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zerschellt gottsjämmerlich. So plumpsen wunderliche Narren
des Geschicks in Schnitzlers Novellen niederwärts.
Selten aber wird es so klar, wie die Mischlingliteratur,
die in den „Dämmerseelen“ das Wort führt, doch nicht an
humoristische Höhen reicht. Es ist der Liebe und Treue
darin zuviel Falshheit beigemengt. Journalistisch=artistische
Falschheit. Sie ergötzt sich nicht so sehr an den aben¬
teuerlichen, menschlichen Vorgängen selbst, als vielmehr
an ihrer äußersten Zuspitzung. Vor allem hört man so¬
zusagen den findigen, auch den teilnahmsvollen Räsoneur,
und weniger den aufrechten Dichterphantasten; den Rä¬
soneur, der mitunter wohl ein bißchen selbstgefällig seine
witzigen Künste, sein wienerisch schmunzelndes Behagen
spielen und flimmern und funkeln läßt. Wo Traum und
platie Niedrigkeit zusammenstoßen, da erschallt kaum das
breite, saftige Lachen des Humoristen, sondern weit eher
der ironisch=resignierende Ton des Plauderers, der selbst
das kraufeste und an sich finstere Erlebnis wie eine ge¬
schickt und raffiniert vorbereitete Anekdote vortragen kann.
Dieser Anekdote fehlt es dann sowohl an rechter Galle
als an überquellender Lustbarkeit; und es ist gleichgültig,
ob es sich um den wienerischen Toggenburger, den Frei¬
herrn v. Leisenbohg handelt oder um den bedauernswerten
Spießbürger der Vorstadt, den Herrn Andreas Thameyer.
In Geduld und Züchten hat Freiherr v. Leisenbohg, der
690
Gläubige, einer Wiener Komödiantin gedient. Jahr um
22 2
Jahr hat er ausgeharrt, immer demütig, indes sie ihre
Liebhaber nach der jeweiligen Saison wechselte. Endlich
Artur Schnitzler: „Dämmerseelen“
wird er erhört. Aber nicht als Geliebter. Ein schwedischer
Von Seltsamkeiten erzählt der jüngste Novellenband
Tenorsänger soll der „Zukünftige“ werden. Nur hat der
Artur Schnitzlers. (S. Fischer=Berlin, 1907.) Sie würden
Vorige, ein Fürst, der Komödiantin abergläubisches
befremden, ja verblüffen, vernähme man nicht hinter ihnen
Grauen eingejagt. Wen sie nach seinem Tod zuerst um¬
ein ironisches, verstohlenes Kichern. Das klingt halb nach
armt, der schwinde dahin; und der Freiherr war ihr
Schadenfreude und halb nach wehmütiger Betrachtung der
„Probekandidat“; und wirtlich bricht er zusammen, als er
irdischen Dinge. Was ist unsere hochgerichtete romantische
erfährt, welches Spiel sie getrieben.
Sehnsucht? Sie klammert sich in ihrer Not an die
Von männlicher Tölpelei und Fraueninfamie ist in dem
windigsten Vorstellungen. Sie möchte, wie weiland
Novellenband noch mancherlei zu lesen, bis zu den
Münchhausen, an Bohnenranken in die Lüfte klettern und
Dämmerzuständen des biederen Thameyer, dem seine
Frau ein schwarzes Knäblein schenkt. Er studiert wie
sein Don Quichotte in Hambergs „Wundern der Natur“
und in des alten Limböck Chronik „Über das Versehen der
Schwangeren“ Er freut sich wie ein Kind, daß ähnliche
Spiele schon dagewesen seien; während Frau Thameyer
in nüchterner Wahrheit sich im Tiergarten mit dem Mit¬
glied einer Niggerbande versah.
Wie exaltierte Einbildungen den Menschen niederwürgen
können, davon spricht Schnitzler am lebhaftesten in der
Novelle „Wei sagung" Ein beleidigter polnischer Jude
und Taschenspieler hat sich an angetrunkenen Offizieren in
einer galizischen Garnisonstadt bitter=listig gerächt. Vor
den überhitzten jungen Leuten läßt er in phantastischen
Spiegelbildern die Zukunft erscheinen. Einen nervösen
Leutnant bewegt die Prophezeiung besonders lebhaft. Er
wird noch zehn Jahre altern, dann bringt man seine rot¬
haarige Frau auf einer Bahre herbei, und er bricht an
derselben Stelle zusammen. Der Leutnant heiratet her¬
nach eine dunkelhaarige Frau, er weicht allem aus, was
der Taschenspieler verkündet hatte. Aber nach zehn Jahren
spielt er bei Bozen in einem Freiluftheater mit, und seine
Frau tritt, wie es die Situation in der Dichtung gebietet,
genau in der Stellung und in der roten Perücke auf, wie
er sie vor Jahren schon sah. Es überwältigte ihn, und der
Schrecken hatte ihn getötet.
Fatum! Über solchen Drähten tanzt unser Marionetten¬
dasein. Eine Lieblingsidee Schnitzlers, der er sich auf
sdem Theater und in der Novelle beharrlich und einseitig
L. Schönhoff.
genug hingibt.
