Nund
ken
P
5. Ma. und
Oroacft
Neue deutsche Erzahlungsliteratur.
Von Eugen Kalkschmidt (München).
Im allgemelnen hat der Leser das Recht, mißtrauisch zu
sein, wenn ein Roman im Prosastile den Heldensang zu
erneuern bestrebt ist. Mit wenig Worten viel zu sagen, ist
die Kunst des Dichters. Aber es ist nicht immer das stärkste
dichterische Leben, das mit starken Worten vermittelt wird.
Das alte Epos fließt still dahin wie ein tiefer Strom, aber
seine Wirkung ist gewaltig und aufrührerisch. Das neue
Epos, der moderne Roman, sucht manchmal diese Wirkung
dadurch zu erreichen, daß er sie vorwegnimmt, indem er das
Gefüge und den Rhythmus der Erzählung in einen gewalt¬
samen Aufruhr hineinsteigert. Das ist, sehr häufig wenig¬
stens, ein künstlerischer Irrtum; die einen begehen ihn instink¬
tiv, weil er ihrer Natur gemäß ist, die andern trumpfen damit
auf, um zu zeigen, daß sie auch sowas können; sie spielen sozu¬
sagen den „wilden Mann“.
Bei Walter v. Molo hat man das Gefühl, daß er Welt
und Menschen im Sturmschritt packen, sie heroisieren muß,
wenn er sie überhaupt anpacken will. So ist auch sein neuer
Roman „Wir Weibgesellen“) ganz so stürmisch aus¬
gefallen wie wir das von früheren Werken gewöhnt sind.
Zwei Männer, Jugendfreunde, Brüder fast, kämpfen um ein
Weib. Der eine, der es besitzt und innerlich verloren hat, will
es sich zurückgewinnen und erhalten, als der andere auftaucht
und ihn den Wert des drohenden Verlustes ahnen läßt. Jener,
der Gatte der schönen Ethel, ist Künstler, der sein Talent in
Wohlleben verbummelt und in geschäftiger Unrast vertrödelt.
Der andere ist Tatmensch; harter Wille, eiserner Verzicht. Wir
Weibgesellen, sagt Molo, was haben wir zu wollen! Unser
Wille ist das Weib. Wir suchen ihm zu entgehen, sind fertig
mit ihm — unversehens hat es uns beim Kragen, unergründ¬
lich und unausweichlich wie es nun einmal ist. Auch wenn
es eine ganz unnahbare, blasse, stolze und entsagende Frau
ist wie diese Ethel. Die unerbittliche Liebe erweist sich stärker
als die eiserne Selbstzucht der Entsagung, der gezähmte Eros
rächt sich. Molo hat dieses Evangelium schon ein paarmal
angeschlagen, dieses Mal mit einem ethisch dumpfen
Ausklange, den er diesmal vermieden hat; denn die drei
Menschen einigen sich, nach einem wütenden Ringkampfe der
Rivalen am Rande des Abgrunds, in Frieden und Freund¬
schaft zum gütlichen Vergleich. Das mag nun zwar, bei so¬
viel aufgebotener Heftigkeit der Zwangsvorstellungen und
1) Schuster und Loeffler, Berlin.
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Schicksalsempfindungen, einigermaßen bürgerlich hausbacken
erscheinen. Wennschon elementar, dann auch ordentlich.
Aber ich glaube, da stoßen wir auf den wunden Punkt dieser
ganz konkreten Darstellungsart, die zwar den Leser durch ihr:
vibrierende Kürze und pathetische Entschlossenheit stark betei¬
ligt, zuletzt aber so etwas wie einen leeren Raum erzeugt, in
den man hinaushorcht, ohne daß es klingen will. Und es klang
doch eben noch so stark und voll und heldenhaft. Nämlich so:
Vier Männerbeine kämpfen auf schmalem Band.
Vier Männerbeine flechten sich durcheinander, zerstampfen
gehässig den Grund. Dumpf hallt der Stein. Klaftertief fällt
das Tal. Axel Herre bricht in die Knie.
