V, Textsammlungen 2, Die griechische Tänzerin. Novellen, Seite 7

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Taenz
rin
2. Die gl echische
gememen Zeitung.
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wie er zu sagen beliebt, an den Kopf greift und fragt: Wie
ist es möglich, daß solches Geschreibsel gedruckt und einer
Bibliothek moderner deutscher Autoren einverleibt werden
kann, die durch Schnitzler so verheißungsvoll inauguriert
wurde? Womöglich noch peinlicher als die Lektüre der
„Nenne“ ist die des gewundenen und in endlosen Wieder¬
holungen sich ergehenden Monologs „Die Andere“, in dem
er sein Liebesleben mit dem Mikroskop betrachtet und unnach¬
sichtig zerfasert, sich in der Schilderung der Qualen der weibi¬
schen Liebe und der in der männlichen Liebe beschlossenen
Ruhe nicht genug tun kann. Zur Charakteristik Schlafs sei
nur ein Passus aus seiner ermüdenden Beichte hervorgehoben:
„In Torheit hatte ich geliebt. Sicher und gewiß in Torheit.
Nun ja: das alles muß also sein; dieses Sichsuchen, dieses
Tasten und Sich=erfühlen zweier dunkler Welten, dessen letzte
uns wahrste Mitteilungen nicht im gesprochenen Wort sind
und über jedes gesprochene Wort. Diese hundertfältigen Be¬
rührungen, diese Küsse und Umarmungen; ihre zehrende
Glut, ihr Sichgeben, Sichergießen; aber ach, vor allem ihr
Sichverstehenwollen! Ihr Spiel, ihr Tändeln, ihre Grausam¬
keiten; ihr steter unruhiger, wechselnder Rhythmus; ach, und
seine Eifersucht, sein Mißtrauen, seine Ermüdungen und
Ueberdrüsse: Bis? Bis es dann — der andere und die
andere ist; bis sie füreinander hervortreten in Klarheit und
Ruhe zum Ernst und zur Stete des Selbstbesitzes und der
Zeugungen.“ Es muß indes zu seiner Ehre gesagt werden,
daß er auf dem besten Wege zur Selbsterkenntnis zu sein
scheint; denn er gibt sich keiner Täuschung darüber hin, daß
der Gebrauch poetischer Symbole eine Fähigkeit voraussetzt,
die er nicht „vermag“. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß
er zuweilen tiefsinnig wird. Er muß eine mächtige Phantasie
besitzen, über eine gewaltige Ideenassoziation verfügen, wenn
ihn das festtägliche Treiben in einer der schönsten Verkehrs¬
adern des Berliner Westens, das ihn „mit dem Zwang irgend
einer heimlichen magnetischen Affinität in diesen gemeinsamen
Trance bringen“ will, zur Politeia Platons, im mindesten
aber zu der von Hegels Gnaden hinüberleitet, das glänzende
Saturnal im elegantesten Berliner Viertel ihn wie das „Zeit¬
alter des gerechtfertigten Hegelianismus“ anmutet.
Gern flüchten wir von Schlafs Seelenwühlerei zu Anton
v. Perfall, der in der kernigen, wahrhaft poetischen Er¬
zählung „Er lebt von seiner Frau“ die alle Bedenken über¬
flutende alles opfernde Liebe zweier Vollblutnaturen schil¬
dert, eine Liebe von der Art, wie sie der Held der Erzählung
mit kräftigen Accenten also zeichnet: „Sie schreitet nur zu
oft über Trümmer und Brandstätten, sie versengt alles mit
ihrer Glut, sie ist kein milder Genius, kein schalkhafter Knabe
mit Bogen und Pfeil, es ist ein Kampf, ein wilder Kampf,
die ganze Natur stöhnt und ächzt in ihm. Das ist in meinen
Augen keine Liebe, die Rücksichten kennt, erwägt im Kampfe
um die Geliebte.“ Eine solche Liebe altert nie, sie bleibt
ewig jung, nicht einmal ihr erster Blütenstaub verwischt sich
im rauhen Leben, und die Kinder einer solchen Liebe tragen
den Stempel ihrer Abkunft in ihrem rosigen Wesen. Wie
Königskinder ragen ssie empor über die Kinder der kalten
Pflicht mit dem matten Blick, dem matten Herzen. Jawohl,
er lebt von seiner Frau, er wird durch sie zur Arbeit geboren,
sie weckt ihn zu neuem Leben, entzündet in ihm den Glauben
an sich selbst, entfesselt in ihm die Wollust des Schaffens, sie
teilt ihm Geist von ihrem Geiste mit, daß es ihn „überkommt“
und er das Gleichnis von den feurigen Zungen des Pfingst¬
festes zu würdigen weiß. — In dem „Sprung im Glase“
entrollt uns Perfall ein erschütterndes Bild von den schreck¬
lichen Verheerungen, die der häßliche Aberglauben im Men¬
schenleben anrichtet, und er entpuppt sich als ein weiser, mit
den Verhältnissen rechnender, sich der kranken, verfinsterten
Seele anpassender Bekämpfer jenes unseligen Wahns.
