V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 42

Nund
und „oder box 35/8
Mask
5. Lunen U
zu schaffen. Eine andere Resolution,
1258 Millionen Mark Lastschriften. Das Gesamtguthaben I die die Arbeitszeit für Ladenangestellte auf sechzig Stunden
Schicksal, und ich, ja, Momm, — wenn es auch keinen freien
Willen gibt, am Ende gibt es doch so was wie eine Frei¬
führlich, und eine gewisse Zeitlosigkeit der Sprache, die sich
willigkeit für uns Menschen. Du gibst nach, und ich gebe
aller modernen Wendungen geflissentlich enthält, paßt dazu
nach, da treffen wir uns in der Mitte und sind einig.
garnicht übel:
Das Buch hinterläßt einen sehr starken Eindruck; es ist
Als sie höher stiegen, klang das. Rauschen des Hochwalds
besser, einheitlicher und überzeugender wie das meiste, was
süß und mächtig wie eine Orgel von hundert Geisterstimmen,
Enking seit seiner „Familie P. C. Behm“ geschrieben hat, ob¬
die den Lobgesang der Berge anhuben. Sie starben leise da¬
I
gleich das ja auch nicht grade schlecht war. Im Kleinstadtidyll
hin und ließen ihre Hymnen wieder anschwellen. Sie sangen
dem Leben, das in den Wurzeln quillt, aufsteigt und die
war Enking von je zu Hause, da ist auch diesmal alles hübsch
Wipfel der Bäume krönt; das den zackigen Farn und die zar¬
kraus und dämmerig und von einigem warmen Humor sanft
ten blühenden Mooskinder erfüllt; das ragende Stämme auf¬
überglänzt. Aber über die engen Zustände hinaus scheint mir
baut und den Wald zu einem Volke von stark ausdauernden
diesmal ein wirkliches Schicksal dichterisch entschieden erfaßt
Geschöpfen erhebt. Und sie sangen von Jugend, die immer
und in ruhiger Klarheit dargestellt. Kein Mensch ist ganz gut
neu auftaucht aus dem Quell der Ursprünglichkeit, den die
oder ganz böse, jeder von uns hat seine eigenste Mischung.
Erde birgt, und die von der allbelebenden Sonne gereift wird
Aber es vereinfacht die Sache, wenn man Engel und Teufel
zur Empfindung der Freude, so daß ein Hauch der Frische
kreuzweis an die Wand malt. Von dieser Methode, das wirre
den gänzen Hochwald durchströmt, den die Menschen froh ein¬
atmen. Denn von der Seele der Natur, die sie damit
Leben zu stilisieren, hält sich Enking sehr erfreulich fern, er gibt
empfangen, wird ihre eigene Seele verjüngt.
mit oft überraschender Treffsicherheit das zarte Helldunkel see¬
Den Hang zur Idylle trifft man auch sonst nicht selten,
lischer Uebergänge, wo aus reiner Empfindung ein falscher
und besonders die süddeutschen Erzähler, selbst ein so leiden¬
Wille aufsteigt, und wie aus dem Gedanken die Empfindung
schaftliches Temperament wie Bartsch, sind ihm untertan. Von
eine unvermutete und zwingende Richtung erhält. Daß man
den Norddeutschen baut Ottomar Enking seine Konflikte
zudem einen recht fesselnden Ausschnitt aus dem Freiheits¬
mit Vorliebe auf idyllischem Kleinstadtboden auf. Er ist mit
kampfe der Herzogtümer gegen die Dänen erhält, sei am Rande
seinem letzten Roman „Momm Lebensknecht“') auch
vermerkt. Kurzum, ein Buch, das einen respeltablen Gewinn
zeitlich in eine stille Welt gegangen, in die Jahrzehnte nach den
bedeutet; was ich umso lieber melde, al= ich dem vorletzten
Befreiungskriegen. Und hier entwickelt er auf dem Hinter¬
Werke Enkings an dieser Stelle kein gutes Geleitwort mitgeben
grunde der friedlich verschlafenen deutsch=dänischen Landstadt
konnte.
den Charakter eines Menschen, der mit allen Kräften über das
Als starke Kontraste erscheinen zwei unsrer besten Novellen¬
Idyll hinausstrebt. Momm, der Sohn des Amtsrats, ist ein
dichter in ihren beiden letzten Büchern: Arthur Schnitzler
Streber, also nichts weniger als ein Held, aber ein Streber
und Heinrich Mann. Der Wiener erzählt, was aus „Mas.