Zwei Menschen rollen ab, immer schneller und schneller,
haßgefesselt sind sie ein Leib. Franz Eccolo fängt einen Kie¬
fernzweig, zum Riß gespannt hält der die Menschenlast. Franz
Eccolo tritt nach dem Feind.
Mutter, Freunde, Lebenshöhen, Kleinlichkeiten, die
Bauernleiche, sie schießen vor Axel Herres Augen. Wie eine
Vision steht das Weib vor ihm. „Ethel“ verliert er den Schrei.
„Ethel“ kämpft er ums Leben.
Franz Eccolo starrt ihn an, die wütende Faust in des
andern Rock gekrampft. Gläserne Augen jammern zu ihm
empor: „So nahe dem Glück muß ich gehen?“
„Das Glück sollst du haben!“
Franz Eccolo reißt ihn höhnisch zurück, es ist klar in ihm,
er hilft ihm ans Ufer der Erde. Mit keuchender Brust und
geblendeten Augen kriecht ein Mann im Schutt. Sie liegen
stumm und mit schlagenden Flanken. Der Tod hat ge¬
grüßt
Das liest sich nun gewiß recht spannend. Ueberlegt man,
was das Spannende daran ist, so bleibt einem zuletzt nur der
Vorgang selber. Die gespannte, die überspannte Form aber
löst sich in lauter literarische Ornamentik auf. Die ist manch¬
mal originell, manchmal gernicht. „Mutter, Freunde, Lebens¬
höhen, Kleinlichkeiten“ — was sagt denn das? Der Mann,
ein besonderer Mensch nach des Dichters Willen und An¬
weisung, schaut dem Tode ins Antlitz. Er sieht dahinter
„Lebenshöhen und Kleinlichkeiten“, aber wir sehen sie nicht.
Das General-Stimmungsregister des Ertrinkenden oder Ab¬
stürzenden wird gezogen, der Mollton erklingt, aber das Tempo
verlangt einen Galopp über Stock und Stein, über Lebens¬
höhen und Kleinlichkeiten hinweg; einen Galopp, der kein
Verweilen duldet.
Das, was ich unter literarischer Ornamentik
verstehe, möchte ich durch ein weiteres Beispiel aus Molo besser
belegen:
Aufs neue begann die Kirchenglocke ihre dröhnenden
Schläge ins Dunkel zu hämmern. Axel Herre befahl seinem
zwecklosen Denken zu Ende zu kommen und sah auf. bereit,
neue Eindrücke zu empfangen.
Allenthalben ragten drohende Arme in
hausschilder. Das Licht der Schankstuben
die leere Gasse. Hell und hart klangen die
ihr Schall lief plötzlich lautlos in die W#
endeten. Hier standen alte Pappeln, die
das Mondlicht ruhte weiß auf nassen B
ernst sahen die kleinen Fenster einer dur
die
seitab lag, auf ihn. Ein im Geviert
ließ breit und erbgesessen die Landstraße
Er, Axel, begnügte sich also nicht dan
entschlossen ein Ende zu machen, sondern
Ende zu kommen. Das sind Akzentuierung
ohne daß man einsehen könnte, warum.
er, wie die Stelle zeigt, über Impressionen
dringlichkeit, die beweisen, daß er Gesehen
zuformen vermag, wenn er sich Zeit dazu
In die Reihe dieser stürmischen Subje
Carl Hauptmann. Doch ist bei ihm
findung so stark, daß er dem Hange, ornan
fen, nicht nachgeben kann: er erwärmt dem
die Form von innen heraus. Er gewinnt d
Erzählungen „Nächte“') dartun, nicht
Form, aber sie ist konstruktiv stark empfu
durchgeführt. Ein so abgedroschenes Motiv
wechslungsfreudigen Weibes, das an einen
von schwerem Blut gerät und von ihm ni
bekommt bei Hauptmann doch eine richtig
farbe. Die Versuchung eines jungen Prie
derer van Doorn“) entwickelt sich bei alle
zählung nicht ohne innerliche Feinheiten,
trefflicher, ja ein meisterlicher Wurf ist
Popjels Jugend“, Zwei Brüder: Eduar
der Familie, ein künstlerisch begnadeter
Franz, der Gezeichnete, in dem das Leben
und zischt. Eine wirkliche Novelle, weil si
matisches Stück Leben, das noch kein ga
Schicksal ist, sozusagen in den Schnittpunk
lung aufzeigt. Franz, der heimliche Verbre
ter bestiehlt, die Braut des Bruders verf
letzten Augenblick, vor dem Versinken im
findet zu sich selbst — das ist ein Charakter
würdig schillernden Eindringlichkeit, wie ma
ratur nur alle Jubeljahre einmal trifft. D
terisch visionär geschaut, bis in Seelenfalten
nicht erschlossen waren; ein unheimlicher
wie ihn die Gestalten E. Th. A. Hoffman
*) Ernst Rowohlt, Leipzig.
