V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 16

26 April 1907.
Daemnerseelen box 35/7
bildete Konversation führte, studierte ich die reizvollen
Nuancen, die der stets wechselnde Ausdruck ihrer
Augensterne dem süßen, mädchenhaften Gesichtchen
verliehen.
Da kam mir plötzlich der Gedanke: wie? wenn du
jetzt in Augen, deren strahlender Glanz auf einmal er¬
loschen wäre, schauen müßtest?
Ein kaltes Frösteln überlief mich bei diesem Ge¬
danken und ich konnte den begonnenen Satz der Kon¬
versation nicht zu Ende führen: mitten im blühenden
Frühling hatte ich von kalten, freudelosen Eisgefilden
geträumt.
Ich hatte die poetischerheit der Schnitzlerschen
Novelle — erlebt. ——
2. Andreas Thameyers letzter Brief.
Andreas Thameyer, der Held der Novelle, hat ein
merkwürdiges Schicksal erlebt. Er hat eine Frau,
die ihm, dem österreichischen Sparkassenbeamten, ein
Negerkind geboren hat. So etwas ist nicht nur
wenn sich, wie
äußerst merkwürdig, sondern auch ¬
im Falle Thameyers, in der kritischen Zeit eine Neger¬
bande in der Stadt aufgehalten hat — äußerst pein¬
lich, ja blamabel.
Also, der gute Andreas Thameyer hat allen Grund,
verzweifelt zu sein.
Das allerschlimmste aber bei dieser an und für sich
schon genug schlimmen Geschichte ist dies, daß Andreas
von der ehelichen Treue seiner Gattin felsenfest über¬
zeugt ist.
Eigentlich hat er auch alle Ursache, dieser Ueber¬
zeugung zu sein. Sieben Jahre vor seiner Verheira¬

tung hat er seine Frau schon gekannt. Während dieser
langen Zeit hat das schöne Aennchen — so heißt seine
tler: Dämmerseeken.
zwei gute Partien, einen Kommissär mit
Arthu
Frau

