V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 50

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Nund
5. Masken und
der Lust und Unlust der Körper wird hier gehandelt, und das Hauptexperi¬
mentier=Objekt ist ein erfahrener Mann und eine Novize.
Ein scharfer Denker, gestützt durch Takt und Gerechtigkeit, unternimme
die heikle Aufgabe, das Erotische bei den Sinnen und Nerven beginnen zu
lassen und die Gemüts= und Gefühlsvorgänge als sekundäre Folgen zu
betrachten.
Ihn interessiert der „Kontakt zweier Epidermis“ als Steigerungsfaktor
für Wesenserfahrung und Lebensstärkung und er behandele alle die Fragen, die
wohl im vertrautem Gespräch, aber seltener in Büchern — Frank Wedekinds
Rabbi Esra ist eins der wenigen Beispiele — erörtert wurden.
Jene Fragen, warum Menschen, die eine Sehnsucht zueinander hatten,
in der letzten Vereinigung keine Erfüllung fanden, warum eine Liebesnacht,
bei der ein Mann seine äußersten Kräfte hingegeben, am Lendemain statt
der Schwächung ein groß eratmendes Freudigkeitsgefühl bringt, während
eine Vereinigungsstunde ohne Vergeudung Abspannung und Depression
bewirken kann. Von den großen Erlösungen und den kleinen mäßigen Er¬
leichterungen wird gesprochen, und davon, wie der gleiche, in seiner auch bei
wechselnden Techniken immer gleiche äußere Vorgang so verschiedene innere
Reaktionen hervorzurufen vermag. Und die Erkennenis, die die Frauen
eigentlich nicht erfahren dürften, wird verraten, daß die Fähigkeits= und
Befriedigungsmöglichkeiten des Mannes durchaus von dem Grad des
erregungschaffenden weiblichen Fluidums abhängig sind.
Demonstrierend wird das dargelegt durch Situarionen und durch die
Aprés=Reflexionen. Und dazu bildet sich Flake als geeigneten Träger seiner
Handlung einen sinnlichen, durch ein starkes, erotisches Erlebnis verwöhnten
Mann, der aber zugleich ein bohrender die Dinge zerdenkender Analytiker
ist. Und ihn verwickelt er in die Beziehung zu einem noch uneroberten
Mädchen. Das werden nun Versuche und Hindernisse, und die Schwierig¬
keit und das Poblem beginnt eigentlich erst — darin liegt ein kluges
Wissen — als das Mädchen sich ihm, aus Angst, ihn zu verlieren, hingibt.
Sie wird nicht erweckt, sie geht nicht schrankenlos auf. Zuviel Scheu und
Eingewickelheit umhemmt sie, ihr fehlt in dem Duekt alles Anfeuernde
und Beflügelnde, und der Erfolg ist Enttäuschung.
Da der Mann kein Abenteurer und Bummler des Vergnügens ist,
sondern auch seinen Genuß ernst nimmt, plagt ihn das Pflichtgefühl und
der Ehrgeiz seine Mission ganz zu vollenden; in seiner monologischen Proze߬
führung der Sache muß er sich sagen, daß die Tastende mit dem Erfahrenen
und seinen unausgesprochenen Forderungen nicht Schritt halten kann und daß
Geduld sich vielleicht belohnt. Und nun werden die wechselnden Kurven dieses
merkwürdigen, erorisch=pädagogischen Verhältnisses verzeichnet, in dem die
Sinne des Mannes sich langweilen, von dem aber sein Gehirn nicht loskommt.
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