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P
5. Ma. und
Oroacft
Neue deutsche Erzahlungsliteratur.
Von Eugen Kalkschmidt (München).
Im allgemelnen hat der Leser das Recht, mißtrauisch zu
sein, wenn ein Roman im Prosastile den Heldensang zu
erneuern bestrebt ist. Mit wenig Worten viel zu sagen, ist
die Kunst des Dichters. Aber es ist nicht immer das stärkste
dichterische Leben, das mit starken Worten vermittelt wird.
Das alte Epos fließt still dahin wie ein tiefer Strom, aber
seine Wirkung ist gewaltig und aufrührerisch. Das neue
Epos, der moderne Roman, sucht manchmal diese Wirkung
dadurch zu erreichen, daß er sie vorwegnimmt, indem er das
Gefüge und den Rhythmus der Erzählung in einen gewalt¬
samen Aufruhr hineinsteigert. Das ist, sehr häufig wenig¬
stens, ein künstlerischer Irrtum; die einen begehen ihn instink¬
tiv, weil er ihrer Natur gemäß ist, die andern trumpfen damit
auf, um zu zeigen, daß sie auch sowas können; sie spielen sozu¬
sagen den „wilden Mann“.
Bei Walter v. Molo hat man das Gefühl, daß er Welt
und Menschen im Sturmschritt packen, sie heroisieren muß,
wenn er sie überhaupt anpacken will. So ist auch sein neuer
Roman „Wir Weibgesellen“) ganz so stürmisch aus¬
gefallen wie wir das von früheren Werken gewöhnt sind.
Zwei Männer, Jugendfreunde, Brüder fast, kämpfen um ein
Weib. Der eine, der es besitzt und innerlich verloren hat, will
es sich zurückgewinnen und erhalten, als der andere auftaucht
und ihn den Wert des drohenden Verlustes ahnen läßt. Jener,
der Gatte der schönen Ethel, ist Künstler, der sein Talent in
Wohlleben verbummelt und in geschäftiger Unrast vertrödelt.
Der andere ist Tatmensch; harter Wille, eiserner Verzicht. Wir
Weibgesellen, sagt Molo, was haben wir zu wollen! Unser
Wille ist das Weib. Wir suchen ihm zu entgehen, sind fertig
mit ihm — unversehens hat es uns beim Kragen, unergründ¬
lich und unausweichlich wie es nun einmal ist. Auch wenn
es eine ganz unnahbare, blasse, stolze und entsagende Frau
ist wie diese Ethel. Die unerbittliche Liebe erweist sich stärker
als die eiserne Selbstzucht der Entsagung, der gezähmte Eros
rächt sich. Molo hat dieses Evangelium schon ein paarmal
angeschlagen, dieses Mal mit einem ethisch dumpfen
Ausklange, den er diesmal vermieden hat; denn die drei
Menschen einigen sich, nach einem wütenden Ringkampfe der
Rivalen am Rande des Abgrunds, in Frieden und Freund¬
schaft zum gütlichen Vergleich. Das mag nun zwar, bei so¬
viel aufgebotener Heftigkeit der Zwangsvorstellungen und
1) Schuster und Loeffler, Berlin.
box 35/78
Schicksalsempfindungen, einigermaßen bürgerlich hausbacken
erscheinen. Wennschon elementar, dann auch ordentlich.
