach, die ein Natur¬
wissenschaftler selbst dann leugnen würde, wenn man sie ihm
mit aller Sinnfälligkeit deutlich zeigen könnte. Schnitzler ist im
Grunde, wenn er sich dessen auch selbst nicht bewußt sein mag,
ein Metaphysiker. Sein Glaubensbekenntnis ist das, was alle
Naturwissenschaft leugnet.
Deswegen verdichten sich bei ihm alle Dinge zu Symbolen,
—.— ——
usschnitt aus: Ser Tag, Barin
om:

Arthur Schniklers Novellenbuch.
∆ Arthur Schnitzler, der am Mitlwoch, 15. 3. M.
sein 50. Lebensjahr vollendet, hat eine neue
Novellensammlung „Masken und Wunder“
(S. Fischer), die von fern an „Die Frau des
Weisen anklingt, nur daß seine Kunst inzwischen
reifer und geschlossener geworden ist, mit einer
ganz meisterhaften Geschichte eingeleitet. Sie
heißt „Die Hirtenflöte“ und erzählt von den Le¬
benswundern einer jungen Frau, die der Gatte
aus der Ruhe ihres friedlichen Glückes aufstört
und zwingt, den lockenden Tönen einer Hirten¬
flöte zu folgen, hinaus in das Leben und die
Versuchung, der sie bewußt gehorchen soll, um
dann irgendwann nach der klaren Erfüllung eines #
vom Schicksal bestimmten Weges zurückzukehren
in seine Arme. So wird Dionysia, die, eine an¬
dere Griseldis, mutig in ein neues Dasein der
Freiheit und des Genusses schreitet, die Gefähr¬
tin eines Hirten, dem sie eben noch in trotziger
Ueberlegenheit entgegentrat, spürt ein paar Mo¬
nate später Sehnsucht nach Heim und Wartung,
die ihr wie ein Märchen an der Seite eines
reichen Fabrikherrn erfüllt wird. Sie ist dann
die Geliebte eines Grafen, mit dem sie in die
Schlacht zieht, um ihn hier zu verlieren. Höher¬
steigend, entfremdet sie einen Fürsten seiner Ge¬
mahlin und herrscht über Thron und Reich, bis
der Unwille des Volkes, ein dumpfer, gä¬
render Unwille, sie auch aus dieser Sphäre hin¬
ausstößt. Nun scheint ihr Schicksal vollendet, und
nach einer Kette furchtbarer Erlebnisse wandert sie
heimwärts, wo der Gatte, als hätte sie ihn ge¬
rade verlassen, noch immer sinnend am Fernrohr?
den Lauf der Gestirne betrachtet. Als er sein:
Weib, das seine Weisungen erfüllt hat, an sich
ziehen will, wendet sie sich schaudernd ab von
ihm, der sein Spiel trieb und ein Problem lösen?
wollte mit dem Liebsten, was er besaß und was
ihm nun auf ewig verloren ist. „Du ein Weiser?:
Und hast nicht erkannt, daß jedem menschlichen
Dasein nur ein schmaler Strich gegönnt ist, sein
Wesen zu verstehen und zu erfüllen? Dort, wost
das einzige, mit ihm einmal geborene und nie¬
mals wiederkehrende Rätsel seines Wesens im
gleichen Bett mit den hohen Gesetzen göttlicher
und menschlicher Ordnung läuft? Ein Liebender
Du? Und bist nicht selbst an jenem fernen
Morgen ins Tal hinabgestiegen, eine Flöte zu zer¬
brechen, deren Töne der Geliebten Verführung
drohten!“ Wie stets, ist hier Schnitzler der An¬
walt des Weibes, das den Abgründen und Tie¬
fen des Lebens näher steht als der Mann, und sie
erlebend verspürt, statt die Rätsel mit harten Ver¬
standeskräften lösen zu wollen. Das Zeitlose in
dieser Geschichte mit einer an Goethe ge¬
mahnenden Reinheit und Plastik und mit einem
steten Uebergleiten in die geheimnisvolle Welt des
Unmöglichen, vermischt sich widerspruchslos mit
jener eigentlichen Frauenkunst des Dichters,
dessen Psychologie sich in Menschen und Dinge
einfühlt, und bald gläubig, bald überlegen=iro¬
nisch aus Bildern und Ahnungen neu ersteyen
läßt.
Es bildet die eigentliche Note Arthur
Schnitzlers, daß er immer wieder über das
Oesterreichertum und den psychologischen Im¬
pressionismus, über das Sehenmüssen einer be¬
stimmt gearteten Zeit und Kunst hinauswill und
zu den eigentlichen Brutalitäten des Lebens hin¬
drängt. In den anderen Novellen dieses Ban¬
des ist er hie und da zu stark ins psychologische
Experiment verfallen, in die Lockung, die Glei¬
chung mit einer Unbekannten zu lösen, wie schon
im „Mörder", während „Der Tod des Jung¬
gesellen“ ein älteres Motiv der „Letzten Mas¬
ken“ variiert. Sehr fein ist „Der tote Gabriel“,
eine Novelle, in der das starke Talent Schnitz¬
lers, seine Gestalten mimisch empfinden zu
lassen, so daß sie in der korrektesten Haltung die
ernsthaftesten Tragödien spielen, wiederum zum
Ausdruck kommt. Das neue Novellenbuch zeigts
den Dichter in unverminderter Kraft. Er bleibts
einer der ganz wenigen, die in einer zwanzig¬
jährigen künstlerischen Arbeit viel mehr gehalten
haben, als der Ersiling versprach.
Hans Landsbeerg.!
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