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in alle Pracht des Wälzers zu vertiefen.
Lichtenberg hat seine Anmerkung halb
ironisch gemeint, halb vorwurfsvoll, die
Deutschen tadelnd, da sie sich aus lang¬
lebiger Gewöhnung nicht entschliessen
können, die Form des knappen, fort¬
stürmenden Talentes gut zu finden. Aber
die Bcobachtung des klugen, in der
mathematischen Arbeit geschulten Man¬
nes enthält auch durchaus ernste Wahr¬
heit. Durch die Schnellposten wurden
die ewiglaufenden Romane der Empfind¬
samkeit gekürzt; durch die Eisenbahnen
im ersten Stadium der technischen Ent¬
wickelung wurde der verkürzte Roman
noch mehr geschmälert, und die Novelle
wurde die beliebteste Geschichtengattung.
Mit den D-Zügen, die blitzartig rasen,
wurde die Novelle auch schon unmodern,
die Skizze gewann eine nie geahnte Be¬
deutung. Sie wurde in einer raffinierten
Technik ausgebildet. Sie wurde von
den sublimsten Literaten im Gegensatz
zu vergangenen Dezennien gepflegt. Und
heute sind die Skizzenbände schon so
unzählbar, schon so sehr ein Arbeits¬
gebiet der alleswollenden, zahllosen
Dilettanten geworden, dass die Auswahl
aus dem Riesenhaufen eine strapaziöse,
durch unwirtliches Gestrüpp führende
Mühe ist. Aber eunges in Betracht
Konnnenderse; hervorgehoben, sei in sei¬
ner Art gekennzeichnet.
Oben Arthu Sch
Skizzenband erseibst nennt ihn Wavel¬
leu) erschien bei S. Fischer. Dämmer¬
geelen steht auf dem Deckel. Also ver¬
schattete Gemüter will er beschreiben,
ihnen Geheimnisvolles, das nicht
11
durchsichtig in der Sonne zum Antasten
daliegt. Nebenwegen des Gefühlslebens
will er nachgehen. Er kann es, indem
er aus seiner menschlich-ärztlichen Er¬
fahrung sich an Sonderfälle der Psycho¬
logie erinnert, indem er vielleicht auch
den abstrakten Abschnitt eines medli¬
zinischen Lehrbuches in die Sprache und
die Anschauungskraft des Poeten ver¬
setzt. Seine skizzierten Novellen, die
fast ganz auf das unbelebte Detail ver¬
zichten, es nur stricheln und nicht aus¬
malen, sind einfach Krankheitsbilder.
Aber Berichte von Patienten, deren Puls
nicht bloss gehört, sondern deren Denken
belauscht wurde. Da nimmt zum Bei¬
spiel Schnitzler eine Maske. Er lässt
seinen Andreas Thomeyer selber reden.
Der schreibt einen Brief, in dem er dar¬
legt, dass er in den Tod gehe, um durch
sein freiwilliges Hinscheiden die makel¬
lose Treue der Gattin zu beweisen. Die
RUNDSCHAU: KUNST: DICHTKUNST
Gattin hat nämlich ein schwarzes
Knäblein auf die Welt gebracht. Es kann
der Verdacht entstehen, sie habe im
Ehebruch mit einem Neger den Kna¬
ben empfangen. Gegen diese Schnöd¬
heit will Thomeyer, ein korrekter, bis
—
aufs i- lipfelchen genauer Beamter, sein
geliebtes Weib schützen. Und er setzt
sich hin, studiert die gynäkologischen
Lehrbücher und bezeugt durch klipp¬¬
klare Wissenschaftlichkeit, dass seine
Gattin sich nur versehen, ihn niemals
betrogen hat. Der Dichter gibt dem
Leser die Handhabe, seine Schreibart zu
erkennen. Er ist schon so gereift.
dass er kühl und mächtig den höchsten
Leidenschaften entgegensteht. Er hat
die Lehrbücher wohl selbst durchstu¬
diert, die sein Thomeyer nennt, und er
verknüpft die Daten nicht mit meta¬
physischer Phantasie, sondern mit rea¬
listischer. Er will kein Zeitbild geben.
sondern ein Personenbild, eine Sil¬
houette. Er darf keine breiten Farben
und Worte gebrauchen, er sucht nach
den klitzerkleinen, zarten Ausdrücken,
nach Rosenworten mit halbstumpfen
Stacheln einer sachten Tronie.
