Wanunte de Ronten, moderien Wen zu persönlichen
Lebenssicherheit, zu persönlicher Erfahrungsweisheit und Abklärung
durchringt, oder ob er in irgendeiner Stizze von einer kleinen, schein¬
bar belanglosen Episode, von einem Intermegzo erzählt, worin offenbar
ein plumper Zufall, ein Ungefähr der äußeren Handlung ein Ende setzt.
Ueberall steht er am Wegrand, still, nachdentlich und lauscht ...
Stu¬
diert die Lebenspassanten ...
Manchmal erzählt er dann von einem
breiten, hundertfältig bewegten Gemälde, worauf sich Hauptpersonen
und Statisten vor dem klaren Ende des einen — das Leben der
andern geht immer weiter: stets schildert Schnitzler eigentlich nur, wie
das Leben immer wieder weiter geht — sast zu verwirren drohen:
„Der Weg ins Freie“
Manchmal von einem stillen Spinnen und
Weben von Lebensstimmungen, brennenden Wünschen und dann un¬
gesprochenem Verzichten: „Frau Berta Garlan“...
Und oft ist's
auch nur das Leuchten in die krause Seele just eines einzelnen, der ihn
interessiert, wie er so harmlos vor sich her mitten durchs Leben mar¬
schiert: „Leutnant Gustl“
Zählt man alle seine Helden einzeln
auf, — sie alle sind, sie alle bleiben wienerische Menschen. Die einen
mit dem leisen, genießerischen Lächeln, die andern mit der zynischen
Schärfe, alle mit bestimmter Weichheit, bestimmter Lässigkeit,
die
meisten ein wenig schwach, irgendwie im Zusammenhang mit der
Stadtkultur, in deren Atem sie großwüchsen, fast alle voll Liebens¬
würdigkeit und ein wenig müde, ein wenig blasiert ...
In den Dra¬
men trägt manch' Antlitz, das unter fremdem, italienischem, franzö¬
sischem Himmel lächeit oder weint, einen übertragenen Zug, einen ver¬
wehten Hauch von der Donau. Die Gesichter in Schnitzlers Prosa
zeigen nur wienerische Züge. Sie alle machen, daß die Seele Wiens
in dieser Prosa gefangen und geborgen ist.
Die Stadt schimmert aus ihr: mit dämmerigen Stimmungen, mit
den umflorten Straßen, mit den lachenden Auen, die ihre nahen Höhen
kränzen, mit der heimlichen Schwermut, die aus den besten, edelsten:
Walzern der Strauß und Lanner klingt. Die Stadt und ihre Menschen
werden zu einer unlösbaren Gesamtheit. Sie haben das gleiche Sich¬
gehenlassen, die gleiche Passivität roll Anmut. Das harmlose und das
ironische Spiel der Menschen mit dem Leben kann nur in dieser Stadt
gespielt werden. Schattierungen sind da, vom Vorstadtmädel, das er
entdeckte, bis zut Dame der großen Gesellschaft, vom Grandseigneur bis
zum Kaffeehauskumpen, der aus dem Heiligsten sich einen gemütlichen,
herzlosen Spaß macht. Dennoch sind alle aufs engste verwandt, durch
Zunge, Haltung, Atmosphäre: Wiener ..
Schnitzlers Kraft kommt hinzu, um sie über das Lokale weit empor¬
zuheben. Es ist mir ein bestimmtes, national angefärbtes Gewand,
in dem seine Menschen einherschreiten. Ihren Inhalt trägt der Dichter
kühn ins Menschliche hinauf, das alle bindet, alle angcht. Er hat zwei
Melodien, die nordwärts und südwärts von Wien nicht anders klingen,
als an der Donau, zwei Melodien, die überall locken und betören, wenn
nur ein Künstler sie anschlägt: die Lieder von der Liebe und vom
Tode
Und zwischen beiden toht das Leben seine Abenteuer aus...
