V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 49

box 35/8
5. Masken und Nunder
77
. 1
Bücher der Liebe
%
von Felix Poppenberg
on der Vermessenheit, des Lebens ungeheure Fülle, das Hin= und
Widerspiel von Millionen Kräften im „hohlen Spiegel einer Formel
*
einzufangen“ handelt die Eingangsgeschichte des neuen Novellen¬
reigens Arthur Schnitzlers“.
Und er selbst gleicht jenem unersättlichen Sternenleser, der in der bösen
Lust des Wissens, eine Seele in unbegrenzte Weiten hetzt, um alle ihre Mög¬
lichkeiten zu erkunden. Des Dichters Observatorium aber steht höher als
die Warte des Magiers Erasmus. Er spiegelt, doch er sormuliert nicht.
Er läßt die Masken und Wunder seiner Lebens= und Schicksalsstücke in
ihrer eigenen Zunge reden, und auch über dem Unerhörtesten schwebt ein ruhe¬
voll gelassener Blick, der ebensogut große Überlegenheit wie erfahrungs¬
schwere Demut sein kann.
Man glaubt dabei weniger Erzählungen mit der Illusion des Geschehen¬
seins zu lesen, als die Aufzeichnungen eines psychologischen Alchymisten über
seine experimentell geschaffenen Abenteuer mit Menschenseelen; man hat die
Vorstellung von imaginären Begebenheiten aus dem Laboratorium des
Paracelsus. Und wenn es auch alles sehr sonderliche Fälle sind, pendelnd
zwischen ungewöhnlichem Leben und seltsamem Tod, Berichte über Gedanken¬
vergiftung, Marionettenspiele des Gefühls, Transsubstantiationen der Ein¬
bildungskraft, Durcheinander von Wahrheit und Lüge bis zum Mord, so
hat man doch nicht den Eindruck, daß es hier dem Dichter darauf ankam,
das Rare des merkwürdigen Geschehnisses besonderer Individuen vorzuführen,
sondern es scheint immer, als ob eine hellsichtige Provhetie Ausblicke in
das Land der Seele gibt von allgemeinerer Gültigkeit, Ausblicke in Mög¬
lichkeiten, die jeden Tag zwischen entsprechend gearteten Wesenheiten sich er¬
füllen können.
Hierin, in dieser reifen Fernsicht, die das Sonderliche unbeirrt und unver¬
wirrt in den Zusammenhang und in die Gebundenheit des Typischen ein¬
ordnet, möchte ich die geistige Bedeutung dieser Rovellen sehen. Und ihre
künstlerische darin, daß sie dies Verkündigende nicht absichtsvoll mit Redner¬
gebärde und Sprechergewicht zur Schau tragen, sondern scheinbar nur gut
und fesselnd erzählen wollen. Wer aber hellhörig zugehört hat, weiß dann
nicht nur was diesen Arzten, Dichtern, Kaufleuten, lebendigen und toten Ver¬
liebten begegnet ist, er weiß vor allem mehr von sich selbst.
Solche Bereicherung bringt auch die sichere und unerschrockene Aussprache
des Buches eines jungen Elsässers, Okto Flakes „Schritt für Schriet“. Von
ler, Masken und Wunder. Berlin, S. Fischer, Verlag.
Trihir Sauii

1320