Diese Kunst ist schwierig. Sie ist vor
allen Dingen nicht ausgiebig, weil sie
vom Autor verlangt, dass er seine win¬
7“
zigen Arbeiten sorgfaltig und enthaltsam
mt sich in Gedanken t#ge, ehe er
sie vollendet. Darum können die Skizzen
nur von sehr Begabten oder von Un¬
begabten, Flüchtigen, geschrieben wer¬
den. Sie brauchen teilweise die Kon¬
zentration des lyrischen Gedichtes, und
wenn an Stelle solcher Sammlung die
Wucht des Verblüffens, an Stelle der
spielend harmonischen Kunst die nur
schimmernde und scheinende Feuerwerks¬
kunst des Situationswitzes, des Kalauers
mit tragischer oder komischer Pointe
gesetzt wird, dann kann die Skizze sehr
bald ein mangelhaft Gebilde sein. Sie
ist von solcher Qualität bei Schnitzlers
Landsmann Raoul Auernheimer
der seinen Band nach dem ersten Ge¬
schichtlein Die ängstliche Dodo genannt
hat /Berlin, Fleischel). Auernheimer ist
ganz zum Spotten aufgelegt und möchte
ahnen lassen, dass hinter seiner Resig¬
nation, seinem Hohnlächeln, hinter sei¬
nem nicht bissigen Knurren tieferer Sinn“#
liege, Weisheit in Erfahrung gesammelt,
Abgeklärtheit durch Leiden vielleicht.
Vielleicht. Denn dieser Schriftsteller ist
eines jener Talente, die nicht aus dem
Boden wachsen, sondern aus dem Lite¬
raturbetriebe. Ein sehr geschickter Mit-)
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in alle Pracht des Wälzers zu vertiefen.
Lichtenberg hat seine Anmerkung halb
ironisch gemeint, halb vorwurfsvoll, die
Deutschen tadelnd, da sie sich aus lang¬
lebiger Gewöhnung nicht entschliessen
können, die Form des knappen, fort¬
stürmenden Talentes gut zu finden. Aber
die Bcobachtung des klugen, in der
mathematischen Arbeit geschulten Man¬
nes enthält auch durchaus ernste Wahr¬
heit. Durch die Schnellposten wurden
die ewiglaufenden Romane der Empfind¬
samkeit gekürzt; durch die Eisenbahnen
im ersten Stadium der technischen Ent¬
wickelung wurde der verkürzte Roman
noch mehr geschmälert, und die Novelle
wurde die beliebteste Geschichtengattung.
Mit den D-Zügen, die blitzartig rasen,
wurde die Novelle auch schon unmodern,
die Skizze gewann eine nie geahnte Be¬
deutung. Sie wurde in einer raffinierten
Technik ausgebildet. Sie wurde von
den sublimsten Literaten im Gegensatz
zu vergangenen Dezennien gepflegt. Und
heute sind die Skizzenbände schon so
unzählbar, schon so sehr ein Arbeits¬
gebiet der alleswollenden, zahllosen
Dilettanten geworden, dass die Auswahl
aus dem Riesenhaufen eine strapaziöse,
durch unwirtliches Gestrüpp führende
Mühe ist. Aber eunges in Betracht
Konnnenderse; hervorgehoben, sei in sei¬
ner Art gekennzeichnet.