Die kleinste Schnitzlerische Stizze ist nicht um der Handlung willen ge¬
schrieben, nicht um die „Technik“ zu zeigen, in der er freilich einVirtnose
im seinsten Su des Wortes ist. Immer strömt die Melodie plötzlich
überreich aus dem Innern. Man erinnere sich der novellistischen Klei¬
nigkeit, da eine Dame mit ihrem Liebhaber durch das nächtliche Gelände
an der Donau hinfährt, da ihr Wagen stürzt, der Geliebte jählings
stirbt und offenbar ein Zufall eine gleichgültige Episode, einen novel¬
listischen Einfall, mit dem jeder andere vielleicht sich begnügen würde,
Preßt der
grotesk abschließt. Aber Schnitzler setzt jetzt erst ein ...
geängsteten Frau, die den toten Freund im Straßengraben im Stich
läßt, weil Zelbst die Leiche noch sie vor dem Gatten, vor der Welt
Oder man denke an
vrraten könnte, die geheimste Seele aus.
jene andere Skizze, da die Frau des anderen dem Geliebten stirbt,
der vor ihrem Sarge ohne ein Wort des Schmerzes stehen, von ihrem
Sarge, weil er sich nicht zu ihr bekennen darf, wortlos fliehen muß,
und nur die Verachtung aus dem Totenzimmer mitnimmt, die von den
Das
erstarrten Lippen über seine Feigheit zu lächeln scheint ...
äußere Geschehnis, wie das Kolorit, die Handlung und die wieneri¬
schen Kulissen, sind Technik bei Schnitzler. In sie erst gießt er seinen
ganzen Dichterreichtum, der über die Stadt hinaus international wird::
die Melodien von der Liebe, vom Tod, die bunten, verwirrenden
Lieder des Lebens
Der Gesamtausgabe der „Erzählenden Schriften“ Schnitzlers sind
ein paar jüngere novellistische Arbeiten beigefügt. Sie bilden einen
besonderen Band und heißen als solcher: „Masken und Wunder“ Im
ganzen Werk nehmen sie etwa die Stelle ein, die unter Schnitzlers
Dramen den „Marionetten“ zukommt. Sie lösen sich von Stadt und
vienerischen Menschen los — auch in der Novelle „Der Mörder“
scheint das Wiener Kolorit unwesentlich — und wollen als Abstrakta
Es ist alles in diesen Geschichten, was zum
*
gelten: als Symbole
Wesen von Schnitzlers Dichterschaft gehört: die ironische Ueberlegen¬
heit über das Leben, das sich so mutwillig und gern — „Der Tod!
des Junggesellen“, der seinen Freunden als Testament das Bekenntnis
hinterläßt, daß er all' ihrer Frauen Freund war — allerlei Scherze
lustiger und grausamer Art erlaubt, sein Wissen von den Vernichter¬
kräften der Liebe und Leidenschaft, sein Wissen von unserem Tappen:
durch die sonnbeglänzte und doch so
„Die dreisache Warnung“ —
Ihr verführerisches Lied, ihre heiße Lockung ins
dunkle Welt ...
Unbekannte klingt aus den Schalmeien jener „Hirtenflöte“, denen das
junge Weib eines alternden Astronomen auf sein eigenes Geheiß nach¬
geht, hinaus ins Fremde, in schmerzliche Abenteuer und unerhörte!
Schicksale, um ihr Selbst zu prüsen, um das Leben, bevor sie zum
Gatten heimkehrt, in allen Tiefen zu erkennen, — das vielgestaltige,
rastlose, unergründete Lehen, das sie doch nie ausschöpft, weder
draußen in den Stürmen, noch in der feierlichen Ruhe im einsamen
Das Maskenhafte an den Visionen in
Turm des Sterndeuters
Schnitzlers neuem Buch ist nur Schein, nur absichtlich gewählte Form.
Das Spiel des Lebens steht wiederum hinter den „Masken und Wun¬
Nur sind sie zeitlos ge¬
dern“: das Leben, die Liebe, der Tod ..
macht, zeitlos gezeigt, wie sie zeitlos sind. Es ist der Wille von Schnitz¬
lers ganzem Schaffen in ihnen: vom Weitmenschlichen, nur vom
Menschlichen das zu geben, was er unter Opfern und Siegern, unter
Lächelnden, unter Trauernden als das irdische Geheimnis, als das
selbst mit einem leisen, schmerzlichen, gütigen
irdische Erbteil aller
und verstehenden Lächeln — oft und oft belauschte
Karl Fr. Nowak, Verlich,
Sn Wige Denheene.)