von so gemischten Anlagen, daß man mit entsprechend gemisch¬
ken und Wundern“?) dieser Welt im Grunde heraus¬
ten Gefühlen seinen Lebensweg verfolgt. Der führt durch
schaut, und es ist kein Zufall, daß er das unerschöpfliche ero¬
eine hoffnungsvolle Jugend zu Amt und Würden, aber das
tische Problem dabei jedesmal in den Mittelpunkt stellt und
Glück bleibt am Wege liegen, das Weib und den Freund
mit behutsamer Kunst zu entwirren sucht. Es ist ein wirkliches
läßt Momm hinter sich, und einsam, wie er nun ist, friert
Vergnügen, ihm dabei zuzuschauen. Denn mit leichter und
es ihn innerlich, durchfröstelt ihn sein eigener, straffer Lebens¬
sicherer Künstlerhand sind Menschen und Begebenheiten in eine
wille, der ihn zum Herrn machen sollte. „Sage mir,“ fragt
Sphäre erhoben, die man ideal nennen könnte insofern, als
er den Freund am Ende, „wann hätte ich anders sein können,
hier alles Leben im Dienste einer sinnbildlichen Bedeutung
gleichsam von innen her durchlichtet ist und derart, ohne doch
als ich war?“
Peter antwortete nicht gradenwegs. Er meinte nur: „Das
unwirklich und schattenhaft zu werden, das Leben einer dichte¬
sind ja vertauschte Rollen mit uns beiden. Du, der immer vom
rischen Idee beglauhigt. Eine große Klarheit, Ruhe und fast
freien Willen gesprochen hat, du hältst, wie mir scheint, jetzt
darf man sagen: Einfalt ist in diesen äußerst anmutig beweg¬
alles für Notwendigkeit, und ich, der ich sonst nichts sehe als
ten Geschichten, wenn nicht die starke künstlerische Bewußt¬
das Notwendige, ich möchte fast denken, dies und jenes hätte
doch durch dein Zutun anders sein können. Du kommst zum
.) S. Fischer, Berlin
.* Brune Casstrer, Berlin.
te.
heit, mit der Schnitzler innere Form u
herrscht, eine solche Kennzeichnung aus
nie den Leser aus dem Auge, mutet ihm
tasien, sondern ansceinend nur schlichte
und hat ihn dennoch plötzlich mitten im
meinen und fesselnden Begebenheit, untel
man hindurchzuschauen glaubt, ohne daß
und langatmige Bekenntnisse beschwerlich
würden. In der Eingangsnovelle „Die
Schnitzler sogar auf seine Art Stellung zu
Problem der erotischen Emanzipat
Form einer modernen Legende von
jungen Frau eines älteren Mannes, de
verfahren glaubt, indem er das junge
hinaussendet, auf daß sie kennen lerne,
ständig entfesselt, qualvoll verwildert,
lichsten Erlebnisse aufgerührt und den
wiß, kehrt sie zum Gatten zurück, der
und sie milde willkommen heißt. Hier
er, denn hier ist das Verstehn. Si
erwidert: Ich weiß so wenig, wer ich
gen, da du mich entließest. „In der B
zuerst bereitet und ino alles Pflicht wi
mich zu finden. Im Grenzenlosen,
und wo alles Lockung war, mußte ich n
Ja wärst dil
nicht, wer ich bin.
Hauch der tausend Schiäfale, der um
hätt ich bleiben dürfen und unsere
ineinander geschmolzen in der Glut!
So aber, tiefer als vor allen Masken
graut mich vor der steinernen Fratze
Das künstlerisch geglättete Kolos
Sprache hat einen opalisierenden Gl
einmal bei Erzählern der Wiener Sch
B. findet. Bei Heinrich Mann
zu, hier kann man getrost von ein
pressionismus reden. Diese Novells
vom Hades“') wirken wie heraut
obgleich sie in einer Reihe von Gest
denen alles, was dem Leser als sa
durch Beschreibung geboten wird, auf
ist. Hinzukommt das immerhin
italienische Milieu der Geschichten.
e) Inselverlag, Leipzig.