Oben Arthu Sch
Skizzenband erseibst nennt ihn Wavel¬
leu) erschien bei S. Fischer. Dämmer¬
geelen steht auf dem Deckel. Also ver¬
schattete Gemüter will er beschreiben,
ihnen Geheimnisvolles, das nicht
11
durchsichtig in der Sonne zum Antasten
daliegt. Nebenwegen des Gefühlslebens
will er nachgehen. Er kann es, indem
er aus seiner menschlich-ärztlichen Er¬
fahrung sich an Sonderfälle der Psycho¬
logie erinnert, indem er vielleicht auch
den abstrakten Abschnitt eines medli¬
zinischen Lehrbuches in die Sprache und
die Anschauungskraft des Poeten ver¬
setzt. Seine skizzierten Novellen, die
fast ganz auf das unbelebte Detail ver¬
zichten, es nur stricheln und nicht aus¬
malen, sind einfach Krankheitsbilder.
Aber Berichte von Patienten, deren Puls
nicht bloss gehört, sondern deren Denken
belauscht wurde. Da nimmt zum Bei¬
spiel Schnitzler eine Maske. Er lässt
seinen Andreas Thomeyer selber reden.
Der schreibt einen Brief, in dem er dar¬
legt, dass er in den Tod gehe, um durch
sein freiwilliges Hinscheiden die makel¬
lose Treue der Gattin zu beweisen. Die
RUNDSCHAU: KUNST: DICHTKUNST
Gattin hat nämlich ein schwarzes
Knäblein auf die Welt gebracht. Es kann
der Verdacht entstehen, sie habe im
Ehebruch mit einem Neger den Kna¬
ben empfangen. Gegen diese Schnöd¬
heit will Thomeyer, ein korrekter, bis
—
aufs i- lipfelchen genauer Beamter, sein
geliebtes Weib schützen. Und er setzt
sich hin, studiert die gynäkologischen
Lehrbücher und bezeugt durch klipp¬¬
klare Wissenschaftlichkeit, dass seine
Gattin sich nur versehen, ihn niemals
betrogen hat. Der Dichter gibt dem
Leser die Handhabe, seine Schreibart zu
erkennen. Er ist schon so gereift.
dass er kühl und mächtig den höchsten
Leidenschaften entgegensteht. Er hat
die Lehrbücher wohl selbst durchstu¬
diert, die sein Thomeyer nennt, und er
verknüpft die Daten nicht mit meta¬
physischer Phantasie, sondern mit rea¬
listischer. Er will kein Zeitbild geben.
sondern ein Personenbild, eine Sil¬
houette. Er darf keine breiten Farben
und Worte gebrauchen, er sucht nach
den klitzerkleinen, zarten Ausdrücken,
nach Rosenworten mit halbstumpfen
Stacheln einer sachten Tronie.
Diese Kunst ist schwierig. Sie ist vor
allen Dingen nicht ausgiebig, weil sie
vom Autor verlangt, dass er seine win¬
7“
zigen Arbeiten sorgfaltig und enthaltsam
mt sich in Gedanken t#ge, ehe er
sie vollendet. Darum können die Skizzen
nur von sehr Begabten oder von Un¬
begabten, Flüchtigen, geschrieben wer¬
den. Sie brauchen teilweise die Kon¬
zentration des lyrischen Gedichtes, und
wenn an Stelle solcher Sammlung die
Wucht des Verblüffens, an Stelle der
spielend harmonischen Kunst die nur
schimmernde und scheinende Feuerwerks¬
kunst des Situationswitzes, des Kalauers
mit tragischer oder komischer Pointe
gesetzt wird, dann kann die Skizze sehr
bald ein mangelhaft Gebilde sein. Sie
ist von solcher Qualität bei Schnitzlers
Landsmann Raoul Auernheimer
der seinen Band nach dem ersten Ge¬
schichtlein Die ängstliche Dodo genannt
hat /Berlin, Fleischel). Auernheimer ist
ganz zum Spotten aufgelegt und möchte
ahnen lassen, dass hinter seiner Resig¬
nation, seinem Hohnlächeln, hinter sei¬
nem nicht bissigen Knurren tieferer Sinn“#
liege, Weisheit in Erfahrung gesammelt,
Abgeklärtheit durch Leiden vielleicht.
Vielleicht. Denn dieser Schriftsteller ist
eines jener Talente, die nicht aus dem
Boden wachsen, sondern aus dem Lite¬
raturbetriebe. Ein sehr geschickter Mit-)