V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 6

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3. Daenderseelen
Jedes Einschlages von irgend etwas, was geheimnis= bergen können, das ihn erfaßte, weil sie ja blind
voll erscheinen könnte, aber entbehrt „Das neue Lied“. geworden war. Und da hatte ihre Hand gebebt und sie
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hatte sie leise entfernt, und dann war sie hinausgegangen
Freilich ist das unter den fünf Geschichten der „Dämmer¬
und auf den Schrot gestiegen, der draußen um den Hof
seelen“ die, die ich am liebsten habe. Aber nicht darum,
Arthur Schnitzler.
lief, und war hinabgesprungen.
weil sie nichts enthält, was geheimnisvoll anmutet; denn
Mit einigen zarten Strichen zeichnet uns der Dichter,
warum sollte das Geheimnisvolle nicht genau so Gegen¬
Buch enhält auch zwei in der
nur in den Gedanken und Erinnerungsbildern der
erschienene Novellen.
stand der Kunst sein können, wie das, was völlig klar
andern, diese Ereignisse und die Empfindungen, die sich
vor uns liegt? Nein, sie ist mir darum die liebste, weil
Burckhard.
in des Mädchens Seele abgespielt hatten, abgespielt
ich sie eben für die schönste halte. Und sie führt uns zu¬
haben müssen, bis sich endlich auch der blasse Schimmer
t der Titel einer Sammlung
gleich eine Gestalt vor, an der wir, wie sie vor uns aus
von Glück, mit dem ihr still ergebener Sinn sich begnügt
den Wechselreden und Gedanken dreier Menschen empor¬
Blers, die eben erschienen ist.
hätte, als trügerisch erwies. In dieser Art des Aufbaues
wächst, so recht des Dichters eigenes Wachstum messen
Ich, das vereinigt, was einer
eines Charakters und einer ganzen Erzählung nur
können. Das ist die Volkssängerin Maria Ladenbauer,
gen heraus im Laufe von
aus spätern Reden und Empfindungen andrer Beteiligter
genannt die „weiße Amsel“.
ken noch geschrieben hat, be¬
zeigt sich uns Schnitzlers Formkunst in höchster Voll¬
gen. Nicht dem Dichter, der
Mit dem „süßen Mädel“ hat ja Schnitzler an¬
endung. Und wie versteht er überhaupt, mit einigen
ndet, das er um den Strauß
gefangen. Und für manche, die nicht sehen wollen und
Strichen Figuren zu zeichnen, daß sie, wie zum Greifen,
kr nun zusammenrafst. Auch
jedem Dichter gerne eine bestimmte Aufgabe andichten,
vor uns stehen.
fach an dem Schönen freut,
mit der sie ihn ein für allemal abgetan haben möchten,
Da ist zum Beispiel gleich Karls Vater, der alte
Phl aber dem klugen Rechen¬
sitzt er noch immer kosend bei dem „süßen Mädel“. Und
Breiteneder. Der sagt nur einmal, weil ihm die Geschichte
und nun auch en dem Titel,
die Marie hat ja auch als „süßes Mädel“ angefangen
mit der Marie nie ganz recht gewesen ist; „ich bin auch
t, eine eigene Geschichte haben
und war es noch, wie sie sich mit dem Karl Breiteneder
einmal jung gewesen, aber in den Familien von meinen
veil sie nicht am Anfang und
eingelassen hat und dann die zwei an schönen Sommertagen
Mädeln hab' ich doch nie verkehrt! Da hab' ich doch
igstens als gemeinsamer Saft
lachend Hand in Hand durch Wald und Wiesen gezogen
immer zu viel auf mich gehalten.“ Braucht der Mann
ngen herausrinnen soll. Ja,
sind. Und der erste war er ja auch nicht gewesen, der
mehr zu reden, als diese paar Worte?! Wenn einer ein
ister kann es geschehen, daß
Karl, denn da war schon einer gewesen, der früher ihr
Buch über ihn schriebe, dieser Wackere mit seiner behäbig
der einen Geschichte, die ihm
Liebhaber gewesen war, und zu dem sie dann zu Karls
aufgedunsenen Spießermoral könnte nicht deutlicher vor
er hat.
