V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 19


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Daemeien

Sae
Marokko die Person des Deutschen Kiners, einsetzt.
über die legitimen Rechte eines deutschen Fürstenha
und deutschen Bundesstaates ohne ernste Prüfung und
wägung einfach zur Tagesordnung übergeht, der das
Ra
Jeliueten.
Neue Novellen von Arthur Schnitzler.
Von Franz Servaes (Wien).
„Dämmerseelen“ nennt Schnitzler seinen neuen
Novellenband.*] Der Titel lag für ihn gleichsam in der
1-
Luft. Von jeher liebte er jene schwebenden Zustände der
Seele, die zwischen Hell und Dunkel schwanken und in deren
geheimnisvollem Zwielicht die Geschehnisse wundersam gau¬
keln. Die Grenzlinien sind verwischt. Was noch soeben wie
klares Bewußtsein erschien, versinkt gleich darauf ins Boden¬
lose, Unbewußte. Und wo wir in diesem Augenblick uns noch
leise ergriffen fühlen und vielleicht von einer aufsteigenden
Rührung beschleichen lassen, da wird uns gleich darauf ein
ironisches Lächeln durchbeben, in dessen kühlen Wellen die
weichere Regung spöttisch versinkt. Ungreifbar und wider¬
spruchsvoll ist alles, was Seele heißt. Chaotische Urtriebe
und feinste geistige Differenziertheit tanzen umeinander.
Irrlichter und Sonnenstrahlen glitzern über Sümpfen und
tiefen Meeren: ununterscheidbar. Wir dringen weiter vor,
und nur dichter noch umfängt uns das Schattenhaft=Unbe¬
stimmte. Wir sind in einem Lande der ewigen Dämmerung.
In diesen breiten Dämmertriften zündet nun der Dichter
Schnitzler kleine bunte Laternchen an und lockt un damit
hinaus. Will er die Dämmerung damit erhellen? Gewiß
nicht. Nur hinauslocken will er uns aus der eingebildeten
unverschämten Helle des Alltags in das linde heilige Dunkel
der Nacht. Wir, die wir so unsäglich klug sind und so
gräßlich viel sehen, sollen einmal wieder fühlen, wie blind
und töricht wir sind. Wie wir gerade uns selbst und unser
Nächstes nicht kennen. Wie wir kläglich und hilflos tappen,
gerade dort, wo unser aller gemeinsamer Mutterboden ist.
Wir können unser Liebstes morden und wissen es nicht.
Durch Lauheit; durch Unachtsamkeit; durch eine an sich ver¬
zeihliche Schwäche. Es kann sich etwas ereignet haben, daß
wir unseres Gefühles nicht mehr mächtig sind und einem
vielleicht sinnlosen Grauen unterliegen. Und ohne es zu
wissen und zu wollen, werden wir uns hart und herzlos
zeigen. Niemand kennt die dunklen Möglichkeiten, die in
ihm liegen. Wer sagt uns, daß wir gegebenen Falles wacher
und menschlicher sein werden, als jener junge Wiener, von
dem Schnitzler uns erzählt? Der brachte es nicht über sich,
zu dem ehemals geliebten Mädchen, als sie erblindet neben
ihm saß, ein freundliches Wort zu reden. Unwirsch und
qualvoll verstummte er und suchte sich im nervösen Geplapper
mit anderen zu betäuben. Was ging in ihm vor? War er
plötzlich ein anderer geworden? Oder kam erst jetzt der
wahre Mensch in ihm zum Vorschein, der ästhetische Schwäch¬
ling und Egoist? Ueberflüssig, zu fragen. Das Mädchen
fühlte nur die Lieblosigkeit. Und gerade die vermochte es
jetzt am allerwenigsten zu ertrogen. So ging es hin und
machte ein Ende. Man fand die Aermste im Hof, mit zer¬
schmettertem Schädel. Wahrscheinlich hatte sie getan, was
sie gar nicht gewollt hatte — so wenig als der Mann tat,
was er wollte. In beiden siegte ein jäher und dumpfer
Trieb. Und ihre Helle ging unter in brauender Dämmerung.