Aber ich glaube, da stoßen wir auf den wunden Punkt dieser
ganz konkreten Darstellungsart, die zwar den Leser durch ihr:
vibrierende Kürze und pathetische Entschlossenheit stark betei¬
ligt, zuletzt aber so etwas wie einen leeren Raum erzeugt, in
den man hinaushorcht, ohne daß es klingen will. Und es klang
doch eben noch so stark und voll und heldenhaft. Nämlich so:
Vier Männerbeine kämpfen auf schmalem Band.
Vier Männerbeine flechten sich durcheinander, zerstampfen
gehässig den Grund. Dumpf hallt der Stein. Klaftertief fällt
das Tal. Axel Herre bricht in die Knie.
Zwei Menschen rollen ab, immer schneller und schneller,
haßgefesselt sind sie ein Leib. Franz Eccolo fängt einen Kie¬
fernzweig, zum Riß gespannt hält der die Menschenlast. Franz
Eccolo tritt nach dem Feind.
Mutter, Freunde, Lebenshöhen, Kleinlichkeiten, die
Bauernleiche, sie schießen vor Axel Herres Augen. Wie eine
Vision steht das Weib vor ihm. „Ethel“ verliert er den Schrei.
„Ethel“ kämpft er ums Leben.
Franz Eccolo starrt ihn an, die wütende Faust in des
andern Rock gekrampft. Gläserne Augen jammern zu ihm
empor: „So nahe dem Glück muß ich gehen?“
„Das Glück sollst du haben!“
Franz Eccolo reißt ihn höhnisch zurück, es ist klar in ihm,
er hilft ihm ans Ufer der Erde. Mit keuchender Brust und
geblendeten Augen kriecht ein Mann im Schutt. Sie liegen
stumm und mit schlagenden Flanken. Der Tod hat ge¬
grüßt
Das liest sich nun gewiß recht spannend. Ueberlegt man,
was das Spannende daran ist, so bleibt einem zuletzt nur der
Vorgang selber. Die gespannte, die überspannte Form aber
löst sich in lauter literarische Ornamentik auf. Die ist manch¬
mal originell, manchmal gernicht. „Mutter, Freunde, Lebens¬
höhen, Kleinlichkeiten“ — was sagt denn das? Der Mann,
ein besonderer Mensch nach des Dichters Willen und An¬
weisung, schaut dem Tode ins Antlitz. Er sieht dahinter
„Lebenshöhen und Kleinlichkeiten“, aber wir sehen sie nicht.
Das General-Stimmungsregister des Ertrinkenden oder Ab¬
stürzenden wird gezogen, der Mollton erklingt, aber das Tempo
verlangt einen Galopp über Stock und Stein, über Lebens¬
höhen und Kleinlichkeiten hinweg; einen Galopp, der kein
Verweilen duldet.
Das, was ich unter literarischer Ornamentik
verstehe, möchte ich durch ein weiteres Beispiel aus Molo besser
belegen:
Aufs neue begann die Kirchenglocke ihre dröhnenden
Schläge ins Dunkel zu hämmern. Axel Herre befahl seinem
zwecklosen Denken zu Ende zu kommen und sah auf. bereit,
neue Eindrücke zu empfangen.
Allenthalben ragten drohende Arme in
hausschilder. Das Licht der Schankstuben
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endeten. Hier standen alte Pappeln, die
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ernst sahen die kleinen Fenster einer dur
die
seitab lag, auf ihn. Ein im Geviert
ließ breit und erbgesessen die Landstraße
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entschlossen ein Ende zu machen, sondern
Ende zu kommen. Das sind Akzentuierung
ohne daß man einsehen könnte, warum.
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Form, aber sie ist konstruktiv stark empfu
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wechslungsfreudigen Weibes, das an einen
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zählung nicht ohne innerliche Feinheiten,
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der Familie, ein künstlerisch begnadeter
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matisches Stück Leben, das noch kein ga
Schicksal ist, sozusagen in den Schnittpunk
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letzten Augenblick, vor dem Versinken im
findet zu sich selbst — das ist ein Charakter
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ratur nur alle Jubeljahre einmal trifft. D
terisch visionär geschaut, bis in Seelenfalten
nicht erschlossen waren; ein unheimlicher
wie ihn die Gestalten E. Th. A. Hoffman
*) Ernst Rowohlt, Leipzig.