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zerschellt gottsjämmerlich. So plumpsen wunderliche Narren
des Geschicks in Schnitzlers Novellen niederwärts.
Selten aber wird es so klar, wie die Mischlingliteratur,
die in den „Dämmerseelen“ das Wort führt, doch nicht an
humoristische Höhen reicht. Es ist der Liebe und Treue
darin zuviel Falshheit beigemengt. Journalistisch=artistische
Falschheit. Sie ergötzt sich nicht so sehr an den aben¬
teuerlichen, menschlichen Vorgängen selbst, als vielmehr
an ihrer äußersten Zuspitzung. Vor allem hört man so¬
zusagen den findigen, auch den teilnahmsvollen Räsoneur,
und weniger den aufrechten Dichterphantasten; den Rä¬
soneur, der mitunter wohl ein bißchen selbstgefällig seine
witzigen Künste, sein wienerisch schmunzelndes Behagen
spielen und flimmern und funkeln läßt. Wo Traum und
platie Niedrigkeit zusammenstoßen, da erschallt kaum das
breite, saftige Lachen des Humoristen, sondern weit eher
der ironisch=resignierende Ton des Plauderers, der selbst
das kraufeste und an sich finstere Erlebnis wie eine ge¬
schickt und raffiniert vorbereitete Anekdote vortragen kann.
Dieser Anekdote fehlt es dann sowohl an rechter Galle
als an überquellender Lustbarkeit; und es ist gleichgültig,
ob es sich um den wienerischen Toggenburger, den Frei¬
herrn v. Leisenbohg handelt oder um den bedauernswerten
Spießbürger der Vorstadt, den Herrn Andreas Thameyer.
In Geduld und Züchten hat Freiherr v. Leisenbohg, der
690
Gläubige, einer Wiener Komödiantin gedient. Jahr um
22 2
Jahr hat er ausgeharrt, immer demütig, indes sie ihre
Liebhaber nach der jeweiligen Saison wechselte. Endlich
Artur Schnitzler: „Dämmerseelen“
wird er erhört. Aber nicht als Geliebter. Ein schwedischer
Von Seltsamkeiten erzählt der jüngste Novellenband
Tenorsänger soll der „Zukünftige“ werden. Nur hat der
Artur Schnitzlers. (S. Fischer=Berlin, 1907.) Sie würden
Vorige, ein Fürst, der Komödiantin abergläubisches
befremden, ja verblüffen, vernähme man nicht hinter ihnen
Grauen eingejagt. Wen sie nach seinem Tod zuerst um¬
ein ironisches, verstohlenes Kichern. Das klingt halb nach
armt, der schwinde dahin; und der Freiherr war ihr
Schadenfreude und halb nach wehmütiger Betrachtung der
„Probekandidat“; und wirtlich bricht er zusammen, als er
irdischen Dinge. Was ist unsere hochgerichtete romantische
erfährt, welches Spiel sie getrieben.
Sehnsucht? Sie klammert sich in ihrer Not an die
Von männlicher Tölpelei und Fraueninfamie ist in dem
windigsten Vorstellungen. Sie möchte, wie weiland
Novellenband noch mancherlei zu lesen, bis zu den
Münchhausen, an Bohnenranken in die Lüfte klettern und
Dämmerzuständen des biederen Thameyer, dem seine
Frau ein schwarzes Knäblein schenkt. Er studiert wie
sein Don Quichotte in Hambergs „Wundern der Natur“
und in des alten Limböck Chronik „Über das Versehen der
Schwangeren“ Er freut sich wie ein Kind, daß ähnliche
Spiele schon dagewesen seien; während Frau Thameyer
in nüchterner Wahrheit sich im Tiergarten mit dem Mit¬
glied einer Niggerbande versah.
Wie exaltierte Einbildungen den Menschen niederwürgen
können, davon spricht Schnitzler am lebhaftesten in der
Novelle „Wei sagung" Ein beleidigter polnischer Jude
und Taschenspieler hat sich an angetrunkenen Offizieren in
einer galizischen Garnisonstadt bitter=listig gerächt. Vor
den überhitzten jungen Leuten läßt er in phantastischen
Spiegelbildern die Zukunft erscheinen. Einen nervösen
Leutnant bewegt die Prophezeiung besonders lebhaft. Er
wird noch zehn Jahre altern, dann bringt man seine rot¬
haarige Frau auf einer Bahre herbei, und er bricht an
derselben Stelle zusammen. Der Leutnant heiratet her¬
nach eine dunkelhaarige Frau, er weicht allem aus, was
der Taschenspieler verkündet hatte. Aber nach zehn Jahren
spielt er bei Bozen in einem Freiluftheater mit, und seine
Frau tritt, wie es die Situation in der Dichtung gebietet,
genau in der Stellung und in der roten Perücke auf, wie
er sie vor Jahren schon sah. Es überwältigte ihn, und der
Schrecken hatte ihn getötet.
Fatum! Über solchen Drähten tanzt unser Marionetten¬
dasein. Eine Lieblingsidee Schnitzlers, der er sich auf
sdem Theater und in der Novelle beharrlich und einseitig
L. Schönhoff.
genug hingibt.