Auf derlei Dinge in uns sucht uns Schnitzler in diesen
Novellen leise hinzuführen. Er tut es ganz ohne Sentimen¬
talität, ein wenig mit der kühlen, gelassenen Sachlichkeit des
Arztes. Doch auch ein wenig mit jener etwas modischen Art
von ironisch=schadenfroher Weltweisheit, die aus dem
„Simplizissimus“ und dem Variété #erkommt, und die zur¬
zeit äußerst schick ist. Man erze“ wie ein Meusch stirbt,
*) Berlin, S. Fischer Verlag.
ich die braunschweigische Regierung
schieden sei, im Interen
und zum Wohle des Rer
ner Seite oder sonst irgendwie ge¬
Abg.
bin im Bundesrat nur das Organ
In der braunschweig
esamtheit, nicht das Organ für die
Aiterr verschiedenen Bundesregierungen. artigen Fragen, geht
Ke
SEERA

Der Arthur Schnitzle
d man findet darin eine geheime Komik. Schnitzler, dessen
zartesten Worten und
ües Dichten eine stete Auseinandersetzung mit der Ster¬
vensnotwendigkeit ist, konnte an dieser Nuance nicht gut sicherer Wirkung erzählt,
vorübergehen. Immerhin läßt sich probieren, wieviel Trost) mehr den wir vor zehn,
ten. Nicht mehr jener #
zihrefeckt. Wer lacht, der ist doch wohl am sichersten ge¬
Jüngling, der einst der
seitgegen Furcht und Verzweiflung. Oder nicht? Und wenn
erhören wollte, durchs h
sich auch bloß betäuben sollte, er wird doch wohl immer¬
pakete nachtrug und ihr
inskühler und gefaßter werden. Steckt nicht wirklich etwas
so naiv-verräterisch u
Possierliches darin, wie die Menschen dem Tod in die Arme
die feine gnädige Frau
laufen? Gerade wenn sie's am wenigsten erwarten, hat er
wenn sie weniger fein;
sie plötzlich erwischt — wenn sie es recht klug gemacht zu
haben glauben, um ihm zu entrinnen. So z. B. jener Herr
lassen dürfen, wie das
von Umprecht, der an einer grotesk-grausigen Weissagung
schuld. Solch einer ist de
lächelt vielleicht über de
laboriert, die ihm die Todesstunde mit all ihrem szenischen
mals, der seine anmuti
Zubehör in infamer Deutlichkeit visionär erhellt hat. Der
wußte. Er ist nicht meh
setzt sich nun gleichsam hin und spielt mit dem Tod eine ver¬
lerer und reiferer Künst
wegene Schachpartie. Er spielt brillant, doch je mehr er zu
zerdrückt er im lächelnd
entkommen glaubt, desto sicherer wird er matt gesetzt. Und
Wehmut — er ist heute
als er im letzten Augenblick, weil alles bloß ein blöder
reicher Puppenspieler, um
Theaterspuk sei, sich schon listig herausgewunden wähnt,
die geheimen Drähte list
springt der Meister mit der Hippe zu und holt sich lachend
peln und schweben. Und
die Beute.
erfüllen wir unser Schich
Als unheimliches Rechenkunststück à la Poe sucht diese
und weiß auch, daß er s#
Novelle ihresgleichen. Und doch wird sie vielleicht noch über¬
Drahte zappelt. Eine lei
troffen durch die „Geschichte des Herrn von Leisenbohg“
beschleichen. Doch so ball
gerade weil hier das Rechnerische nicht so deutlich hervortritt.
Regung dahin. Dann
Sie hat dadurch einen feineren und künstlerischeren Ton.
gelassene Sachlichkeit.