Der neunte Band enthält Erzählungen von Siegfried
Trebitsch. Die Titelnovelle „Das verkaufte Lächeln“
leidet an manchen Unwahrscheinlichkeiten. Es ist schwer an¬
zunehmen, daß Amanda bei der Hochzeit ihres Vaters als
Kranzeljungfrau fungiert, daß die Schwester ihrer verstorbenen
Mutter aus der Stadt kommt, um der Vermählungsfeier des
Witvers beizuwohnen, und daß Amanda nach den seelischen
Mishandlungen, die sie im Hause der Tante erfuhr, sich still
ie Liebkosungen eines Fremden gefallen, sich von ihm auf
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Beilage zur Al
sein Lager tragen läßt und in langer, genießender Wonne
nimmt und gibt. Wir können es füglich begreifen, daß sie sich
in seine Stube flüchtet, wie ein kleiner bedrängter Vogel; wir
können uns jedoch mit dem Fremden nicht genug über ihre
von einer seltsamen Energie begleitete Hingabe wundern.
Es scheint auch sehr unwahrscheinlich, daß sie, die der Mutter¬
schaft Entgegengehende, nicht den Mut hat, dem Geliebten ihre
Lage zu schildern und ihn an seine verfluchte Pflicht und
Schuldigkeit zu mahnen, nachdem das Gespenst der Sorgesin
ihre kahle Kammer seinen Einzug gehalten hat. Es zeugt von
Feingefühl, daß sie, nachdem sie zur Lebewelt in Beziehungen
getreten, ihr Lächeln, das ihr einen reinen, wunderbaren
Zauber verleiht, keusch für sich behält, sich gelobt, es keinem
zu zeigen. Stimmungsvoll sagt der Verfasser: „Zu diesem
Gedanken flüchtete sie nun in ihrer Scham. Ein Talisman,
ein ängstlich bewachter, sollte es sein, der heimliche Nachweis,
daß sie sich hingab in freiwilliger Liebe, falls jemals wieder
eine solche Stunde für sie schlug. Sie fühlte, daß ihr Lächeln
schützend vor der Reinheit ihrer Seele stehen, daß es ihr
Leben, wohin immer es lief, entsühnen und heiligen konnte.
Daß es Flügel hatte und sie hoch emportragen konnte aus
allem Erdenschmutz. Es barg ihre liebsten Erinnerungen,
alle Unschuld ihrer bedrückten Kinderzeit, der toten Mutter
zärtliche Grüße, des Heimatwaldes trauliches Rauschen und
das kurze Glück ihrer ersten Liebe. Sie schwur sich zu, das
Auch in der zweiten Erzah
Lächeln nicht zu verkaufen.“ —
lung offenbart sich der sinnige Dichter, die Kraßheit des Vor¬
wurfes stößt uns jedoch ab.
Den Beschluß macht eine Frau, Hans v. Kahlen¬
berg, von deren Erzählungen uns „Kameraden“ am meisten
interessieren, weil sich in ihnen ein Problem birgt. Er und
sie sind Nachbarn und Kollegen, sie studieren Frauenkrank¬
heiten. Allmählich werden sie gute Kameraden. Obgleich
ihn Frauen verwirren und reizen, läßt sie ihn kühl bis ans
Herz hinan. Sie ist ein Neutrum für ihn, ein geschlechts¬
loses Wesen, und sie ist stolz darauf, daß sie kein Weib ist,
„keines von diesen niedrigen, elenden Geschöpfen, die nichts
können als die Sinne kitzeln und Kinder in die Welt setzen“.
Eines Tages trifft er bei Natalie ihre niedliche Cousine an,
und je öfter er ihr begegnet, desto mehr Aufmerksamkeit
schenkt er ihr. Natalie beobachtet dies mit Unbehagen und
macht ihm einmal eine Szene. Sie ruft dadurch sein Mi߬
fallen hervor. Sie mißfällt ihm überhaupt, ihre ganze Er¬
scheinung, die Nachlässigkeit in ihrem Anzug, ihrer Um¬
gebung, ihre burschikose Manier. Es nützt ihr auch nicht, daß
sie in ihrem Aeußeren Wandel schafft. Er fühlt sich immer
mehr zu Mariette hingezogen, das Verhältnis zwischen ihm
und Natalie wird immer gespannter, eine Szene löst die
andere ab, und er erklärt ihr endlich, daß er eine andere
Wohnung nehmen werde. Da sinkt sie zu seinen Füßen und
schreit auf: „Liebe mich! Liebe mich! Du sollst mich lieben
hörst du — mich!“ Er sieht, daß sie schön ist in ihrer
Leidenschaft, er fühlt ihre verzehrenden Küsse auf seinen
Händen, den rasenden Pulsschlag ihres Blutes; er sieht sie
aber auch wieder, wie er sie alle Tage gesehen hat, kalt,
häßlich, brutal, mit aufgestreiftem Aermel, das blutige
Seziermesser in der Hand, und er hört ihr zynisches Lachen
in Liebe! Was ist Liebe! Er schauert zusammen, stößt sie
von sich und geht zu seinem Schätzchen. Mariettens Lieb¬
kosungen machen ihn jedoch ungeduldig, er findet sie geziert,
läppisch, ihr Gesicht hat etwas Wachspuppenhaftes, Dummes.
Der Mann, der mit einem geistig regsamen und ernst streben¬
den Mädchen lange Zeit kameradschaftlich verkehrt hat, kann
eben an einem süßen Mädel kein Genüge finden. Er treibt
sich wie wahnsinnig bis in die späte Nacht in den Straßen
umher und schleicht sich endlich leise die Treppe hinauf bis an
Nataliens Tür. Er öffnet sie, findet aber nicht die Gesuchte,
sondern an ihrer Statt einen Zettel, auf dem die schicksals¬
schweren Worte zu lesen sind: „Ich wußte, daß du wieder¬
kommen würdest, wiederkommen mußt. Suche mich nicht.
Ich will nicht gefunden werden.“
Der „Buckeljean“ ist
geradezu greulich, ekelhaft.
Bernhard Münz.