V, Textsammlungen 3, Dämmerseelen. Novellen, Seite 52

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mm
3. Dal.seelen
Zut=Besreietr
ollen.
annullieren zu können. Ein in unserer garenden Zeit
tung
prähistorisch anmutender Gedanke von riesiger Größe, aber
ivat¬
nicht angepaßt den kleinen Tyrannen von heute. Um in
bsicht
unserer Zeit eine so gewaltige Arterienunterbindung er¬
hren
folgreich durchzuführen, hätte der Pobjedonoszewsche
Staatsgedanke eines Heeres solcher lauterer, vielseitiger,
und
groß veranlagter Persönlichkeiten versichert sein müssen,
hnen.
zerschellt gottsjämmerlich. So plumpsen wunderliche Narren
den
des Geschicks in Schnitzlers Novellen niederwärts.
vider
Selten aber wird es so klar, wie die Mischlingliteratur,
die in den „Dämmerseelen“ das Wort führt, doch nicht an
eseke,
humoristische Höhen reicht. Es ist der Liebe und Treue
auf¬
darin zuviel Falshheit beigemengt. Journalistisch=artistische
oia
Falschheit. Sie ergötzt sich nicht so sehr an den aben¬
teuerlichen, menschlichen Vorgängen selbst, als vielmehr
an ihrer äußersten Zuspitzung. Vor allem hört man so¬
zusagen den findigen, auch den teilnahmsvollen Räsoneur,
und weniger den aufrechten Dichterphantasten; den Rä¬
auch
soneur, der mitunter wohl ein bißchen selbstgefällig seine
am
witzigen Künste, sein wienerisch schmunzelndes Behagen
ein
spielen und flimmern und funkeln läßt. Wo Traum und
ungen
platte Niedrigkeit zusammenstoßen, da erschallt kaum das
nach
breite, saftige Lachen des Humoristen, sondern weit eher
, die
der ironisch=resignierende Ton des Plauderers, der selbst
oder
das kraufeste und an sich finstere Erlebnis wie eine ge¬
leien,
schickt und raffiniert vorbereitete Anekdote vortragen kann.
rholt
Dieser Aneldote fehlt es dann sowohl an rechter Galle
noch
als an überquellender Lustbarkeit; und es ist gleichgültig,
dieser
ob es sich um den wienerischen Toggenburger, den Frei¬
iginal
herrn v. Leisenbohg handelt oder um den bedauernswerten
Spießbürger der Vorstadt, den Herrn Andreas Thameyer.
In Geduld und Züchten hat Freiherr v. Leisenbohg, der
Gläubige, einer Wiener Komödiantin gedient. Jahr um
Jahr hat er ausgehairt, immer demütig, indes sie ihre
Liebhaber nach der jeweiligen Saison wechselte. Endlich
wird er erhört. Aber nicht als Geliebter. Ein schwedischer
Tenorsänger soll der „Zukünftige“ werden. Nur hat der
nband
Vorige, ein Fürst, der Komödiantin abergläubisches
vürden
Grauen eingejagt. Wen sie nach seinem Tod zuerst um¬
ihnen
armt, der schwinde dahin; und der Freiherr war ihr
b nach
„Probekandidat“; und wirklich bricht er zusammen, als er
ig der
erfährt, welches Spiel sie getrieben.
ntische
Von männlicher Tölpelei und Fraueninfamie ist in dem
n die
Novellenband noch mancherlei zu lesen, bis zu den
eiland
Dämmerzuständen des biederen Thameyer, dem seine
n und
lichen Eigenschaft bewußt werden, die ein glücklicher Al.
druck Spittelers „Ideengerechtigkeit“ nennt. Diese Ideen¬
gerechtigkeit macht, daß äußerlich parallele russische Be¬
strebungen von den unseren tief verschieden sind; daß zu¬
letzt Pobjedonoszew und Gorki für uns an einem Strange
ziehen. „Das Selbstbewußtsein des Deutschen“ sagt
Tolstoi, „besteht darin, daß er von der Richtigkeit einer
Frau ein schwarzes Knäblein schenkt. Er studiert wie
ein Don Quichotte in Hambergs „Wundern der Natur“
und in des alten Limböck Chronik „Über das Veriehen der
Schwangeren“. Er freut sich wie ein Kind, daß ähnliche
Spiele schon dagewesen seien; während Frau Thameyer
in nüchterner Wahrheit sich im Tiergarten mit dem Mit¬
glied einer Niggerbande versah.
Wie exaltierte Einbildungen den Menschen niederwürgen
können, davon spricht Schnitzler am lebhaftesten in der
Novelle „Weissagung". Ein beleidigter polnischer Jude
und Taschenspieler hat sich an angetrunkenen Offizieren in
einer galizischen Garnisonstadt bitter=listig gerächt. Vor
den überhitzten jungen Leuten läßt er in phantastischen
Spiegelbildern die Zukunft erscheinen. Einen nervösen
Leutnant bewegt die Prophezeiung besonders lebhaft. Er
wird noch zehn Jahre altern, dann bringt man seine rot¬
haarige Frau auf einer Bahre herbei, und er bricht an
derselben Stelle zusammen. Der Leutnant heiratet her¬
nach eine dunkelhaarige Frau, er weicht allem aus, was
der Taschenspieler verkündet hatte. Aber nach zehn Jahren
svielt er bei Bozen in einem Freiluftheater mit, und seine
Frau tritt, wie es die Situation in der Dichtung gebietet,
genau in der Stellung und in der roten Perücke auf, wie
er sie vor Jahren schon sah. Es überwältigte ihn, und der
Schrecken hatte ihn getötet.
Fatum! Über solchen Drähten tanzt unser Marionetten¬
dasein. Eine Lieblingsidee Schnitzlers, der er sich auf
dem Theater und in der Novelle beharrlich und einseitig
L. Schönhoff.
genug hingibt.
C
Maurice Hutzler.
Maurice Hutzler fand in München am Ostersonntag den
selbstgewählten Tod. Auch in Berlin werden viele von
dieser Nachricht tiefer getroffen werden. Der Stiefsohn
von Josef Kainz, der rasche, kluge, bleiche Rotbart wird
in der Erinnerung auftauchen, und von der Tragik des
stilli