V, Textsammlungen 5, Masken und Wunder. Novellen, Seite 51

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5. Masken und
Ler
Schließlich senkt sich die Kurve zu einem solchen Überdrußniveau, daß
man stumm und peinlich auseinandergeht. Den Mann schleppt der Führer
der Begebnisse in das „wilde Leben“ und beweist dabei, wie das, was der
Bürger „Ausschweifung“ nennt, dem Nerven= und Phantasiemenschen
durch die bunte Fülle und die Begabung der Partnerin, nach vegekarisch
frugaler Zeit für eine Weile Erfrischung und Erquickung sein kann. Flake
bleibt aber dabei nicht stehen. Das überwiegend Denkerische seiner Anlage
zwingt ihn die vielen interessanten Epigramme zur Psychophysik der Liebe,
die im Grunde den Roman bilden, entwicklungsmäßig zu ründen. Und so
erzeugt er durch konstruktive Weichenstellung eine Sinnesumwandlung in dem
Mann, so daß er auf weiter Reise das Bild der Verlassenen wiedererwachen
fühlt, und, bestärkt durch die Schwester, sich mit ihr verlobt, um in einer
neuen bindenden Gemeinsamkeit, wirksam lebenstätig zueinander zu reifen.
Man versteht wohl den Willen des Verfassers, der seine Geschöpfe
„von der Übertreibung der Wichtigkeit des eigenen Schicksals“ zum
Allgemeinen führen will und ihnen als Mittel, das Leben sich klar zu
machen, vorschreibt, „sich nicht unaufhörlich mit sich selbst zu beschäftigen“.
Aber zwingend ist die Beweisführung nicht, und an die Rückkehr Ralphs
zu Ilse vermögen gerade die, die für die erste Hälfte des Buches die besten
Leser waren, am wenigsten zu glauben, denn sie wissen, und Flake selbst
weiß es gewiß auch, daß, so unvergeßbar uns die Frau bleibt, die in unseren
Sinnen und unserem Blut gesungen, ebenso fremd und fatal uns die Er¬
innerung an die ist, aus der wir nicht das letzte Feuer hinreißend und hinge¬
rissen herausschlugen.
Doch vieles bleibt uns trotzdem an diesem Buch der Menschlichkeiten, zu
dem man sich bekennt und in dem man sich begegnet. Diese Auffassung von
der Erregung als der beschwingenden Erhöhung über der Täglichkeit, oder
wie es der Bildhauer ungeschminkt ausspricht: „ein großer Künstler braucht
mit seinen Liebschaften nicht mehr als ein Schwein zu sein, und doch ist
alles nichts als ein Zweck um stärker zu fühlen und alles ist gut, wenn das
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wüste Leben die Kraft nicht bricht, sondern steigert.“
Und dann der Wunsch nach der heiteren Unbesangenheit sinnlichen Zu¬
sammenklangs, in dem jeder Partner dem anderen freudig und freiwillig
dient zu gegenseitiger Beglückung, ohne belastend die Schwerfälligkeiten
des gegenseitigen Lebens einander aufzuhalsen, jene Auffassung der Liebe als
einer Isola bella neben dem Leben, die der Frau mit ihrem Wunsch nach Tei¬
lung, nach dem Legitimen, nach der offiziellen Zweisamkeit immer als eine
Art Entsagung erscheint, und die doch gerade durch das Losgelöste von dem
Täglichen und Häuslichen, eine längere Illusionierungskraft verbürgt.
Nicht das alte Wikinger=Ideal des Frauenraubs und der Überrumpelung
regiert hier, sondern das Bekennen zu einem weiteren menschlichen Frauen¬
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