See. Hoplinet. begpeshn-Gounten
O.t.
Ein.
Datum H 6 JUl917
HRS
0
Fischers Bibliothek zeitgenössischer
Romane bringt als letzte Novität, entsprechend ihren
guten Gepflogenheiten, wieder einen berühmten Autor
und ein beachtenswertes Werk: Die Novelle „Frau
Berta Garlan“ von Artur Schnitzle
Wenn jemals in Arthur Schnitzler der Arzt den
Dichter geleitet, so war es bei dieser Novelle „Frau
Berta Garlan“. Und der Arzt, d. h. der Lebens¬
physiologe, der Lebenspathologe, ist auch der über¬
wiegend Stärkere geblieben. Der dichtende Erzähler
dessen, was dem Arzt vielleicht aus seiner Vraxis
erwachsen, dem Beobachter in der Gesellschaft ent¬
gegengetreten, weicht zuweilen so weit hinter Beiden
zurück, daß er zum nüchtern registrierenden Chronikeur
wird. Selbst die psychologische Begründung der
physiologischen Regungen in der jungen Heldin, Berta
Garlan, wird zu einem Exempel, mit leicht durch¬
scheinender, rechnerischer
Folgewilligkeit
e
Konstruktion der Wahrscheinlichkeit in der Geschehnis¬
willkür des Lebens.
Da ist nämlich die jungverwittwete bildhübsche
Frau Berta, nach kurzer Ehe, ohne jede Glückerfüllung,
ohne jedes Glückverstehen „sehnnüchtig und arm" in
ziemlich dürftigen Lebensumständen zurückgeblieben.
Rein und unverlangend. Das von aller Welt ver¬
mutete, heimliche und widerrechtliche Glückgenießen
einer jungen, gleichschönen, stolzen, ünerlegenen
Freundin, der Gattin eines unheilbar gelähmten, vor¬
nehmen Mannes, weckt in Frau Berta ziemlich jäh:
das Gedächtnis an eine ungekrönte Jugendliebe zu;
einem jetzt lange
schon berühmten Geiger.;
Mit diesem Gedächtnis erwacht in ihr das, nur
als unbelauschter Unterstrom in ihrem Blut¬
à 00
rauschende Welbverlangen nach dem „großen Glück¬
erleben“, nach „der höchsten Seligkeit“, die „nach den
Romanen der Dichter dem Weibe von dem geliebten
Manne kommen soll.“ Einen sehr äußeren Zufall
macht Frau Berta mit gar nicht sehr charakterlogischer
Keckheit sich dienstbar, um sich dem Jugendgeliebten zu¬
nähern und bei der ersten Gelegenheit versäumtes
Jugendliebesglück in seinen Armen zu finden. Von
der praktischen Lebenswertung des verwöhnten Künst¬
lers abgestoßen, auch in ihrem erwarteten posthumen
Glückrausch im Grunde und gründlich enttäuscht, kehrt
Frau Berta in ihre kleinstädtische Heimat und zu
ihrem sonnigen Buben, seelisch unbeschadet, zurück,
während ihre überlegene, in allem auch radikalere
Freundin mit ihrem jungen Leben ihr kurzes, illegales
Eheglück bezahlt.
Was auch sonst die stärkste Seite der dichterischen
Gestaltung Schnitzlers ausmacht: die Fähigkeit,
Charaktere plastisch gegeneinander zu stellen, Geschehnisse
aus dem Rahmen des ereignisarmen Alltags heraus¬
zuheben, das Leben klar, die Menschen hell zu schauen,
das wird auch hier der bedeutsame Vorzug seiner
Dichtung von der Verschiedenheit der Wirkungen,
gleicher Ursachen und von dem gleichen Recht auf
höchst ungleiche Glückmöglichkeit der Frauenphysis.