Auch spart sie ihre Schlußwirkung noch besser auf und er¬
es ein Vergnügen ist.
reicht ihren Effekt von grausiger Todeskomik mit einer ge¬
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wissen vornehmen Nonchalance, der sogar ein Zug von bie¬
dermeierlicher Gemütlichkeit nicht fehlt. Herr von Leisenbohg
ist ein Pechvogel, weit mehr als er selber weiß. Um ernst¬
Theate
lich unglücklich zu sein, ist er ein viel zu tadelloser und ge¬
O. F. Neues Theater
sichtsloser Kavalier. Sonst erträgt er sein Unglück mit
weiser Fassung, das Unglück, von der Operndiva Klara Hell, Plauen spielte als Gast
Sabinerinnen“. Ein
die längst ein Dutzend anderer erhört hat, zehn Jahre lang
verschmäht zu werden. Er bleibt ihr Freund und wartet. gehört. Herr Raabe ver
Seine Stunde wird schon kommen. Und wirklich eines Tages über ein paar Züge, die
ist sie da. Als alle Welt erwartet, daß die Diva den be¬ fügt über einen gewiss
Sinnes für eine witzige
rühmten Heldentenor aus Skandinavien erhören wird, da
dessen, „was ihm liegt“
bestellt sie rasch und heimlich Herrn von Leisenbohg zu sich
treten keine Momente h
in ihr Schlafgemach. Er glaubt nun endlich „arrivé!“ zu
sein und über alle anderen triumphiert zu haben — und ist Wunsch einer näheren
von der eigentlichen Beat
doch nur ein trauriger Platzhalter gewesen. Er ist nur so
Raabe noch die eigentlich
zwischendurch eingeschoben worden, um die peinlichen Wir¬
mäßigkeit und Routine,
kungen eines albernen Fluches von dem goldumlockten Schei¬
sei der Professor des H
tel des Heldentenors herunter- und auf sein erprobtes opfer¬
Ruhe und Echtheit ganz
und der Striese des He
williges Freundeshaupt zu übernehmen. Der letzte nämlich,
den Klara Hell geliebt hat — und diesmal mit seltener, ja
Klavier= und
rühmenswerter Ausdauer — dieser Letzte hat auf dem Todes=Landowska. Der Abend
der Internationa
bett mit dreimaligem „Wehe!“ einen erschreckenden Fluch ge¬
sprochen: des Inyaltes, daß, wer nach ihm der nachste sei, anstaltet worden war
Herrn Prof. Arthur
in die Hölle abzufahren habe. Soll nun etwa der gott¬
zu einem musikalischen
begnadete Tenorist —? Wozu ist denn Herr von Leisenbohg
in der Dat eine ganz vor
da?] Dumm vor Seligkeit geht er in die Falle. Doch was
musik, ist mit deren Gel
da geschieht, ahnt weder er noch der Leser. Erst als Herrn
traut, leistet auch in
von Leisenbohgs lieber guter Freund, der Tenorist, auf seiner
nistin Ausgezeichnetes.
Terrasse am Moldefjord in zauberisch=schöner Mondnacht
das Clavicembalo traktiel
ihm die Lage der Dinge schonend auseinandersetzt, erst da geht
lich, noch nie unter solche
der Vorhang vor uns beiden auf. Oder vielmehr er sinkt
die der ehrwürdigen
mit lautem Krach, wenigstens für den anderen von uns
Säkula sich vergnugten
beiden, den Herrn von Leisenboha. Korrekt und taktvoll,
dem Cembalo und dem
wie er sein Leben lang gewesen ist, sinkt er in den Stuhl und
Falle auch noch ein B
läßt sich von inem Herzschlag erwischen. Bei jedem au¬
weit sichs um Klangfüll
deren wäre# unwahrscheinlich und jedenfalls höchst be¬
möglich schwer fallen.
Aber bei Herrn von Leisenbohg ist es die
struktion den Sieg, und
dauerlich gew e.
ung eines Gentleman. Er besorgt das
schien, auf dem Cembal
einfache Pflich
#erem Anstand, daß nur ein ganz mini-] und dünnzitterig gegen
Sterben mit
1 2
die von der Künstler
maler Rest von V### darin bleibt.