V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 34

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3. Daennersbeien
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Der Spiegel.
nisse werden vorgetragen von einer Ge¬
Raum steigt, fliegt Erde mit, die ihn
lassenheit, die sie im Grunde nicht in¬
trägt, wie das Gewölk auf alten Bil¬
teressieren. Es fehlt die unterirdische
dern den gen Himmel fahrenden Jesus.
Vibration, die inwendige Resonanz.
Lamprecht sagt von Beethoven, er er¬
Schnitzler erscheint hier, letzten Endes,
wecke „das Wohlgefühl: diese Musik
als Amateur des Occultismus. Er er¬
werde nicht straucheln“. Diese roman¬
innert an jene Abbés des achtzehnten
tische Kunst aber ist beständig im Be¬
Jahrhunderts, die mit weltmännischer
griff zu straucheln; wie der Tastgang
Eleganz Wunder und Dogmen vortru¬
eines Blinden; von einer Blinden han¬
gen, die sie eigentlich gar nichts an¬
delt eine Erzählung dieses Bandes, und
gingen, behandelt diese geistlichen Din¬
Blinde sind für diese moderne Ro¬
ge mit einer heimlichen, artigen Iro¬
mantik überhaupt charakteristisch und
nie. Man denkt an Brentano: „Die
von ihr oft dargestellt worden: der
dummen Gänse glauben mir alles“; der
Blinde mit seinem verfeinerten Tastsinn
dumme Leser glaubt Schnitzler alles,
ist besonders fähig, Zwischenwerte und
wird aber von einem untersten Gefühl
entlegene Nüancen zu erspüren, er ist
der Unbefriedigung und Unruhe ge¬
in der Irdischkeit und zugleich vom
stört. Es ist die Eigenschaft roman¬
Dunkel umgeben, ausgesetzt in „das
tischer Kunst, und sie ist hier besonders
weite Reich der Weltennacht,“ das
deutlich zu erkennen, daß sie ein Ge¬
Land, das Tristan meint, — Tristan, die
fühl der Unsicherheit erzeugt, der Ge¬
Inkarnation der erdlosen, der Däm¬
fahr, zu fallen, des angstvollen Em¬
merseelen=Musik.
porgehobenseins in dem Raume. Dem
München.
Ernst Lissauer.
klassischen Dichter, wenn er in den
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S
Verantwortlich für Verlag und Redaktion: Dr. Lion Feuchtwanger, für den Inse¬
ratenteil: Leonhard Steinberg, beide in München.
Druck von der graph. Kunstanstalt Jos. C. Huber, Diessen vor München.