Stu.=
Lebenssicherheit, zu persönlicher Erfahrungsweisheit und Abklärung
durchringt, oder ob er in irgendeiner Stizze von einer kleinen, schein¬
bar belanglosen Episode, von einem Intermegzo erzählt, worin offenbar
ein plumper Zufall, ein Ungefähr der äußeren Handlung ein Ende setzt.
Ueberall steht er am Wegrand, still, nachdentlich und lauscht ...
Stu¬
diert die Lebenspassanten ...
Manchmal erzählt er dann von einem
breiten, hundertfältig bewegten Gemälde, worauf sich Hauptpersonen
und Statisten vor dem klaren Ende des einen — das Leben der
andern geht immer weiter: stets schildert Schnitzler eigentlich nur, wie
das Leben immer wieder weiter geht — sast zu verwirren drohen:
„Der Weg ins Freie“
Manchmal von einem stillen Spinnen und
Weben von Lebensstimmungen, brennenden Wünschen und dann un¬
gesprochenem Verzichten: „Frau Berta Garlan“...
Und oft ist's
auch nur das Leuchten in die krause Seele just eines einzelnen, der ihn
interessiert, wie er so harmlos vor sich her mitten durchs Leben mar¬
schiert: „Leutnant Gustl“
Zählt man alle seine Helden einzeln
auf, — sie alle sind, sie alle bleiben wienerische Menschen. Die einen
mit dem leisen, genießerischen Lächeln, die andern mit der zynischen
Schärfe, alle mit bestimmter Weichheit, bestimmter Lässigkeit,
die
meisten ein wenig schwach, irgendwie im Zusammenhang mit der
Stadtkultur, in deren Atem sie großwüchsen, fast alle voll Liebens¬
würdigkeit und ein wenig müde, ein wenig blasiert ...
In den Dra¬
men trägt manch' Antlitz, das unter fremdem, italienischem, franzö¬
sischem Himmel lächeit oder weint, einen übertragenen Zug, einen ver¬
wehten Hauch von der Donau. Die Gesichter in Schnitzlers Prosa
zeigen nur wienerische Züge. Sie alle machen, daß die Seele Wiens
in dieser Prosa gefangen und geborgen ist.
Die Stadt schimmert aus ihr: mit dämmerigen Stimmungen, mit
den umflorten Straßen, mit den lachenden Auen, die ihre nahen Höhen
kränzen, mit der heimlichen Schwermut, die aus den besten, edelsten:
Walzern der Strauß und Lanner klingt. Die Stadt und ihre Menschen
werden zu einer unlösbaren Gesamtheit. Sie haben das gleiche Sich¬
gehenlassen, die gleiche Passivität roll Anmut. Das harmlose und das
ironische Spiel der Menschen mit dem Leben kann nur in dieser Stadt
gespielt werden. Schattierungen sind da, vom Vorstadtmädel, das er
entdeckte, bis zut Dame der großen Gesellschaft, vom Grandseigneur bis
zum Kaffeehauskumpen, der aus dem Heiligsten sich einen gemütlichen,
herzlosen Spaß macht. Dennoch sind alle aufs engste verwandt, durch
Zunge, Haltung, Atmosphäre: Wiener ..
Schnitzlers Kraft kommt hinzu, um sie über das Lokale weit empor¬
zuheben. Es ist mir ein bestimmtes, national angefärbtes Gewand,
in dem seine Menschen einherschreiten. Ihren Inhalt trägt der Dichter
kühn ins Menschliche hinauf, das alle bindet, alle angcht. Er hat zwei
Melodien, die nordwärts und südwärts von Wien nicht anders klingen,
als an der Donau, zwei Melodien, die überall locken und betören, wenn
nur ein Künstler sie anschlägt: die Lieder von der Liebe und vom
Tode
Und zwischen beiden toht das Leben seine Abenteuer aus...
