V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 18

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3. Daennerseelen
Telephon 12801.
MeregrkterSm
O l. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschaitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
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D in Berlin, Budapest, Chicage, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohue Genauf.)
*
Ausschnitt aus;
29 AP
Heutsche Tageszeilang, Berim
E vom:
Dämmerseelen. Novellen von Arthur Schnitzler. (S. Fischers
Verlag, Berlin.)
Merkwürdige Geschichten — „in Callots Manier“, hätte der
Gespenster=Hoffmann gesagt, und in E. Th. A. Hoffmanns Ma¬
nier, würde ich sagen, wenn Schnitzler nicht die Gabe fehlte,
Schauer des Unheimlichen auszulösen. Er fabuliert spukhaft
drauf los: von dem Mann, der eine schöne, sonst sehr entgegen¬
kommende Schauspielerin lange Zeit unglücklich liebt. Sie er¬
lhört ihn endlich — aber nur, weil ihr prophezeit worden ist,
daß der Fünfte, dem sie ihre Gunst schenken würde, sterben müsse,
uund weil sie nicht will, daß ein gewisser verehrter Sänger
sdieser bedauernswerte Fünfte sei. Freiherr v. Leisenbogh kommt,
denn auch richtig um, und Kläre kann nun dem Sänger, der
jetzt der sechste ist, eine Zeitlang ewig treu sein. Aehnlich
spielerisch ist „die Weissagung“ erdacht. Jemandem wird pro¬
phezeit, daß er an einem bestimmten Tag und unter bestimm¬
ten Umständen sterben müsse. Er tut alles, die Weissagung
Lügen zu strafen, und am Ende stolpert er gerade dadurch in
das angesagte Verderben hinein. „Was aber unter allem diesem:
Unbegreiflichen das Unbegreiflichste bleibt, ist der Umstand, daß
der Schullehrer, der damals seiner Perücke mit erhobenen Hän¬
den nachlief und im Walde verschwand, niemals wiedergesehen,
ja daß nicht einmal sein Leichnam aufgefunden wurde.“ Na ja.
Aber Gruseln macht das nicht. Diese Maske steht Schnitzler:
schlecht zu Gesichte. Achselzuckend sieht man zu, was für un¬
bändige, dabei nutzlose Mühe er sich gibt, und achselzuckend, un¬
interessiert legt man das Buch beiseite. Schade um manche feine
Stelle, die on kultivierter Erzählertechnik zeugt! Aber selten
hat das Werk eines Gewandten, das nicht mit dem Herzen ge¬
schrieben worden ist, so wenig zum Herzen gesprochen wie dies.
Und just Schnitzler ist bei seiner großen Geschicklichkeit bisher
immer im Stande gewesen, solches Manko zu verbergen. „
r. n.
*
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6
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2
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(Quellenangabe ohne Gewähr.)


= Ausschnitklaut Badische Lendes Zeitung
8
9a5
FE vom: 3-Mil 1907 Mannheim
Literatur.
Arthut Schnitzz=r,. Dämmerseelen. Novellen.
Verlag S. Fi###
Als eine kleine Episodenreihe in der Kunst, wie im
Leben Artur Schnitzlers, des vornehmen, stillen, gelassenen
Tichters, dürften diese Novellen anzusehen sein. Sie bedeuten
weder einen Fortschritt, noch einen Rückschritt in seinem
Schaffen, sondern vielverschlungene, dunkelumschattete Sei¬
tenwege, wie man sie in nachdenklichen, traumerfüllten Däuk¬
maestunden wandelt. Da geschieht es wohl, daß uns ein
spktsam gestalteter Baumstamm Leben zu gewinnen scheins
Laß uns eine fremde Vision ängstet, daß sich Erinnerungen
und Bilder geheimnisvoll mischen und daß Fernes und Un¬
wirkliches zu naher Wirklichkeit rwächst.
Unmerklich führen und verstricken die fünf hier zu einem
Buch von einheitlichem Grundton vereinigten Geschichten den
Leser in eine schwermütige Welt trüben Ahnens und bangen
Hellsehens, in eine Welt des Geheimnisvollen und Unbereches¬
baren, über die sich der melancholische Schatten der Ver¬
gänglichkeit ausbreitet. Schnitzler, der Arzt, kommt aus
dieser Welt, Schnitzler, der Wiener, hat mit weicher Em¬
pfänglichkeit alle ihre Schauden in sich aufgenommen undin
Schnitzler, der Künstler, gibt ihr dumpfes Grauen meisterlich
wieder.
Da ist der Freiherr von Leisenbohg, der sterben muß,
weil er eine Frau umarmt, ohne zu wissen, daß sein toter
Vorgänger den Ersten, der nach ihm die Frau in seinen
Armen halten würde, verflucht hat. Dann der Herr von
Umprecht, der genau zehn Jahre nach einer ihm gewordenen
Weissagung in der prophezeiten Weise endet. Schließlich
„die Fremde“, die ihren Mann gr ndlos verläßt, so daß er
zur Pistole des Selbstmörders greist, und die sich an einen
gleichgiltigen Unbekannten verschenkt. Der Stefan George¬
Kenner wird an „die Fremde“ in den Liedern von Traum
und Tod denken, von der es heißt, es war
„ihr Lächeln süß und herb
Gatten und Brüdern zum Verderb“.
Damit die wienerische Note nicht fehle, ergänzen die
Volkssängerin Maria Ladenbauer, die mit dem Verlust des
eugenlichts zugleich den Geliebten verliert und aus dem ##
Fenster springt, sowie der gute Herr Thameyer, der sich tötet,
weil sich seine Frau in einer seltsamen Stunde an einem
Tiergartenneger „versehen“ hat, so daß sie ein Kind zur
Welt bringt, das niemand außer ihm selbst für das Seine
halten will.
Eine dunkelschwere Woge von müdem Gram und hoff¬
nungsloser Sehnsucht: die steigt sowohl aus den halbtraurigen
als auch aus den ganz traurigen unter diesen Geschichten auf.
Gegen ihren kunstvollen Bau, wie gegen ihren tiefmenschlichen
Inhalt ist nichts einzuwenden, und doch legt man sie nicht
erlöst und befreit, sondern traurig und gedrückt aus der
Hand. Mit dem Wunsch, sie möchten nicht die letzten No¬
vellen Schnitzlers sein und ihr Ton möge nicht den Grundton
seiner nächsten Werke bilden, schließt man ernst und nach¬
denklich das feine Buch dieser fünf Erlebnisse.
Dr Wilhelm von Wymetal.
Wien.