Pnren e)
1800 Gulden Gehalt, und einen sehr schönen, jungen
Kandidaten der Medizin, ausgeschlagen. Denn sie
der
Es weht ein pessimistisch=satalistischer Hauch
liebte ihren Andreas und wartete geduldig, bis er
en fünf Novellen, die Arthur Schnitzler unter dem
eine, wenn auch nur bescheidene Anstellung gefunden
Gesamttitel „Dämmerseelen“ in dem bekannten S.
hatte. Und nun ist er vier Jahre mit seinem Aennchen
Fischerschen Berliner Verlag erscheinen lassen hat.
verheiratet; nie hat sie mit ihm gezankt, stets ist sie
Die Menschen, die uns Schnitzler in diesen Novellen
ihm die liebevoliste Gattin gewesen. Und jetzt — die
vorführt, tragen sämtlich einen pathologischen Zug an
Geburt dieses Negerkindes!
ich; ihr Seelenleben befindet sich in einem Dämmer¬
Ja, wie ist das alles nur gekommen, wie ist's über¬
zustande; sie haben nicht die Kraft, sich ihr Schicksal
haupt nur möglich?
elber zu machen, und so geraten sie unter die Speichen
Der unglückliche „Vater“ dieses Negerkindes, den
des unbarmherzigen Schicksalrades.
der Spott und Hohn der Leute aus dem Leben treibt,
Für jeden, der sich gern mit psychologischen Pro¬
erzählt in seinem Briefe, den er vor seinem Selbst¬
blemen beschäftigt, sind die Schnitzlerschen Novellen
morde schreibt, folgendes darüber:
eine ebenso anregende, wie interessante Lektüre.
Als er wegen einer schweren Erkrankung seines
Greifen wir aus den Novellen einige heraus, um
Vaters drei Tage lang auswärts war, ging schön
dem Leser eine klare Vorstellung dessen, was Schnitzler
Aennchen mit ihrer Schwester Fritzi eines schönen
hier bietet, zu geben.
Abends in das bei der Stadt vorübergehend hausonde
1. „Das neue Lied“
Negerlager.
Ein junger Mann, Namens Karl von Breiteneder,
Die Schwester Fritzi war auf einmal von der Seite
dem seine Verhältnisse das Poussieren gestatten, hat
Annas verschwunden. Wie sich später herausstellte,
eine Poussade mit einer niedlichen kleinen Sängerin.
hatte dieses Verschwinden Fritzis eine „galante“ Um
Das schöne Mariechen — so heißt diese Sungerin¬
sache. Fritzi hatte sich nämlich ganz in der Stille
hat zwar trotz ihrer Jugend schon so manche Erfah¬
mit einem bekannten Lebemann zu einem traulichen
rung in der Liebe gesammelt, aber das hindert sie
Stelldichein „verkrümelt“, Zwei Stunden lang war¬
nicht, ihren Karl treu und mit Hingebung zu lieben.
tete schön Aennchen bei den Negern, vor denen sie,
Karl fühlt sich bei dieser Liebelei ganz zufrieden
wie sie später ihrem Manne erzählte, ein unheim¬
und glücklich: und genießt sein hingebungsvolles Ma¬
liches Grauen empfand, auf ihre spurlos verschwun¬
riechen mit Behagen und Verständnis.
dene Schwester. Schließlich ging sie ohne ihre Schwe¬
Da kommt eine schwere Erkrankung der Sängerin
ster nach Hause.
dazwischen. Marie, die lange zwischen Tod und Leben
Soweit wäre alles ja ganz gut und harmlos ge¬
schwebt, wird zwar gesund, aber is infolge ihrer Krank¬
wesen, wenn Aennchen sicht nun nach vierjähriger
heit erblindet.
kinderloser Ehe auf Grun. ihres einmaligen Besuches
Wenn Karl nun ein Liebhaber, wie er in den
des Negerlagers ihrem überraschten Gatten das omi¬
Marlittschen Romanen vorkommt, wäre, so hätte er
nöse Negerkindchen geboren hätte.
das unglückliche Mariechen durch verdoppelte Liebe
Wie schon gesagt, der brave Andreas Thameyer
trösten müssen. Doch Karl ist kein solcher Liebhaber.
ließ sich durch dies merkwürdige Naturspiel keines¬
Vielmehr ist ihm das körperliche Gebrechen seiner Ge¬
wegs an der ehelichen Treue seines Aennchens irre
liebten so peinlich, daß er sich nicht entschließen kann,
machen. Aber die böse Welt, die ja bekanntlich dem
sie aufzusuchen. Daher kommt ihm das Ersuchen seines
Wunderglauben wenig zugänglich ist, zischelte und
Vaters, sich auf eine Geschäftsreise zu begeben, sehr
tuschelte sich sehr realistische Erklärungen über dies
gelegen.
angebliche Naturspiel in die Ohren. Selbst die eigene
Da nun aber in dieser besten aller Welten nichts
Mutter Thameyers hatte ihrem Sohne, als sie die
ewig währt, so muß naturgemäß auch eine Geschäfts¬
schwarze Bescherung in der Wiege liegen sah, verständ¬
reise mal ein Ende haben. Als Karl von seiner
nisinnig und in stillem Mitleid die Hand gedrückt,
Geschäftsreise zurückgekehrt ist, zieht es ihn doch mit
Der arme Thameyer, der die Geburt des Neger¬
magischer Gewalt in das Musikrestaurant, in dem das
kindes auf das sogenannte „Versehen der schwangeren
nun erblindete Mariechen ihre Sangeskunst ausübt.
Frauen“ zurückführt, hat sich zur Stärkung des Glau¬
Aber er bittet den Kapellmeister, der blinden Sän¬
bens an seine Frau sehr intensiv mit der Fachliteratur
gerin nichts von seiner Anwesenheit zu sagen.
über dies „Versehen“, beschäftigt.
Mariechen tritt auf, und singt das neue Lied, das
In seinem letzten Briefe teilt er zur Rechtfertigung
der Kapellmeister extra für die Erblindete gedichtet
der ehelichen Treue seiner Frau mehrere Fälle solcher
und in Musik gesetzt hat:
„Wie wunderschön war es doch früher auf der
merkwürdiger Geburten mit.
Welt, — Wo die Sonn' mir hat g'schienen auf Wald
Hören wir also und — staunen:
Wo i Sonntag mit mein' Schatz
und auf Feld,
.. Die Geschichte, die mir am wichtigsten erscheint
spaziert bin aufs Land — Und er hat mich aus Lieb'
und an der zu zweifeln kein vernünftiger Anlaß
Jetzt geht mir die
nur geführt bei der Hand.
vorliegt, wird von Heliodor in den „Libri aethiopi¬
d das Glück
Sonn' nimmer auf und die Stern', —
corum“ berichtet. Diesem geschätzten Autor nach hat
O Gott, wie
und die Liebe, die sind mir so fern!
die Königin Persina nach zehnjähriger kinderloser Ehe
bitter ist mir das gescheh'n, — daß ich nimmer soll
ihrem Gatten, dem Aethioperkönig Hydaspes, eine
den Frühling seh'n...
weiße Tochter geboren, die sie aus Angst vor dem
Der seelenvolle, schwermütige Vortrag des Liedes
macht auf Karl einen großen Eindruck; aber trotzdem voraussichtlichen Zorn ihres Gemahls gleich nach der
en Gürte