Die kleinste Schnitzlerische Stizze ist nicht um der Handlung willen ge¬
schrieben, nicht um die „Technik“ zu zeigen, in der er freilich einVirtnose
im seinsten Su des Wortes ist. Immer strömt die Melodie plötzlich
überreich aus dem Innern. Man erinnere sich der novellistischen Klei¬
nigkeit, da eine Dame mit ihrem Liebhaber durch das nächtliche Gelände
an der Donau hinfährt, da ihr Wagen stürzt, der Geliebte jählings
stirbt und offenbar ein Zufall eine gleichgültige Episode, einen novel¬
listischen Einfall, mit dem jeder andere vielleicht sich begnügen würde,
Preßt der
grotesk abschließt. Aber Schnitzler setzt jetzt erst ein ...
geängsteten Frau, die den toten Freund im Straßengraben im Stich
läßt, weil Zelbst die Leiche noch sie vor dem Gatten, vor der Welt
Oder man denke an
vrraten könnte, die geheimste Seele aus.
jene andere Skizze, da die Frau des anderen dem Geliebten stirbt,
der vor ihrem Sarge ohne ein Wort des Schmerzes stehen, von ihrem
Sarge, weil er sich nicht zu ihr bekennen darf, wortlos fliehen muß,
und nur die Verachtung aus dem Totenzimmer mitnimmt, die von den
Das
erstarrten Lippen über seine Feigheit zu lächeln scheint ...
äußere Geschehnis, wie das Kolorit, die Handlung und die wieneri¬
schen Kulissen, sind Technik bei Schnitzler. In sie erst gießt er seinen
ganzen Dichterreichtum, der über die Stadt hinaus international wird::
die Melodien von der Liebe, vom Tod, die bunten, verwirrenden
Lieder des Lebens
Der Gesamtausgabe der „Erzählenden Schriften“ Schnitzlers sind
ein paar jüngere novellistische Arbeiten beigefügt. Sie bilden einen
besonderen Band und heißen als solcher: „Masken und Wunder“ Im
ganzen Werk nehmen sie etwa die Stelle ein, die unter Schnitzlers
Dramen den „Marionetten“ zukommt. Sie lösen sich von Stadt und
vienerischen Menschen los — auch in der Novelle „Der Mörder“
scheint das Wiener Kolorit unwesentlich — und wollen als Abstrakta
Es ist alles in diesen Geschichten, was zum
*
gelten: als Symbole
Wesen von Schnitzlers Dichterschaft gehört: die ironische Ueberlegen¬
heit über das Leben, das sich so mutwillig und gern — „Der Tod!
des Junggesellen“, der seinen Freunden als Testament das Bekenntnis
hinterläßt, daß er all' ihrer Frauen Freund war — allerlei Scherze
lustiger und grausamer Art erlaubt, sein Wissen von den Vernichter¬
kräften der Liebe und Leidenschaft, sein Wissen von unserem Tappen:
durch die sonnbeglänzte und doch so
„Die dreisache Warnung“ —
Ihr verführerisches Lied, ihre heiße Lockung ins
dunkle Welt ...
Unbekannte klingt aus den Schalmeien jener „Hirtenflöte“, denen das
junge Weib eines alternden Astronomen auf sein eigenes Geheiß nach¬
geht, hinaus ins Fremde, in schmerzliche Abenteuer und unerhörte!
Schicksale, um ihr Selbst zu prüsen, um das Leben, bevor sie zum
Gatten heimkehrt, in allen Tiefen zu erkennen, — das vielgestaltige,
rastlose, unergründete Lehen, das sie doch nie ausschöpft, weder
draußen in den Stürmen, noch in der feierlichen Ruhe im einsamen
Das Maskenhafte an den Visionen in
Turm des Sterndeuters
Schnitzlers neuem Buch ist nur Schein, nur absichtlich gewählte Form.
Das Spiel des Lebens steht wiederum hinter den „Masken und Wun¬
Nur sind sie zeitlos ge¬
dern“: das Leben, die Liebe, der Tod ..
macht, zeitlos gezeigt, wie sie zeitlos sind. Es ist der Wille von Schnitz¬
lers ganzem Schaffen in ihnen: vom Weitmenschlichen, nur vom
Menschlichen das zu geben, was er unter Opfern und Siegern, unter
Lächelnden, unter Trauernden als das irdische Geheimnis, als das
selbst mit einem leisen, schmerzlichen, gütigen
irdische Erbteil aller
und verstehenden Lächeln — oft und oft belauschte
Karl Fr. Nowak, Verlich,
Sn Wige Denheene.)
