V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 11

3. Daehnerseelen
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zumal, der vor 150 Jahren von den Verirrungen des
Herzens und des Geistes und von seltsamen Sofas sprach
und dessen Namen leider kein Heldenbuch nennt. Vor
diesem Crébillon, dem ich übrigens nur nachsagen kann,
daß er ein ganz außergewöhnlicher Menschen= und ins¬
besondere Frauenkenner war und daß ohne ihn Herr
Schnitzler gewissermaßen nicht existieren würde, hat
unser Dichter eins voraus: Gemüt. Auch er erzählt
etwa in derselben ansprechenden, graziösen, reifen Weise,
auch etwas unlprisch, ein wenig trocken. Aber Wiener
Blut pulsiert hier, Wiener Duft liegt auf diesen Seiten.
Sicher ist Schnitzler der markanteste und zugleich für
die Leute draußen im Reich und überall bedeutsamste,
der universalste Wiener Schriftsteller. Hugo von Hof¬
mannsthal und Peter Altenberg sind zu „literarisch“
zu wenig elastisch, um mit ihm rivalisieren zu können.
Hier aber ist vornehme Kunst für ein größeres Publi¬
kum. Ich glaube nicht, daß Wien auf die Dauer
in puncto Litere ur und Theater hinter Berlin zurück¬
stehen wird; doch chließlich sind vorläufig Schnitzler,
Hofmannsthal. Altenberg die einzigen in Betracht
Kommenden. Obwohl Wien mehr Stil, mehr Kultur
und Urbanität hat .
Dieser gute und glücklicherweise viel gelesene Schrift¬
steller, voll Geist, Heiterkeit und nicht ohne tiefere Be¬
deutung, hat kürzlich eine neue Novellensammlung ver¬
öffentlicht. Drei Novellen, die mit großer Meisterschaft
gearbeitet sind, zwei von noch immer zureichender Güte.
„Dämmerseelen“ sagt Arthur Schnitzler. Der
Verlag S. Fischer gibt an, dies wären Variationen über
Themen aus Edgar Poes Gedankenwelt. Man dankt
für den Hinweis und meint: immerhin nur eine Er¬
zählung ist damit sehr treffend „eingeschachtelt". Unter
die schwarzen Märchen, die von wundersamen Fügungen
künden. Nicht allzu peinigend, nicht allzu heftig, nicht
à la E. T. A. Hoffmann, Poe oder Andrejew, was das
Zerren an den Nervensträngen anbetrifft. Aber mit
#An.nd virttes bol fla. #. a#...

romantische Weise eingefühlt . .. (Einer, der eben
spielend alles bewältigt ..
Dann erinnert man sich der ersten der Erzählungen,
die für den Autor bezeichnender ist. Sie handelt von
des Freiherrn von Leisenbohg Glück und Ende. Da war
graziöse Frivolität von gesunder, heller, plaudernder
Art; Humor — und Psychologie, die nicht eben auf das
Individuellste einging. Nicht jähes Aufschäumen des
Blutes, Sehnsucht und Enthusiasmus und wehmütiges
Verlangen, wie in den kleinen Skizzen der Jungen. Bos¬
haft, — was man so nennt. Humor und objektivierende
Ironie sind hier aufs engste verbunden. Lumpig ist diese
Sängerin, die ihre Liebhaber wie Handschuhe wechselt
und einem fürsorglichen, aber wohl nicht allzumännischen
Herrn, sich nur einmal hingibt, um den Flich ihres ver¬
storbenen Galans auf ihn hinzulenken und dadurch von
ihrem neuen Verehrer abzuwehren; — abergläubisch, wie
solche Damen nicht selten sind. Nicht minder lumpig die
beiden hinschmelzenden Herren. Immerhin, — der Stoff
ist nicht eben neu. Die miserablen Leutchen sind prächtig
gezeichnet, die Natur ist wieder einmal im Nachtkleide
belauscht. Die Sängerin Kläre Hell, une énigure, eine
saragonnas narypa von bekanntem Genre; Her von
Leisenbohg, der zahlt und wartet, wartet und zahlt,
schließlich sein Ziel erreicht, um sich doch an der Nise ge¬
führt zu sehen, und darüber in der allerdrolligsten eise
von der Welt stirbt; der kraftstrotzende nordische Sänger
Sigurd Oelse, der Nachfolger und lachende Erbe aller
der anderen Herren in der Gunst jener Dame, und nicht
zuletzt das kleine Wiener Mädel aus dem Volke, das sich
in sämtliche Liebhaber ihrer Protektorin regelmäßig,
kindisch und unglücklich verliebt ....
Der Mann, der dieses Schicksal nun in Worte ge¬
kleidet, ist eben kein Schwerflüssiger und allerdings auch
kein Umstürzler, — klug, feinfühlig, elegant, skeptisch.
Ein Spaziergänger von hoher Kultur und feinstem Takt.
Letztere Eigenschaft soll insbesondere nicht unterschätzt
werden. Da ist etwa die zweite Novelle, die — wie schon
bemerkt — im Zeichen Edgar Poes steht. „Weissagung“
heißt sie, und man ahnt, wie sehr die Probleme des Un¬
klaren und Ungelösten, der rätselhaften Mächte und
Kräfte, ein Dichterherz bannen können. Allerdings wohl
eher ursprüngliche Naturen, Dämmerseelen, Grübler, als
Künstler von hoher Kultur, die Schnitzler gleichen. Oder
ist hier eine Ergänzung zu seiner Weise zu suchen? Takt¬
voll und fein ist es jedenfalls, daß der Verfasser sich in
einem Nachwort lediglich als Herausgeber der Erzäh¬
lung in der Schicksalsdichter — und Geistersehermanier
gibt. Das steht ihm besser zu Gesicht.
Ergötzliche Reminiszenzen an Voltaires „Pucelle“
ruft „Die Fremde“ wach. Es ist eine junge Dame, die
ihrem Gatten, einem modernen (ibsenisch geschulten)
k. k. Staatsbeamten auf und davon geht, nachdem ihr
rätselhußtes Wesen im Verlauf einer relativ kurzen Ehe #¬