V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 46


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— Dämmerseelen. Novellen von Arthur Schnitzler,
S. Fischer, Verlag, Berlin.
Arthur Schnitzler springt wiederum mit der blauke
geschmeidigen Waffe seines gleißenden Stiles auf den
literarischen Kampfplan und fordert eine Welt in
Schranken, seine Welt, die er nur aufgebaut zu haben
scheint, um sie mit einem seiner eleganten sicheren Stöße zu
vernichten. Wie ein echter Künstler baut er sie auf, reich
an Form und Farben und, wenn es erlaubt ist so zu sagen,
von einem Duft demimondainer Begebenheiten erfüll
dessen unfaßbaren und rätselhaften Zauber kein deutscher
Schriftsteller besser zu geben versteht, als eben Schnitzler,
der hierin den besten Franzosen gleichkommt. Und unter
diesen Formen und Farben bergen sich Seelen, die uns,
die sich selber ewig fremd bleiben, die ein seltsamer Gott
ihren Weg führt, ein Gott, dessen furchtbares, schauriges,
vernichtendes Wesen sich unten der Schellenkappe eines
Narren birgt. So baut Schnitzler seine Welt auf;
folgt der Schlag; diese ganze bunte, närrische Pelt stürzt
zusammen, und nichts bleibt, als ein höhnisches Lachen,
oder häufiger, ein leises, verhaltenes Kichern, das wie ein¬
fernes, lang nachhallendes Echo der Vernichtung durch die
Leare irrt. So ist das Schicksal des Freiherrn von Leisen¬
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bogh, der die junge Sängerin Kläre Held hat ausbilden
lassen mit der stillen Hoffnung, sich eines Tages in dem
Genuß ihrer Liebe zu sehen. Aber während die junge
Künstlerin in unerschöpflichem Liebesbedürfnis von einem
Männerherzen an das andere sinkt, steht ihr uneigennütziger
freiherrlicher Freund dabei und wartet geduldig, bis die
Reihe an ihn kommt. Bei dem Tempo, das die feurige
Kläre einschlägt, hoffen wir mit dem Freiherrn, daß das in
absehbarer Zeit einmal geschehen wird. Da stürzt einer
der Liebhaber Klärens eines Tages vom Pferde. Es war
ein tödlicher Sturz, den er mitten aus einem Leben des
fröhlichsten Genusses tat, aber er kann die schöne We
nicht verlassen, ohne seinem Nachfolger in der Günst
Klärens einen Streich zu spielen. Er läßt sie schwören
keinem mehr anzugehören. „Der erste nach ihm, der ihre
Lippen berühren, ihren Leib umfangen wird, soll in die
Hölle fahren.“ Einen Schwur zu brechen, kann für die
schöne Kläre nicht schwer sein, aber wird sie den berühmten
Tenor, dem ihr empfindsames Herz gleich darauf gehört¬
gern in die Hölle fahren sehen? Wie hilft man sich da nurd
Aber ist er nicht immer noch da, der wie ein treuer Hund
ihren Spuren folgt, der diskrete Freiherr von Leisenbogh,
der seit zehn Jahren darauf wartet, seine unerschütterliche
Liebe belohnt zu sehen? Jetzt scheint sein Moment ge¬
kommen! Sie gewährt ihm ihre Gunst. Und während sich
nun im Kopfe des armen Freiherrn eine schöne Zukunft
aufbaut, verschwindet Kläre mit ihrem Tenor, dem sie jetzt
ohne Gefahr angehören darf. Den guten Freiherrn aber,
der an innerem menschlichen Werte ungefähr dem Ritter
Toggenburg gleicht, lläßt der satanische Samitzler mit
groteskem Humor zur Hölle fahren. Man sieht, daß
Schnitzler ein größerer Humorist ist, als Schiller, der ja
die Lächerlichkeit seines Toggenburg niemals erkannt hat.
Es soll auch heute im Deutschen Reiche noch Leute geben,
Schullehrer und dergleichen, welche ....
So ist ferner das Schicksal des Herrn von Umprecht, dem
für einen bestimmten Tag sein Tod mit allen näheren Um¬
ständen vorausgesagt wird. Und da er alle Umstände kennt,
so glaubt er ihnen leicht aus dem Wege gehen und dem Tode
entfliehen zu können. Aber der Unheimliche mit der
Schellenkappe auf dem Kopfe nasführt ihn doch.
So ist ferner das Schicksal Albrechts, der das seltsame
Mädchen heiratet, jenes Mädchen, dazu bestimmt die
Männer erst zu betrügen und dann ins Verderben zu stürzen.
Man weiß, es gibt solche rätselhaften Geschöpfe, aber nie¬
mand weiß, was in ihnen vorgeht, weshalb sie die Männer
#erst betrügen und dann ins Verderben stürzen, sie selbst
wissen es nicht; der Unheimliche aber weiß es vielleicht. Aber
Albrecht heiratete ohne Zaudern in sein Verderben hinein.
*Schon auf der Hochzeitsreise erfüllt sich sein Geschick; sie
entflieht ihm. Er ist nicht überrascht, er hat das alles
kommen sehen, es stand auf seinem Programm, wie auch
der Schluß auf seinem Programm stand, mit dem er seinem
Leben, das ohne sie keinen Reiz hat, ein Ende macht. Aber
selbst den Toten finden wir noch durch einen blutigen,
satanischen Scherz des Gottes mit der Schellenkappe ge¬
narrt. So ist eines um das andere. Wir schließen das
Buch und hören ein leises, verhaltenes Kichern, wie ein
Echo durch die Leere des Todes gehen, durch jene Leere,
die ehemals von einer farbigen, leben= und genußsprühenden
Welt ausgefüllt wurde.

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