See. Hoplinet. begpeshn-Gounten
O.t.
Ein.
Datum H 6 JUl917
HRS
0
Fischers Bibliothek zeitgenössischer
Romane bringt als letzte Novität, entsprechend ihren
guten Gepflogenheiten, wieder einen berühmten Autor
und ein beachtenswertes Werk: Die Novelle „Frau
Berta Garlan“ von Artur Schnitzle
Wenn jemals in Arthur Schnitzler der Arzt den
Dichter geleitet, so war es bei dieser Novelle „Frau
Berta Garlan“. Und der Arzt, d. h. der Lebens¬
physiologe, der Lebenspathologe, ist auch der über¬
wiegend Stärkere geblieben. Der dichtende Erzähler
dessen, was dem Arzt vielleicht aus seiner Vraxis
erwachsen, dem Beobachter in der Gesellschaft ent¬
gegengetreten, weicht zuweilen so weit hinter Beiden
zurück, daß er zum nüchtern registrierenden Chronikeur
wird. Selbst die psychologische Begründung der
physiologischen Regungen in der jungen Heldin, Berta
Garlan, wird zu einem Exempel, mit leicht durch¬
scheinender, rechnerischer
Folgewilligkeit
e
Konstruktion der Wahrscheinlichkeit in der Geschehnis¬
willkür des Lebens.
Da ist nämlich die jungverwittwete bildhübsche
Frau Berta, nach kurzer Ehe, ohne jede Glückerfüllung,
ohne jedes Glückverstehen „sehnnüchtig und arm" in
ziemlich dürftigen Lebensumständen zurückgeblieben.
Rein und unverlangend. Das von aller Welt ver¬
mutete, heimliche und widerrechtliche Glückgenießen
einer jungen, gleichschönen, stolzen, ünerlegenen
Freundin, der Gattin eines unheilbar gelähmten, vor¬
nehmen Mannes, weckt in Frau Berta ziemlich jäh:
das Gedächtnis an eine ungekrönte Jugendliebe zu;
einem jetzt lange
schon berühmten Geiger.;
Mit diesem Gedächtnis erwacht in ihr das, nur
als unbelauschter Unterstrom in ihrem Blut¬
à 00
rauschende Welbverlangen nach dem „großen Glück¬
erleben“, nach „der höchsten Seligkeit“, die „nach den
Romanen der Dichter dem Weibe von dem geliebten
Manne kommen soll.“ Einen sehr äußeren Zufall
macht Frau Berta mit gar nicht sehr charakterlogischer
Keckheit sich dienstbar, um sich dem Jugendgeliebten zu¬
nähern und bei der ersten Gelegenheit versäumtes
Jugendliebesglück in seinen Armen zu finden. Von
der praktischen Lebenswertung des verwöhnten Künst¬
lers abgestoßen, auch in ihrem erwarteten posthumen
Glückrausch im Grunde und gründlich enttäuscht, kehrt
Frau Berta in ihre kleinstädtische Heimat und zu
ihrem sonnigen Buben, seelisch unbeschadet, zurück,
während ihre überlegene, in allem auch radikalere
Freundin mit ihrem jungen Leben ihr kurzes, illegales
Eheglück bezahlt.
Was auch sonst die stärkste Seite der dichterischen
Gestaltung Schnitzlers ausmacht: die Fähigkeit,
Charaktere plastisch gegeneinander zu stellen, Geschehnisse
aus dem Rahmen des ereignisarmen Alltags heraus¬
zuheben, das Leben klar, die Menschen hell zu schauen,
das wird auch hier der bedeutsame Vorzug seiner
Dichtung von der Verschiedenheit der Wirkungen,
gleicher Ursachen und von dem gleichen Recht auf
höchst ungleiche Glückmöglichkeit der Frauenphysis.
Stu.=