Zeiten immer „Sie" und „Herr“ gesagt hatte. Aber was
uns gebracht werden. Und fast ebenso plastisch steht der
ist aus diesem süßen Mädel“ geworden, als das Leid
eicht, daß man hören und
Bruder der Marie da, obwohl wir von ihm nur hören,
und
über sie kam! Als schwere Krankheit sie hinwarf —
hit seinem neuen Buche unter
daß er sich immer korrekt revanchiert, wenn man ihm
als sie dann erblindete. Und sich nun in den Tagen der
meine, wer die Linie vor
eine Zigarre gibt, und daß er, wenn er sich empfiehlt,
Trübsal der von ihr fern hielt, der mit ihr so viele
tziers Entwicklung sich bisher,
stets mit halb geschlossenen Augen sagt: „Leider, daß ich
Stunden des Grücks und der Freude verbracht hatte.
kann auf solch einen Ge¬
anderweitig versagt bin.“
Nicht aus Schlechtigkeit war er ausgeblieben. Ach
men. Bringen einen aber der
Und dann natürlich die zwei, die dem Dichter
nein. So sind wir Menschen ja gar nicht. Wir haben
samtiitel und der Inhalt der
helfen, das Garn seiner Erzählung spinnen, der alle
meist nur so ein weiches Herz, daß wir die fliehen
hlung darauf, so müßte er
Coupletdichter Rebay, der daran, daß die Marie blind
müssen, die ein schmerzliches Schicksal getroffen hat. Und
rch die Form irre werden, die
geworden ist, gar nichts gefunden hat, weil doch ihre
dann war der Tag gekommen, wo sie wieder in dem
eben hat. Das einemal spricht
Stimme nur noch schöner geworden ist, und er eine
kleinen Wirtshausgarten das Podium hatte besteigen und
daß dieser Ernst allein fast
gekannt hat, die blind gewesen ist und Zwillinge gekriegt
ihre Lieder hatte singen können. Und eines, das von
da der Erzähler nicht einen
hat, und der sich jetzt immer entschuldigt, daß er für
ihrer Erblindung handelte, das war eigens für sie
r zuät und auch dort, wo er
das Ganze nichts kann — und der närrische Jedek. der
„gedichtet“ worden. Zuerst hatte sie wir einstens gesungen:
kurrile Züge mischt, nicht durch
sich gar nicht entschuldigt, der aber, weil die Marie,
„Heut' geh' ich mit mein' Schatz aufs Land“ und dann
die schaurige Starrheit seiner
während sie krank war, so oft nach dem Karl gesragt
war das „neue Lied“ gekommen, worin sie klagt, daß
o in der „Weissagung“. Das
hat, ihr bei ihrem Wiederauftreten ganz unbefangen
Glück und Liebe ihr jetzt so fern sind. Und ihren Schatz,
lichter ganz offenbar der Schalk
gesagt hat „Der Herr Breiteneder ist da, hinten bei der
den Karl, hatte ein Zufall auch unter die Zuhörer
Miene jener macht, desto heller
Latern' ist er gestanden und hat sich großartig unter¬
gebracht, und danach, da waren sie alle beisammen¬
und uns mit ihm. Mögen
halten.“
gesessen, wie einst, und wenn sie jetzt auch zu ihm „Sie“
vom ersten Augenblicke an ge¬
Was die Werke Schnitzlers aus den letzten Jahren,
und „Herr“ gesagt hatte, so hatte sie doch wie sie so
Thameyers letztem Brief“, oder
am meisten vielleicht sein „Zwischenspiel“, auszeichnet, die
neben ihm saß, einmal leicht seine Hand berührt und
dem Dichter emporsteigen
und dem „Schicksal des gestreichelt, und er, er hätte ihr so gern etwas Liebes und Kunst, mit der er ein ganzes Werk auf einer einheitlichen
Teöstendes gesagt, aber er hatte das Grauen nicht ver= Stimmung aufzubguen und die einmal angeschlagene
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